# taz.de -- Münchner Aktivist Wenzel Cerveny: Der Mann mit dem Hanf ist da | |
> Mindestens zwei Millionen Deutsche kiffen regelmäßig, Cerveny ist keiner | |
> von ihnen. Trotzdem kämpft er seit Jahren für die Legalisierung. | |
Bild: Versteht sich als Kämpfer: Wenzel Cerveny | |
MÜNCHEN taz | Ein Dienstag in der Münchner Innenstadt. Es ist später | |
Vormittag, als sich der Regen eine Pause gönnt. Am Stachus herrscht | |
geschäftiges Treiben. Mittendrin, direkt vor dem Stachusbrunnen, parkt ein | |
ausrangiertes Feuerwehrauto. Hinterm Steuer sitzt Franz Wolf. Er tut, was | |
Schätzungen zufolge mindestens zwei Millionen Deutsche regelmäßig tun: Er | |
zieht an seinem Joint. Papst Franziskus schaut zu, sein Bild klebt neben | |
der Fahrertür. | |
„Der liebe Gott ist überall dabei“, sagt Wolf. „Den braucht man als | |
Kiffer.“ Ein schwerer, süßlicher Geruch macht sich in dem Wagen breit. Der | |
Duft des Verbotenen. Doch Franz Wolf darf. Er hat den „Derf-Schein“ – die | |
Berechtigung Cannabis zu kaufen. | |
Täglich raucht Wolf 15 bis 20 Joints, rund fünf Gramm Cannabis sind das. | |
Manchmal inhaliert er das Gras auch. Eine kostspielige Angelegenheit – aber | |
seit Kurzem übernimmt die Krankenkasse die Kosten für Wolfs Drogenkonsum. | |
Drogen? Unverschämtheit! Wolf bezeichnet sich als „Hochnutzer einer | |
Medizinalpflanze“. Unstrittig ist inzwischen, dass Cannabis ein wirksames | |
Arzneimittel sein kann. So hat der Bundestag eine Gesetzesänderung | |
beschlossen, die es Ärzten ermöglicht, schwerkranken Patienten Cannabis zu | |
verschreiben. Den Stoff gibt es in der Apotheke, die Kassen müssen ihn | |
bezahlen. Seit 10. März ist das neue Gesetz in Kraft. Davor konnten nur | |
rund tausend Deutsche mit einer Ausnahmegenehmigung Cannabis aus der | |
Apotheke beziehen – und das zumeist auf eigene Kosten. | |
Auch Franz Wolf bekam im September 2015 eine Ausnahmegenehmigung. Er leidet | |
unter einer „posttraumatischen Belastungsstörung“. Die Schmerzen seien so | |
groß, erzählt er, dass er ohne Gras den Alltag nicht meistern könne. Seit | |
über zehn Jahren ist er Frührentner. Zum Kiffen kam der heute 50-Jährige | |
schon während der Bundeswehrzeit. Dass das Cannabis auch seine Schmerzen | |
lindert, stellte er bald fest, aber eine Ausnahmegenehmigung zu beantragen? | |
Auf so eine Idee wäre Wolf nie gekommen. | |
## Ein Kämpfer | |
Wenzel Cerveny schon. Er ist der Mann, der ihm den entscheidenden Anstoß | |
gegeben hat. „Einer, der sich kümmert“, sagt Wolf. Cerveny baut in diesem | |
Moment neben Wolfs Auto seinen Stand auf. Auf den Tapeziertisch legt er das | |
Magazin Medijuana, Unterschriftenlisten und Flyer, auch Cannabis-Cider gibt | |
es. Die Wände des Informationsstands sind bedruckte Planen, von Weitem | |
schon erkennt man die typischen Blätter der Hanfpflanze: „Petition – JA zur | |
Legalisierung von Cannabis in Deutschland“, steht da. Oder: „Cannabis | |
Informations- und Therapiezentrum: Jetzt unterstützen und investieren.“ | |
Natürlich hat sich auch Cerveny über die Gesetzesnovelle gefreut. Aber: | |
Obwohl die Ärzte jetzt Cannabis verschreiben können – tun es die meisten | |
nicht. „Die haben zu große Angst, als Kifferarzt abgestempelt zu werden.“ | |
Dabei könnte man vielen Menschen mit Cannabis helfen. Weltweit gebe es | |
Forschungsprojekte über erfolgreiche Heilungen. Selbst bei Krebs könne | |
Cannabis nicht nur Schmerzen lindern, sondern sogar einen Heilungsprozess | |
in Gang setzen. | |
Cervenys Mutter hat Alzheimer, die Krankheit war schon so weit | |
fortgeschritten, dass die Frau ihren eigenen Sohn nicht mehr erkannt hat. | |
In Eigenregie hat die Familie sie mit Cannabis therapiert. Seither, erzählt | |
Cerveny, habe sich ihr Zustand deutlich verbessert. Die Rheumaschmerzen | |
seien weg, sie sei wieder lebenslustig – und ihren Sohn erkennt sie auch | |
wieder. | |
Für Cerveny ist klar: Man muss dem Cannabis sein Stigma nehmen, es | |
legalisieren. Das sagt er auch gleich der grauhaarigen Frau im | |
Daunenmantel, die an den Stand kommt und verkündet: „Ich würde ja | |
unterschreiben, aber nicht für Cannabis als Genussmittel.“ | |
Einige fragen: „Ey, wie viel kostet ein Gramm bei euch?“ Wieder andere | |
suchen Rat – etwa, ob Cannabis ihnen bei ihren Rückenschmerzen oder der | |
Migräne helfen kann. Mancher hält Cerveny für einen Arzt. „Ich bin kein | |
Arzt, ich bin Kämpfer“, sagt er dann. „Man muss ja kein Arzt sein, um – | |
dings.“ Cervenys Sätze verlieren sich manchmal im Nichts, zu schnell muss | |
er weiter. Von der Legalisierungsdebatte geht es dann zur Krebsbekämpfung, | |
zum Hanf als Bioplastik, und, ehe der Zuhörer sich versieht, ist Cerveny | |
bei der Raffgier der Zuckerindustrie angelangt. Sein Ansatz ist | |
ganzheitlich. | |
In wenigen Wochen wird Cerveny 56 Jahre alt. Dass Cannabis mal sein Leben | |
bestimmen würde, war nicht vorgezeichnet. Cerveny wurde im tschechischen | |
Klattau geboren, dann kam der Prager Frühling, die Familie floh, der Bub | |
wuchs in München, Boston und San Francisco auf, landete schließlich als | |
Lehrling im Bayerischen Hof, wurde Wirt. Und blieb es 25 Jahre lang. Sieben | |
Lokale führte er, servierte Klapperschlangen und Känguru und eröffnete dann | |
eine Raucherkneipe. | |
Dann kam das Volksbegehren in Bayern. Der Freistaat wurde zum | |
Nichtraucherstaat, sein letztes Lokal, das Caribic Beach, musste Cerveny | |
bald schließen. Seither gibt es den Gastronomen Wenzel Cerveny nicht mehr. | |
Stattdessen den Aktivisten Wenzel Cerveny. War ohnehin ein eigenartiger | |
Wirt: Cerveny trinkt nicht, raucht nicht, kifft nicht. | |
## Ein Visionär | |
Und dann stand er auf einmal in der Fußgängerzone – und warb für ein | |
Volksbegehren, das Raucherclubs erlauben sollte. Weil sie dem Thema | |
gegenüber als Einzige offen schien, schloss er sich sogar der | |
separatistischen Bayern-Partei an, tingelte durch Bayern, machte Wahlkampf. | |
Für Raucherclubs und ein unabhängiges Bayern. Das Volksbegehren scheiterte, | |
der Einzug in den Landtag ebenfalls. Cervenys Optimismus blieb. | |
Und plötzlich war da ein neues Thema: Cannabis. „Das ist während der | |
Kampagne so oft an mich rangetragen worden, dass ich gesagt habe: Moment | |
mal, das bewegt offenbar die Leute.“ Erst war er neugierig. Dann zornig. | |
„Das ist die größte Diskriminierung seit Menschengedenken“, sagt Cerveny | |
jetzt. Im Jahr 2015 versuchte er erneut, ein Volksbegehren ins Leben zu | |
rufen. Diesmal zur Legalisierung von Cannabis. 37.000 Unterschriften bekam | |
er, doch dann lehnte das Bayerische Verfassungsgericht das Volksbegehren | |
ab. Begründung: Das ist nicht Ländersache. | |
Diesmal soll es deshalb gleich nach Berlin gehen. Per Petition will Cerveny | |
den Bundestag dazu zwingen, sich des Themas anzunehmen. 80 Unterschriften | |
hat Cerveny an diesem Dienstag bis zum frühen Nachmittag gesammelt. Das ist | |
nicht viel. Doch bei gutem Wetter sind es mehr. | |
Die Petition ist aber nur das eine, Cerveny hat noch ein zweites großes | |
Projekt: Er will Deutschlands erstes Cannabis-Therapiezentrum ins Leben | |
rufen. Da sich die Ärzte bisher so zurückhalten, soll das Zentrum eine | |
Anlaufstelle für Schmerzpatienten werden. Geplant sind eine Arztpraxis mit | |
zwei festangestellten Ärzten, ein Hanfladen und ein Restaurant mit | |
Showküche. | |
Für das Projekt braucht Cerveny mindestens eine halbe Million Euro. Um das | |
Geld zusammenzukriegen, setzt er auf Crowd-Investment. Die Fundingschwelle | |
liegt bei 100.000 Euro, bislang sind knapp 30.000 Euro zusammengekommen. | |
Für Cerveny kein Grund zu verzagen. Vielleicht kommt ja noch ein spendabler | |
Mäzen. Und sonst bleibt es erst mal bei einem kleinen Hanfladen, den | |
Cerveny spätestens im Juni in Haidhausen eröffnen möchte. Dort gebe es | |
zumindest mal eine Anlaufstelle und dann werde man schon weitersehen. | |
Cannabispatient Wolf ist skeptisch. „Der Wenzel ist ein Träumer.“ Er | |
erinnert sich noch gut, wie er ihn vor drei Jahren kennengelernt hat. Das | |
war nur ein paar Meter von hier, in der Fußgängerzone. Cerveny hatte gerade | |
wieder den Stand aufgebaut und um Unterschriften für sein | |
Cannabisvolksbegehren geworben. „Was für ein armer Irrer“, dachte Wolf | |
damals. Heute stellt er sich gern dazu. | |
27 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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