# taz.de -- 25. Todestag der Dietrich: Berlins Glamour für die Welt | |
> UFA-Star und die Antwort auf die Garbo: Vor 25 Jahren starb Marlene | |
> Dietrich. Mit der Schauspielerin hätten sich auch die Nazis gern | |
> geschmückt. | |
Bild: Diva mit Divenfummel: Marlene Dietrich | |
Sie ist oft verschwunden. Hat Löcher hinterlassen, Leerstellen, Lücken. | |
Offiziell verschwand sie das erste Mal aus Deutschland: Marlene Dietrich, | |
Jahrgang 1901, ist in den 20er Jahren Schauspielerin in Berlin, zunächst | |
Komparsin, später wird sie mit größeren Rollen beauftragt. Im Stummfilm | |
„Die Frau, nach der man sich sehnt“ spielt sie erstmals ihre Paraderolle, | |
das kalt-erotische „Love Interest“, das einen Mann in den Ruin treiben | |
will. | |
Sie wird für Nebenrollen in Theatern engagiert, hat manchmal nur einen | |
Satz. Doch der Durchbruch kommt – in Form von Josef von Sternbergs | |
Obsession, die ihn dazu bringt, sie neben Emil Jannings in „Der blaue | |
Engel“ zu besetzen. Der Rest ist Kintopplegende: Marlene wird der größte | |
Star, den die Produktionsfirma UFA je hatte. | |
Aber die Berlinerin folgt Josef von Sternberg alsbald, noch am Abend der | |
Premiere am 1. April 1930, nach Hollywood – sie soll dort vom Paramount | |
Studio als Antwort auf „die Garbo“ (bei MGM unter Vertrag) auf der Silver | |
Screen aufgebaut werden. | |
Um die Lücke zu füllen, fährt die UFA drei Frauen auf, die das NS-Regime | |
für sich zu nutzen wussten, und umgekehrt: Die Reichswasserleiche (Kristina | |
Söderbaum), die mit Veit Harlan zusammenkam; die Androgyne (Zarah Leander), | |
deren Stimme dunkel und deren Gesicht und Gestik artifiziell wirkte. Und | |
die ungarische Paprika (Marika Rökk), deren Appeal sich ausschließlich in | |
burschikosen Aufforderungen zum Tanzen seinen Weg brach. | |
Doch eine amtliche Diva ist keine der nazitreuen Ersatz-Marlenes. Marlene, | |
in Hollywood, trägt inzwischen richtiges Blond, nicht mehr diesen | |
Straßenköterton. Und sie hat im US-amerikanischen Showbusiness gelernt, | |
dass ein Nerzmantel nicht nur für sich, sondern auch für die Öffentlichkeit | |
wichtig ist. | |
Sie spielt für Sternberg, später für Ernst Lubitsch und Alfred Hitchcock, | |
und lässt sich auch nicht von Goebbels überreden, zurückzukehren, um die | |
Schwedinnen Zarah Leander (zu dunkelhaarig) und Söderbaum (zu langweilig) | |
und die Ungarin Rökk (zu plappermaulig) in ihre Schranken zu weisen. | |
## Erst mal beschimpft | |
Nach dem Zweiten Weltkrieg aber kehrt sie doch heim: Zuerst auf der | |
Leinwand in Billy Wilders in Berlin spielenden Film „Eine auswärtige | |
Affäre“. Später, 1960, als Sängerin auf die Bühnen Westdeutschlands und | |
Westberlins. Und wird von den Deutschen, von einigen jedenfalls, als | |
Vaterlandsverräterin beschimpft – die hatten sich wohl an die Leerstelle, | |
den Verlust gewöhnt, hatten schließlich eh die letzten Jahre mit | |
fortschreitenden Verlusten (der Demokratie, des eigenen Denkens, der | |
politischen Integrität, der Unschuld, Millionen von FreundInnen und | |
Familienangehörigen) zu tun gehabt. | |
Eine zweite, nicht sofort sichtbare Lücke klaffte damals allerdings schon | |
seit Jahren in Marlenes Umfeld. Maria Riva, 1924 in Berlin als Tochter von | |
Marlene und ihrem einzigen legal angetrauten Ehemann Rudolf Sieber geboren, | |
erhob in einer literarischen Abrechnung 1992 schwere Vorwürfe: Einen | |
egoistischeren, verbisseneren Menschen als Marlene habe die Menschheit noch | |
nicht gesehen. Mütterlich war das, was Marlene mit Maria anstellte | |
(psychischer und körperlicher Missbrauch wegen einer narzisstischen Störung | |
Marlenes) jedenfalls nicht. Marlene hat die Leerstelle im Leben ihrer | |
Tochter, in die das fürsorgliche Elternteil gehört, anscheinend von Anfang | |
an ignoriert. | |
Für die dritte Leerstelle entschied sie sich bewusst: Marlene sagte zu | |
Maximilian Schell, der 1982 versuchte, ein filmisches Porträt über sie zu | |
machen, sie sei totfotografiert worden. Angeblich hat sie darum die letzten | |
Jahrzehnte ihres Lebens verwahrlost in ihrem berühmten | |
Hikikomori-Appartement in Frankreich vegetiert, von dem aus sie – früher | |
gab es schließlich kein Internet, über das die heutigen Hikikomori die | |
selbstgewählte Isolation immer wieder virtuell verlassen – in die Welt | |
telefonieren konnte. | |
## Altmodische Grandezza | |
So verschwand sie schon wieder: Der Öffentlichkeit hatte sie sich offiziell | |
das letzte Mal in David Hemmings 1976 entstandenem Drama „Schöner, Gigolo, | |
armer Gigolo“ präsentiert – und sah in ihrer Rolle als Chefin eines | |
gewissen Etablissements zwar beeindruckend aus, spielte aber mit einer | |
altmodischen Grandezza, die gegen das emotionale Spiel der jüngeren, am | |
neuen Kino der 70er geschulten KollegInnen deplatziert wirkte. | |
Fast wie 1930, als im „blauen Engel“ die expressionistische | |
Stummfilm-Technik von Emil Jannings gegen ihr fast naturalistisches Spiel | |
abstank – sie, die dickköpfige „Lola-Lola“, erreichte die Wirkung mit nur | |
einem schweren Blick aus halb geschlossenen Lidern, während Jannings seine | |
Augen bis zum Drehwurm rollen musste. | |
Und auch, wenn man den Bohei um die Ikone, die nie richtig singen konnte | |
und zwischen quietschiger Kopfstimme und dunkler Sprechstimme hin- und | |
herwechselte, nicht mehr richtig nachvollziehen kann, und auch wenn dieses | |
ganze rührend durchschaubare „neue Garbo“-Studio-System sich längst | |
überlebt hat: Heute, 25 Jahre nach Marlenes Tod, ist die letzte Lücke nicht | |
zu füllen. Wenn sie das wüsste – es würde ihr gefallen. | |
6 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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