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# taz.de -- Kunstprojekt „The Haus“ in Berlin: Warum liegt hier eigentlich …
> Die Street-Art-Ausstellung „Das Haus“ ist bunt, witzig, kreiert die eine
> oder andere Halluzination – und wirft seltsame Fragen auf.
Bild: Wenn Sie in Berlin sind, werfen Sie mal ein Auge ins „The Haus“
In der Schlange ist Sensationslust spürbar. Was steckt hinter dem
Kunsthaus, über das in Berlin zuletzt so viele sprachen? Die Begrüßung in
der Nürnberger Straße ist freundlich, aber bestimmt. „Herzlich willkommen.
Ey, und Leute, keine Fotos. Enttäuscht mich nicht.“ Sagt ein Typ mit
strubbeligen Haaren und schiefem Grinsen.
Geld wird man beim Einlass keines los. Zahlen kann man beim Rausgehen so
viel, wie einem der Besuch wert war. Smartphones, Rucksäcke und Taschen
müssen jedoch geduldig an der Garderobe warten. Denn: Fotografieren ist
verboten, Gepäck unerwünscht in den vielen Räumen, von denen selbst
Klokabinen zur Malfläche umfunktioniert wurden.
Schlicht „The Haus“ nennt sich das Projekt, bei dem sich 165 Künstler ein
leerstehendes Gebäude, ehemals eine Volksbank, aneigneten. Über Wochen
wurden jeder noch so kleine Fleck Wand, die Böden, auch einige Fenster
darin bemalt, beklebt, besprayt. Das Ergebnis ist eine fünfstöckige
Kunstparallelwelt mitten in Charlottenburg. In 80 Räumen und auf mehr als
10.000 Quadratmetern haben hier Künstler zusammengearbeitet, die sonst um
Auftragsarbeiten oder geeignete Sprayplätze in der Stadt konkurrieren.
Knallig ist es geworden, oft witzig, dann wieder düster und ermahnend. Ein
Besuch in „The Haus“ ist ein wenig wie Schlafwandeln. Der Körper bewegt
sich aktiv vorwärts, während die Bilder eine unruhige Fantasiewelt
entstehen lassen, bei der man sich nicht sicher ist: Kreiert gerade mein
Gehirn dieses Bild oder ist es echt? Hängt da ein Pferd kopfüber von der
Decke? Und warum liegt hier Laub?
## Im August wird's abgerissen
Über 30.000 Menschen hat es seit der Eröffnung im April bereits in das
Kunsthaus gezogen. Trotz Wartezeiten von über zwei Stunden bricht der
Andrang nicht ab. Am 31. Mai schließt „The Haus“ bereits wieder, jeder will
noch schnell vorbeischauen. Im August soll das aktuell vor Farbe strotzende
Gebäude abgerissen werden.
Dann entsteht dort etwas, das gegensätzlicher kaum sein könnte: 65
Luxuswohnungen. Rund 28 Millionen Euro soll das Bauprojekt kosten, „Pandion
The Haus“ wird es heißen. Der Name verrät bereits, dass „The Haus“ nicht
etwa die kritische Besetzung des leerstehenden Gebäudes durch die Künstler
ist. Sie kamen auf Einladung des Grundstückbesitzers, des
Immobilienunternehmens Pandion AG.
Berlins Kultursenator Klaus Lederer von der Linken ist Schirmherr des
temporären Street-Art-Tempels. Obwohl an diesem Standort bald
Eigentumswohnungen für Besserverdiener entstehen, unterstütze er das
Projekt: „Ich bin Realist: Mir sind Miethaie lieber, die Freiräume zur
Verfügung stellen, als solche, die das nicht tun.“
Ähnlich sehen das wohl die Organisatoren von „The Haus“ – das
Street-Art-Kollektiv „Die Dixons“ aus Berlin. Sie betreiben eine
Werbeagentur, geben mit gesprayten Bildern Firmen wie Adidas einen
modern-urbanen Anstrich. Sie fragten die Künstler an.
## Malen zu jeder Tages- und Nachtzeit
Ein paar Seitenhiebe in Richtung Immobilienbranche gibt es in „The Haus“.
Etwa der „Money-Dance“, bei dem internationale Geldscheinköpfe vor Berliner
Kulisse tanzen oder der Raum der anonymen Gruppe Rocco und seine Brüder,
die mit dem originalen Stück BVG-Schiene auf die Illegalität vieler
Street-Art-Werke hinweisen. Es bleibt eine erstaunlich einvernehmliche
Kollaboration vermeintlicher Gegenspieler.
Dass ihre Kunst als Wirtschaftsvermarktung instrumentalisiert werden könne,
fürchten die Mitwirkenden nicht. „The Haus“ ist für sie ein Freiraum wie
jeder andere: „Der Wohnungsbau wird auch ohne das Zwischenspiel des
Kunstprojekts stattfinden. Die Mieten der neuen Wohnungen werden durch
deren Lage bestimmt und nicht durch die Bilder, die an dieser Stelle
existiert haben. Uns bereitet jede leerstehende Immobilie größere
Bauchschmerzen. Wenn es nach uns ginge, sollten alle Besitzer ungenutzter
Läden und Geschäftsräume ihre Flächen übergangsmäßig an Kreative vergebe…
sagt etwa Jasmin Siddiqui vom Künstlerduo Herakut. Die Arbeitsbedingungen
seien ideal gewesen: keine nervösen Galeristen, Malen zu jeder Tages- und
Nachtzeit.
Das Thema von Herakut: Hate Speech. In dem dunklen Raum werden bunte
Malstifte von zähnefletschenden Mündern dominiert. Dem traurigen Blick
einer Frau ausweichend, sieht man in der Ecke ein totes Kind liegen. Ein
Zaun aus Fäden trennt die Besucher von der bedrückenden Kunst.
## Das stinkt eben
So unterschiedlich wie die Räume sind auch die Besuchergruppen, die durch
„The Haus“ wandern. „Ey, Alter. Diese Streifen machen mich kirre, lass
weiter“, ruft ein Junge aus einer Schulgruppe. „Meinst du, die Klos darf
man benutzen?“, fragt ein Mädchen ratlos, in einer rosa Plüschtoilette
stehend.
Berliner Schnauzen, Tourigruppen, viele Jugendliche, Graffitiliebhaber mit
gefärbten Haaren. Dazwischen auch Menschen im Business-Outfit, die etwas
unglücklich in einem vergoren riechenden Raum von einer Tafel lesen.
Künstler Señor Schnu kritisiert hier Greenwashing. Das stinkt eben.
Besonders, wenn die Materialien 400 Kilogramm Moos und 200 Kilogramm
Joghurt sind.
Nicht unbedingt in diesem Raum, doch immer wieder streichen Besucher
zaghaft über die Wände, gehen nah an die Graffitis ran. Es ist der typische
Drang, Kunst nicht nur sehen, sondern auch berühren zu wollen.
Ohne Smartphone in der Hand ist die Sinneswahrnehmung wieder intensiv. Es
riecht nach Farbe, die Füße ertasten unsicher verschiedene Bodenbeläge, die
Kunst ist spürbar unter den Fingern. In „The Haus“ muss niemand Angst
haben, Fettflecken auf Glaskästen zu hinterlassen. Keines der Kunstwerke
ist für die Ewigkeit gemacht.
26 May 2017
## AUTOREN
Linda Gerner
## TAGS
Graffiti
Street Art
Zwischennutzung
Street Art
Antifaschismus
Blu
Kunst
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