# taz.de -- Offener Brief an die Bundeskanzlerin: #FreeDeniz | |
> Seit 100 Tagen sitzt Deniz Yücel nun in Haft. Seine Situation hat sich | |
> nicht verbessert. Zeit also, um mal ganz oben anzuklopfen. | |
Bild: Seit Februar: Demonstrationen für Deniz | |
Abs.: taz, die tageszeitung, Doris Akrap, Rudi-Dutschke-Str. 23, 10996 | |
Berlin | |
An: Bundeskanzleramt, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Willy-Brandt-Straße 1, | |
10557 Berlin | |
Liebe Bundeskanzlerin, | |
ich schreibe Ihnen heute mal so von Aktivistin zu Aktivistin. Es geht um | |
die [1][Situation unseres gemeinsamen Bekannten Deniz Yücel], die Ihnen | |
sicher auch schon diverse Nächte geraubt hat. Stehen Sie manchmal auch | |
morgens auf und denken: Ich will mein Leben zurück? Oder wenigstens meinen | |
Job? Deniz denkt das. Und ich auch. | |
Seit 100 Tagen bin ich mit Freunden und Kollegen auf Promotion-Tour für | |
[2][#FreeDeniz]. Sie haben sicher davon gehört. Wir hupen, klingeln, | |
singen, lesen. Und die Mithuper, Mitklingler, Mitsinger, Mitleser und | |
Zuhörer werden immer mehr. | |
In Münster fährt man Fahrrad für Deniz, in Bielefeld hält man Kerzen für | |
Deniz, in Bittelbronn läuten mittags die Kirchenglocken für Deniz, an | |
deutschen Schreibtischen schreibt man Briefe für Deniz, in deutschen | |
Theatern liest man Texte von Deniz, vor dem Brandenburger Tor und anderswo | |
singt man Lieder für Deniz. Alle diese Leute machen das freiwillig. Es ist | |
nicht ihr Job. | |
Vom ersten Tag an habe ich mich bei jedem Schritt, den ich gemacht, und bei | |
jedem Wort, das ich gesagt oder geschrieben habe, gefragt: Ist das mein | |
Job? Hilft das oder schadet das? Das fragen Sie sich sicher auch. Also | |
Letzteres. | |
Besser Klappe halten und schweigen? Hoffen, dass der Präsident die | |
Gefangenen freilässt, wenn er merkt, dass sich niemand für ihn | |
interessiert? Ich kann diese Überlegungen nachvollziehen. Aber ich halte | |
sie für falsche Hoffnungen. | |
## Immer wieder daran erinnern | |
Deniz sitzt nicht im Gefängnis, weil er selbst irgendetwas Besonderes getan | |
hätte. Er hat seinen Job gemacht und ist damit einer von Hunderten | |
Journalisten, einer von Zehntausenden Gefangenen, die von der türkischen | |
Justiz und Regierung wegen ähnlich absurder Vorwürfe und noch absurderen | |
weggesperrt werden. | |
Mittlerweile sitzt eine zweite deutsche Staatsbürgerin und Journalistin im | |
Gefängnis: Meşale Tolu. Über Deniz zu schweigen hieße, von allen zu | |
schweigen. Von Meşale, Ahmet, Tunca und Canan. | |
Meine 100-Tage-Bilanz lautet: Deniz nicht aus dem Knast geholt. Die | |
Situation in der Türkei nicht verbessert. Aber: Das war ja auch nie unser | |
Job. | |
Den berühmten Druck, von dem es immer heißt, dass man ihn auf die türkische | |
Regierung ausüben muss, den können wir nicht herstellen. Unser Job ist es, | |
die deutsche Öffentlichkeit immer wieder daran zu erinnern, dass Deniz und | |
all die anderen unschuldig im Gefängnis sitzen, und denen Solidarität zu | |
zeigen, die sich dafür einsetzen, dass Demokratie, dass Presse- und | |
Meinungsfreiheit gewahrt und wieder hergestellt werden. In der Türkei, in | |
Deutschland, in Europa, in Washington, überall. | |
Aber jetzt interessiert mich natürlich brennend, wie Ihre 100-Tage-Bilanz | |
aussieht. Sie haben immer wieder gesagt, dass Sie alles tun, was in Ihrer | |
Macht steht, damit Deniz freikommt. Können Sie uns verraten, was Sie bisher | |
unternommen haben? Ich, wir alle fangen nämlich an zu zweifeln, ob wirklich | |
schon alle politischen Mittel ausgeschöpft sind. | |
## Auf Augenhöhe | |
Sie haben immer wieder betont, dass die Regierung den Dialog mit der Türkei | |
nicht beenden will. Ich bin für Dialog. Aber kann man noch von Dialog | |
sprechen, wenn der Dialogpartner einfach immer „Nein“ sagt? Verstehen Sie | |
mich nicht falsch: Sie haben an verschiedenen Stellen Street Credibility | |
bewiesen. Als der türkische Präsident Sie zur PKK-Unterstützerin erklärte, | |
kommentierten Sie nur trocken, dass Sie nicht auf jede Scheiß-Provo | |
reagieren müssen. Das war – wie man so schön sagt – auf Augenhöhe! | |
Auch saucool: Dass Sie nicht wegen jedem Mist den türkischen Botschafter | |
einbestellen, wie es in Ankara alle paar Tage passiert. Respekt! Aber jetzt | |
mal unter uns: Was ist aus den vor der Verhaftung Yücels begonnenen | |
Gesprächen über deutsche Wirtschaftshilfen an die Türkei geworden? | |
Wolfgang Schäuble hat nur gesagt, dass es schwierig werde, die weiter | |
fortzuführen, solange Yücel weiter in Haft ist. Können Sie nicht einfach | |
mal klar sagen: „Es wird so lange kein Geld fließen, bis Yücel frei ist“? | |
## Die Geldkarte spielen | |
Was ist mit den EU-Verhandlungen über die Zollunion, in denen der Türkei | |
weitere wirtschaftliche Erleichterungen in Aussicht gestellt werden. Können | |
Sie nicht einfach mal sagen: „Es wird so lange keine Verhandlungen geben, | |
bis Yücel frei ist“? Können Sie nicht wenigstens mal die Geldkarte | |
probieren? Einfach, um zu sehen, ob Erdoğan die Gelder aus der EU genauso | |
egal sind wie die Worte der EU? Es könnte ja sein, dass er diese Sprache | |
versteht. | |
Oder wollen Sie wirklich so lange warten, bis sich Erdoğan alternative | |
Märkte erschlossen hat, die ihn aus der deutschen und europäischen | |
Abhängigkeit entlassen? So lange, bis Erdoğan einen alternativen Partner | |
gefunden hat, bevor Sie sich dazu entschlossen haben, einen alternativen | |
Standort zu Incirlik zu beziehen? | |
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will nicht, dass Sie der Türkei | |
endgültig den Zugang zur EU verweigern. Den Gefallen sollten Sie dem | |
türkischen Präsidenten nicht tun. Aber Sie können ihm einen anderen | |
Gefallen verweigern: ihm kein Geld geben. In den 90er Jahren gab es eine | |
von Einwanderern kolportierte liebevoll und metaphorisch gemeinte | |
Charakterisierung der Deutschen: „Immer nur labern, labern. Nix ficken.“ | |
Liebe Frau Merkel, wenn Sie nicht wollen, dass man das auch über Sie sagt, | |
sollten Sie handeln. | |
Herzlich, Doris Akrap | |
23 May 2017 | |
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## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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