# taz.de -- Prozess wegen Hanftee als Droge: Wenig berauschend | |
> Der Handel mit Cannabisprodukten boomt. Auch Hanfladenbetreiber Wenzel | |
> Cerveny profitiert von dem Hype. Doch jetzt soll er vor Gericht. | |
Bild: Über das, was Cerveny tatsächlich gemacht hat, herrscht Einigkeit: Er h… | |
Auf diesen Prozess freut sich [1][Wenzel Cerveny, das merkt man ihm an.] | |
Und das ist auf den ersten Blick keine Selbstverständlichkeit, denn was die | |
Staatsanwaltschaft München dem 59-Jährigen vorwirft, hat es in sich: | |
gewerbsmäßiger Handel mit Betäubungsmittel in 36 Fällen. „Ich komm mir vor | |
wie der Pablo Escobar von Bayern“, sagt Cerveny. | |
Leicht will er es dem Gericht jedenfalls nicht machen, sollte dieses die | |
Cerveny im Oktober zugestellte Anklage zulassen. Mit drei Anwälten werde er | |
anrücken. Dann werde er erst einmal eine [2][140 Seiten lange | |
Richtervorlage vom Amtsgericht Bernau bei Berlin] vorlesen. In der verwies | |
im Oktober 2019 der Jugendstrafrichter Andreas Müller das aus seiner Sicht | |
verfassungswidrige Cannabisverbot zur Prüfung an das | |
Bundesverfassungsgericht. Und Daniela Ludwig, die Drogenbeauftragte der | |
Bundesregierung, möchte Cerveny als Zeugin dabeihaben: Er will, dass diese | |
Sache ausgefochten wird, ein für alle Mal. | |
Über das, was Cerveny tatsächlich gemacht hat, herrscht dabei noch nicht | |
einmal Uneinigkeit. Er hat – für Betreiber von Hanfläden nicht untypisch – | |
Hanfprodukte verkauft: Tees, Öle, Kekse, auch Kleidung, alles Mögliche. Und | |
alles legal. Er handele nur mit THC-freien Produkten, sagt Cerveny. THC, | |
also Tetrahydrocannabinol, ist der Stoff, dem Marihuana seine berauschende | |
Wirkung verdankt. Bei Nutzhanfsorten ist er weitgehend weggezüchtet. | |
Cerveny ist einer, dem es ums Prinzip geht, mehr als ums Cannabis. Gekifft | |
hat er noch nie, für die Legalisierung von Cannabis gekämpft dagegen sehr | |
wohl. Vor allem von dessen medizinischem Nutzen ist er überzeugt. Sein | |
Traum: ein Cannabis-Therapiezentrum. Vor drei Jahren hat er schon mal eine | |
Crowd-Investment-Aktion dafür gestartet. Am Ende kam nicht genug Geld | |
zusammen. Stattdessen eröffnete er seinen ersten Laden hier am | |
Leuchtenbergring in München, wollte dort zumindest auch eine Anlaufstelle | |
für Patienten bieten, beraten. | |
## Alles aus Hanf | |
Über der Theke hängt ein Bildschirm. Ein Beitrag von „Leschs Kosmos“ über | |
Cannabis als Heilmittel läuft in Dauerschleife. Cerveny bittet in den | |
hinteren Teil des Ladens. Sein Büro sind zwei an die Wand geschobene | |
Sessel, umringt von Kleiderständern mit T-Shirts, Hemden, Babykleidung. | |
Alles aus Hanf. | |
Anfangs lief es nicht so gut. Die Kundschaft kam spärlich, der frühere | |
Gastwirt lebte von seinen Ersparnissen. Doch im Lauf des Jahres 2018 zog | |
das Geschäft an, der Umsatz verfünffachte sich. Einen Werbeeffekt brachte | |
auch Cervenys Landtagskandidatur für die FDP. Auf Platz 42 war er für die | |
Liberalen in den Wahlkampf gezogen, die ebenfalls für eine Legalisierung | |
von Cannabis kämpfen. Der Listenplatz war zwar aussichtslos, der Wahlkampf | |
brachte aber die Möglichkeit, die Cannabis-Thematik verstärkt an den Wähler | |
und auch an den Verbraucher zu bringen. Mittlerweile hat Cerveny unter der | |
Marke „Hanf – der etwas andere Bioladen“ elf Geschäfte mit 20 Angestellt… | |
In Kanada soll die Firma im Frühjahr sogar an die Börse gehen. | |
Cervenys besonderer Stolz und Verkaufsschlager ist das CBD-Öl. Eine | |
spezielle Produktion für seinen Laden. Alte ungarische Sorte, in Tschechien | |
angebaut. Natürlich EU-zertifiziert. Die Kundschaft schwört darauf. Die | |
kleinen Fläschchen machen einen Großteil des Umsatzes aus. | |
Seinen Kunden drückt der Händler gern einen Prospekt in die Hand, der über | |
die heilsame Wirkung von Cannabis aufklären soll. CBD, heißt es darin, | |
helfe gegen Parkinson, Krebs und Rheuma sowie bei Schlafproblemen, Migräne | |
und Akne. Es stimuliere den Appetit und helfe beim Abnehmen. Und das ist | |
nur eine kleine Auswahl aus der Liste. Nur Haarausfall fehlt in der | |
Aufzählung. | |
## Angstlösend und antipsychotisch | |
Eine gewisse Wirkung sprechen auch Fachleute dem Cannabinoid nicht ab. „Von | |
Menschen, die CBD nutzen, höre ich auf jeden Fall, dass es positive | |
Wirkungen hat“, erzählt etwa Privatdozentin Eva Hoch. Die Psychologin | |
leitet am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München die | |
Cannabisforschung. „Es soll beispielsweise angstlösend und antipsychotisch | |
wirken. Zum Teil sind die Effekte auch pharmakologisch belegt.“ Es gebe | |
auch in vitro und tierexperimentelle Studien, die auf mögliche Effekte bei | |
Krebserkrankungen hinwiesen. | |
Allerdings gebe es auch Nebenwirkungen, die bei sehr hohen Dosen sogar bis | |
zu Embryo- oder Organschädigungen gehen könnten. Das Feld sei aber noch | |
sehr schlecht erforscht, es gebe keine Langzeitstudien. In jedem Fall sei | |
Hanf eine Pflanze mit sehr vielfältigen Effekten, die gründlich erforscht | |
gehörten. „Aber das Thema polarisiert halt immer noch sehr stark, was der | |
Forschung nicht unbedingt förderlich ist.“ | |
Wenzel Cerveny bekam diese Polarisierung am 11. April 2019 zu spüren, da | |
stand plötzlich die Polizei bei ihm im Laden. Mehr als 180 Polizeibeamte | |
und elf Staatsanwälte seien an der Razzia gegen eine Handvoll Händler | |
beteiligt gewesen, ließ die Staatsanwaltschaft hinterher verlauten, | |
überwiegend in München und Umgebung. | |
Ware für knapp 250.000 Euro Verkaufswert hätten die Polizisten | |
beschlagnahmt, erzählt Cerveny. Nichts davon hat er je wiedergesehen. | |
Stattdessen kam anderthalb Jahre später die Anklage. „Als sie den Tee hier | |
im Laden eingepackt haben, haben sie ins Protokoll geschrieben: 25 | |
Packungen à 150 Gramm Marihuana. Die hantieren bewusst mit falschen | |
Begriffen, [3][obwohl sie wissen, dass das keine Droge ist.“] | |
## Auch im Supermarkt | |
In der Tat scheint es für die Staatsanwaltschaft nicht darauf anzukommen, | |
ob Betäubungsmittel tatsächlich betäuben können. „Für uns spielt ledigli… | |
eine Rolle, ob und wie Produkte vom Betäubungsmittelgesetz erfasst sind | |
oder nicht“, so Oberstaatsanwältin Anne Leiding auf taz-Nachfrage. Wer die | |
Produkte vertreibt, scheint dagegen für die Ermittler schon eine Rolle zu | |
spielen. Die vermeintlich gefährlichen Produkte finden sich auch in den | |
Sortimenten von Super- und Drogeriemärkten. Dort nehmen die Staatsanwälte | |
offenbar keinen Anstoß. | |
Bei ihren Vorwürfen gegen die Hanfläden beruft sich die Staatsanwaltschaft | |
auf denselben Passus des Betäubungsmittelgesetzes, aus dem auch Cerveny | |
sein Recht ableitet, mit Hanfprodukten zu handeln. Der steht in der Anlage | |
I des Gesetzes und besagt, dass Hanfprodukte „verkehrsfähig“ sind, wenn sie | |
aus EU-zertifiziertem Saatgut stammten „oder ihr Gehalt an | |
Tetrahydrocannabinol 0,2 Prozent nicht übersteigt und der Verkehr mit | |
ihnen (ausgenommen der Anbau) ausschließlich gewerblichen oder | |
wissenschaftlichen Zwecken dient, die einen Missbrauch zu Rauschzwecken | |
ausschließen“. | |
Eine zweideutige Formulierung. Sie kann bedeuten, dass der Verkehr in jedem | |
Fall nur gewerblichen und wissenschaftlichen Zwecken dienen darf, die Ware | |
also grundsätzlich nicht an Endverbraucher verkauft werden darf. Sie kann | |
aber auch bedeuten, dass diese Einschränkung nur bei Ware ohne | |
EU-Zertifikat gilt. | |
Dass Gesetze so unklar formuliert werden, ist nichts Neues, sagt der Bremer | |
Rechtswissenschaftler Lorenz Böllinger. Zumindest könne Cerveny deshalb | |
aber mit einem „Verbotsirrtum“ argumentieren, sich darauf berufen, er sei | |
von der Rechtsmäßigkeit seiner Handlung ausgegangen. Er selbst würde die | |
Passage aber ohnehin so auslegen, dass EU-zertifizierte Ware auch an den | |
Endverbraucher verkauft werden darf, so der emeritierte | |
Strafrechtsprofessor. „Eine teleologische Auslegung nennen wir Juristen | |
das. Eine solche Auslegung orientiert sich an Sinn und Zweck der Vorschrift | |
unter heutigen Bedingungen.“ | |
## Fünf-Euro-Joint für 75.000 Euro | |
Bedeutung dürfte auch einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. | |
November zukommen. Demnach dürfen CBD-Produkte nicht als Suchtstoff | |
angesehen werden, ein Vermarktungsverbot darf nur erlassen werden, wenn die | |
Gefahr für die öffentliche Gesundheit nicht auf rein hypothetischen | |
Erwägungen beruht. [4][Rechtssicherheit herrscht damit auf EU-Ebene, was | |
CBD-Produkte angeht, allerdings nicht.] | |
Wie gefährlich also sind Hanftee und Co.? Expertin Hoch ist vorsichtig, das | |
Thema ist heikel: Bisher sei jedenfalls nicht beobachtet worden, dass bei | |
CBD-Produkten mit einem THC-Gehalt unterhalb des Grenzwerts von 0,2 Prozent | |
ein berauschender Effekt eingetreten wäre. [5][Sie verweist auf ihren | |
Kollegen Tom Freeman von der Universität Bath.] Der kam in einer Studie zu | |
dem Ergebnis, dass bei unregelmäßigem Konsum bereits eine Dosis von 5 | |
Milligramm THC eine geringe berauschende Wirkung haben könne. Theoretisch | |
ließe diese sich auch mit Produkten erzielen, deren THC-Anteil in der Nähe | |
des Grenzwertes liegt. Allerdings, so Freeman, bräuchte man davon sehr viel | |
und es würde sehr teuer. | |
Oder wie es die Sendung „Quer“ des Bayerischen Rundfunk jüngst vorrechnete: | |
Man kaufe sich Hanftee für 150 Euro und eine Extraktionsanlage für 75.000 | |
Euro, und schon lasse sich damit ein Fünf-Euro-Joint fabrizieren. Geht | |
doch. | |
14 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Muenchner-Aktivist-Wenzel-Cerveny/!5401680 | |
[2] https://hanfverband.de/sites/default/files/vorlagebeschluss_20_04_2020_amts… | |
[3] https://www.br.de/nachrichten/bayern/drogenskandal-bei-der-muenchner-polize… | |
[4] /EU-erwaegt-CBD-Verbot/!5727052 | |
[5] https://researchportal.bath.ac.uk/en/persons/tom-freeman | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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