# taz.de -- Aggressionen im Straßenverkehr: „Kampagnen bringen wenig“ | |
> Warum benehmen sich Autofahrer so rüpelhaft? Und verhalten sich Frauen | |
> anders als Männer? Ein Gespräch mit Psychologe Mark Vollrath. | |
Bild: „Der Raser hält sich selbst für jemanden, der sportlich fährt und nu… | |
taz: Herr Vollrath, wer am Berliner Straßenverkehr teilnimmt, kann fast | |
täglich von Aggressionen berichten. Man wird angehupt, beschimpft, | |
geschnitten, manchmal sogar bedroht oder attackiert. Offenbar eskalieren | |
Aggressionen auf der Straße schneller als in der direkten | |
zwischenmenschlichen Begegnung. Warum ist das eigentlich so? | |
Mark Vollrath: Ein Erklärungsansatz dafür ist die Anonymität, die entsteht, | |
wenn man geschützt in seinem Kasten – sprich: Auto – sitzt. Man wird von | |
den anderen Teilnehmern wenig gesehen, und auf der anderen Seite fehlt der | |
verbale Kanal, um Konflikte frühzeitig zu bearbeiten. | |
Auch Radfahrer sind als aggressiv verschrien, Stichwort: Kampfradler. | |
Das ist ja insgesamt eher ein Mythos, den ein ehemaliger Verkehrsminister | |
in die Welt gesetzt hat. Bei den Radlern ist es tatsächlich so, dass sie | |
durch die vorhandene Infrastruktur an vielen Stellen benachteiligt sind – | |
zu schmale Fahrradwege etwa, die auch noch zugeparkt sind oder im Nichts | |
enden –, das macht es ihnen oft schwer, sich regelkonform und zurückhaltend | |
durch den Verkehr zu bewegen. Abgesehen davon vermute ich, dass die meisten | |
Radfahrer, die man tatsächlich als Kampfradler bezeichnen könnte, sich | |
selber als bei weitem nicht so aggressiv betrachten. Auf Autobahnen ist das | |
genauso: Der Raser, der von anderen als sehr aggressiv empfunden wird, hält | |
sich selbst für jemanden, der sportlich fährt und nur schnell vorankommen | |
will. Da gibt es immer einen Unterschied zwischen Innen- und Außensicht. | |
Wäre es für mehr Empathie im Verkehr von Vorteil, öfter mal das | |
Verkehrsmittel zu wechseln? | |
Ja, man merkt als Autofahrer oft erst, in welcher Position sich | |
Fahrradfahrer oder Fußgänger befinden, wenn man sich in ihre Lage begibt – | |
und umgekehrt. Vermutlich ist der Effekt begrenzt, denn man nimmt die Welt | |
eben doch sehr egozentrisch wahr, und aus der jeweiligen Perspektive erlebt | |
man eine Situation ganz unwillkürlich anders. Aber bestimmte Dinge ändern | |
sich tatsächlich, beispielsweise wenn Autofahrer auch schon auf dem Rad | |
unterwegs gewesen sind. Da wird dann etwa stärker auf den Schulterblick | |
geachtet. | |
Männer verhalten sich im Verkehr deutlich aggressiver – richtig? | |
Ein banaler Effekt ergibt sich dadurch, dass einfach mehr Männer als Frauen | |
Fahrrad und Auto fahren: Das Verhältnis liegt immer noch bei zwei Dritteln | |
zu einem Drittel. Da ist die Chance natürlich höher, einem Mann zu | |
begegnen, der aggressiv auftritt. Und natürlich kennen wir erhöhte | |
Aggressionsbereitschaft von Männern aus vielen Bereichen. Nach unserem | |
Eindruck hat allerdings in den letzten Jahren eine gewisse Angleichung des | |
geschlechtsspezifischen Verhaltens stattgefunden. Frauen nehmen aktiver am | |
Verkehr teil und legen dann auch ähnliche Verhaltensweisen wie Männer an | |
den Tag. Wenn es um Imponiergehabe geht, illegale Autorennen etwa – da | |
dürfte der Männeranteil weiterhin sehr hoch sein. Aber in vielen anderen | |
Fällen möchten Leute einfach vorwärts kommen und machen sich keine Gedanken | |
über die Wirkung. Da stellen wir bei Frauen nicht unbedingt eine höhere | |
Empathie fest. | |
Gibt es kulturelle Unterschiede? Geht es womöglich in Berlin auch beim | |
Verkehr ruppiger zu als anderswo? | |
Ich kenne dazu keine Studien. Trotzdem erscheint es mir plausibel, dass in | |
Berlin eine andere Atmosphäre herrscht als etwa in München, obwohl die | |
Größenordnung ähnlich ist. | |
Und noch ein gefühlter Trend: Die Regelkonformität sinkt kontinuierlich. | |
Inzwischen fahren viele schnell noch bei Rot über die Ampel, überholen | |
rechts oder stellen ihr Auto unerlaubt auf den Behindertenparkplatz. | |
Die Zahlen, die uns vorliegen, lassen nicht den Schluss zu, dass das | |
dramatisch zunimmt. Wir kennen das aus anderen Bereichen: Man hat das | |
Gefühl, dass alles gefährlicher wird, aber wenn man sich die Statistik | |
anschaut, ist die Kriminalität in vielen Bereichen eher rückläufig – auch | |
im Verkehr. Manchmal wird auch die Aufmerksamkeit gezielt gelenkt, etwa | |
wenn die Polizei zwei Monate lang schwerpunktmäßig Fahrradfahrer | |
kontrolliert. Dann häufen sich in dem Jahr scheinbar die Delikte, ohne dass | |
real mehr begangen wurden. Natürlich gibt es ganz real problematische | |
Verhaltensweisen. | |
Zum Beispiel? | |
Wir haben hier in Braunschweig ausgewertet, wie viele Fahrradfahrer nachts | |
mit Licht unterwegs sind, und sind gerade mal auf 50 Prozent gekommen. | |
Anderswo dürfte das ähnlich sein. Es wird massiv unterschätzt, wie wichtig | |
das ist, um von anderen gesehen zu werden. Viele denken sich: Wenn die | |
Straßenbeleuchtung an ist, wozu brauche ich da Licht? Das Bewusstsein für | |
die eigene Gefährdung ist absolut mangelhaft. Überhaupt ergibt sich aus | |
unseren Untersuchungen, dass viele Fahrradfahrer selbst grundlegende | |
Verkehrsregeln gar nicht kennen. Wir haben einmal ein Quiz von 60 Fragen | |
zusammengestellt, die erreichte Höchstzahl lag bei 40 richtigen Antworten. | |
Zum Teil liegt das sicherlich daran, dass solche Regeln nur einen sehr | |
kleinen Teil der Führerscheinprüfung ausmachen und viele Radfahrer gar | |
keinen Führerschein haben. | |
Ließe sich da ansetzen, bei der Fahrausbildung? | |
Das wäre eine Möglichkeit. Aber schon im schulischen Bereich gibt es ein | |
großes Potenzial. Die Verkehrserziehung in der Schule hört meistens schon | |
in der Grundschule auf. Wenn die Jugendlichen mit 16, 17 Jahren noch mal | |
deutlich mehr Rad fahren, wäre das eigentlich ein Zeitpunkt, wo man Themen | |
wie Rücksichtnahme und Regelkonformität trainieren könnte. | |
Können öffentliche Kampagnen das Verkehrsverhalten verbessern? In Berlin | |
wirbt die Verkehrsverwaltung seit Jahren auf Plakaten für den fiktiven | |
Energy-Drink „Rücksicht“, aber das scheint wenig zu bringen. | |
Es bringt tatsächlich ganz wenig, das zeigen alle Studien. Man muss es | |
leider so sagen. | |
Und was muss passieren, damit sich die Atmosphäre auf den Straßen | |
irgendwann wieder entspannt? | |
Gerade beim Radfahren passiert ja viel, es werden viele neue Verkehrswege | |
gebaut. Wenn die zur Verfügung stehen, gehen auch Gründe für Aggressionen | |
verloren. Da erwarte ich tendenziell eine Entschärfung. Aber es hängt | |
natürlich von der jeweiligen Verkehrspolitik ab. | |
3 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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