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# taz.de -- Filmgeschichte Babelsberg: Die Fabrik der großen Träume
> Seit 100 Jahren werden in Babelsberg Filme gedreht. Das Potsdamer
> Filmmuseum zeigt zum Jubiläum eine neue Ausstellung. Sie zeigt Film pur,
> blendet aber die Geschichte aus.
Bild: Alles Kulisse: Roland Emmrichs Filmbauten für "Anonymous " im Studio Bab…
Zur Erinnerung an die Dreharbeiten zu dem Film "Inglourious Basterds"
(2009) stellt das Filmmuseum Potsdam in seiner neu konzipierten
Dauerausstellung "Traumfabrik" Quentin Tarantinos Regiestuhl und seine
schwarze Kapuzenjacke aus. Die Jacke hat er am Set in Babelsberg getragen.
Man kann den überdicken Outdoor-Anorak anfassen und es braucht nicht viel,
um sich den Oscar-Preisträger darin vorzustellen. Und etwas vom tierischen
Geist, der die Hülle verlassen hat, spürt man ebenso.
Im nahen Filmstudio Babelsberg erinnert man sich nicht so gern an den
US-Regisseur mit Vorlieben für Blutorgien. Während der Produktion der
"Basterds" hat Tarantino das Team tyrannisiert, über Nacht mehrfach das
Skript verändert, den Drehplan umgeworfen, 300 Komparsen wie Lagerarbeiter
behandelt und Schauspieler genervt. Tarantino ist berüchtigt für die totale
Kontrolle des Films - vom Drehbuch bis zur Endfertigung.
In der Ausstellung "Traumfabrik" zum 100. Geburtstag der Filmstadt
Babelsberg - am 3. November 1911 begann der Bau der Studios - spielt
Tarantino nur eine kleine Rolle. Der Starregisseur, der wie viele
prominente Künstler gern in Babelsberg gearbeitet hat, wird nur am Rande
ins Szene setzt. Er oder Roman Polanski, Paul Anderson und Stephen Daldry,
Bryan Singer und Tom Cruise geben Nebenparts in der Ausstellung; sie sind
eher Instrumente der PR.
Für die Diktatoren am Set oder die exzentrischen Zauberer à la Hitchcock
hatten die Kuratoren offenbar wenig Sinn. Vielmehr orientiert sich das
Konzept der neuen Schau an dem arbeitsteiligen, ja industriellen Ablauf der
Filmherstellung. "Wir zeigen den Weg des Films von der Idee bis ins Kino",
betont Bärbel Dalichow, Museumsdirektorin in Potsdam. Das war ein cleverer
Impuls. Gelten doch die Filmstudios in Babelsberg, obwohl sie erst ein Jahr
nach Hollywood gegründet wurden, als Wiege dieses kollektiven
Gesamtkunstwerks, das in der Montagetechnik seine kongeniale Entsprechung
spiegelte.
Von Beginn an organisierte das erste Filmunternehmen vor Ort, die
Bioscop-Film, "eine Manufaktur der Träume", die Regisseure,
Drehbuchautoren, Schauspieler, Handwerker, Techniker und Produzenten
zusammenführte. Form und Produktion bildeten bei der Filmherstellung in
Babelsberg eine "ideale Gleichung". So nannte der Filmkritiker Enno Patalas
einmal diese Einheit von Kunst- und Produktionsprozess.
Während der Titel "Traumfabrik" an Hollywood denken lässt und daher ein
wenig in die Irre führt, entwickelt die Schau im langen Marstallgebäude an
der Breite Straße eine starke Suggestion: Von der Stoffentwicklung, vom
Drehbuch und von der Wahl der Schauspieler, über die Entstehung von
Filmarchitekturen und die Aufnahme im Studio mit dem besonderen Equipment,
vom Schnitt, der Synchronisation und Musikbearbeitung bis zur Kinofassung
und Oscar-Auszeichnung durchläuft der Besucher das Labyrinth der
Filmproduktion par excellence. Ausgestattet ist der Weg von der Idee bis
zur Leinwand mit Exponaten, bewegten Bildern und Fotos. Belebt werden die
vielen Fotos und Filme, Masken, Kameras und Tonbandgeräte auf Monitoren
oder hinter Glas von Filmarchitekturen und -geräten: Eine Casting-Box und
Studiokulissen, Schneidetische, wo man sich als Cutter versuchen kann, und
ein Kino steigern die Schau zur Installation, die quasi für Besucher ein
"Reenactment" des authentischen Filmprozesses ermöglichen.
Die neun einzelnen Stationen haben Dalichow und ihr Team "mit 100
Geschichten aus Babelsberg" illustriert, welche die großen Zeiten der Ufa,
Defa und des heutigen Studio Babelsberg feiern. Erzählt werden die
Geschichten am Beispiel großer Drehbücher ("Nackt unter Wölfen", 1963,
Frank Beyer), berühmter Schauspieler (Marlene Dietrich, Hildegard Knef oder
Kate Winslet) oder Filmarchitekten wie Otto Hunter (Die Nibelungen, 1924)
und Uli Hanisch (The International, 2009).
Synonym für die drei Babelsberger Epochen stehen in der "Traumfabrik" auch
die Regisseure Fritz Lang, Heiner Carow (Die Legende von Paul und Paula,
1972) und Roman Polanski (Ghostwriter, 2010 und Der Pianist, 2002) oder
Volker Schlöndorff, die unter vielen anderen aus den 500 Exponaten und 350
Filmausschnitten herausdestilliert werden.
Womit zugleich das erste Problem der neuen Dauerausstellung im Filmmuseum
benannt ist. Statt zentraler Exponate aus der Filmgeschichte in Babelsberg,
haben die Kuratoren überwiegend auf die schiere Masse gesetzt. Drehbücher,
Porträts, Masken, Modelle, die Galerie bekannter Cutterinnen, Filmpreise
und vieles mehr überfallen den Besucher wie ein Tsunami, der wenig übrig
lässt von der Magie des Films und Schönheit auf der Leinwand. Einmal
abgesehen von der Abteilung der Filmbaumeister, die Otto Huntes wunderbare
Modelle für Fitz Langs Filme und die Entwürfe für die "Berliner Straße" auf
dem Studiogelände zeigen, verrennt sich die überladene Schau ins Maßlose.
Weniger wäre mehr!
Oder sollte man die Kritik an die Stadt Potsdam weitergeben? Diese müsste
sich angesichts der Bedeutung des Medienstandorts für ein größeres Museum
entscheiden: 450 Quadratmeter Fläche jedenfalls lassen wenig zu, angesichts
der komplexen Geschichte des Studios.
Unverständlich bleibt zudem, dass gerade die Geschichte dem
positivistischen "Wie-macht-man-Film-Konzept" geopfert wurde. Ist es noch
nachvollziehbar, dass die Museumsleitung die langjährige Ausstellung mit
ihrem Gewicht auf die glorreiche Defa-Ära verändern wollte, so befremdet es
doch, dass die historischen Perspektiven fast unterbelichtet bleiben. Denn
der Filmstandort Babelsberg ist mehr als ein deutsches Hollywood, er
spiegelt deutsche Geschichte und Film- und Kulturgeschichte exemplarisch
wider.
In den Studios Potsdam-Babelsberg fiel 1912 die erste Klappe, seither
werden Filme produziert. Das aufstrebende Filmzentrum nahe der Berlins und
die hervorragenden Drehbedingungen mit großen Studiohallen zogen namhafte
Filmemacher an. Stummfilm-Klassiker wie "Der Golem" (1920), "Metropolis"
(1926) und "Die Frau im Mond" (1929) entstanden dort, sie gehören bis dato
zu den Meisterwerken des expressionistischen Films. 1926 erbaute die Ufa
das so genannte Tonkreuz: Der Vierflügelbau war das modernste Tonstudio
seiner Zeit mit seinen vier kreuzförmig angeordneten Ateliers.Ab 1933
zählte Babelsberg zu den wichtigsten Adressen des NS-Regimes. Goebbels
machte die Ufa zum Propaganda-Instrument. Die Studios wurden ausgebaut,
NS-Filmstars zogen ins nahe Villenviertel am Griebnitzsee. Es entstanden
über 1.000 Filme, darunter der antisemitische Hetzstreifen "Jud Süß"
(1940). Die Dynamik, mit der die Nazis die Produktionen befeuerten,
verschleierte den eigentlichen Niedergang des Kulturstandorts: Regisseure
verließen Deutschland, jüdische Künstler wurden entlassen, deportiert und
ermordet. Die Filmkunst verarmte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte die Defa die Ateliers wiederzubeleben.
Wolfgang Staudtes "Die Mörder sind unter uns" (1946) mit Hildegard Knef war
die erste Nachkriegsproduktion in Babelsberg, wo bis 1990 über 700
Spielfilme realisiert wurden. Babelsberg war der Ort der Filmdissidenten
und der DDR-Apologeten. Nach dem Fall der Mauer wurde der Standort 1992 von
der Treuhand verkauft und die Studios privatisiert. Heute wird das Gelände
von Großproduktionen, für TV-Serien und der Filmhochschule genutzt.
Eine Ausstellung, die das 100. Jubiläum feiert, muss diese Geschichte
reflektieren und auch neu bewerten. Und sie muss weitere Fragen stellen:
Etwa die, welche Nischen des Studios noch nicht ausgeleuchtet wurden und
warum? Das tut "Traumfabrik" nicht, die Ausstellung verweigert sich vielen
Fragen und macht früh Drehschluss. Für eine Jubiläumsschau ist das zu
wenig.
3 Nov 2011
## AUTOREN
Rolf Lautenschläger
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
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