# taz.de -- Psychische Folgen für Einbruchsopfer: Der Geruch des Fremden | |
> Die Zahl der Einbrüche in Deutschland ist hoch. Sarah Kuhnt war zum | |
> Tatzeitpunkt zu Hause und denkt nun daran, umzuziehen. | |
Bild: Seit dem Einbruch ist Sarah Kuhnt auf der Suche nach einer neuen Wohnung | |
Der Geruch von muffigen Klamotten und frischem Angstschweiß hing Sarah | |
Kuhnt noch lange in der Nase. Als sie an jenem späten Novemberabend vor | |
zwei Jahren das Fenster zur Straße nach dem Lüften schließen wollte, stand | |
der Gestank mitten im Raum. „Zuerst dachte ich, das kommt von der Straße“, | |
erzählt die 34-Jährige heute. „Aber je näher ich zum Fenster kam, desto | |
dünner wurde der Geruch.“ Jemand musste in der Wohnung sein. Im Nebenzimmer | |
schliefen ihre zwei Kinder. Ihr Herz fing an zu rasen. Doch als sie sich | |
umdrehte, war da niemand mehr. | |
Es war eine Sache von wenigen Minuten: Während Sarah Kuhnt sich im Bad die | |
Zähne putzte, war der Einbrecher durch das offene Fenster gestiegen, hatte | |
die Laptops geschnappt, die auf dem Arbeitstisch lagen, und war durchs | |
Fenster wieder verschwunden. Sarah Kuhnt, eine schlanke pragmatische Frau, | |
war erschüttert. „Es ging mir einfach nicht in den Kopf, wie rücksichtslos | |
Menschen sein können“, sagt sie zwei Jahre nach dem Einbruch. Die Polizei | |
konnte den Einbrecher später anhand von Fingerabdrücken identifizieren: ein | |
1,68 Meter großer Mann aus Bulgarien, vorbestraft. Aber seine Spuren | |
verliefen sich, weil er wohnungslos war. | |
Das Risiko, entdeckt zu werden, ist für Einbrecher gering: Einbrüche | |
gehören zu den Delikten, die durchschnittlich eine niedrige | |
Aufklärungsquote haben. „Wohnungseinbrüche haben bundesweit von 2006 bis | |
2015 um 50 Prozent zugenommen. Jetzt sind die Zahlen leicht rückläufig – | |
vermutlich, weil der Peak erreicht ist“, sagt die Soziologin Gina Rosa | |
Wollinger, die am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen | |
Einbruchsdelikte untersucht. | |
Eine Ursache für den Anstieg der Einbrüche sieht Wollinger darin, dass | |
Wohnungen ein attraktives Ziel für Täter darstellen. „Es gibt da eine | |
Deliktverschiebung: Die Diebstähle von Pkws haben abgenommen, weil die | |
Autos besser gesichert werden. In Wohnungen findet man inzwischen viele | |
teure Geräte wie Tablets und Smartphones, die man leicht mitnehmen kann“, | |
erklärt sie. Gleichzeitig seien Wohnungen schlecht gesichert: Durch das | |
Fenster oder die Tür sei der Einbrecher innerhalb von Minuten in einer | |
Wohnung und wieder draußen. In Berlin waren die Zahlen mit 11.507 | |
Wohnraumeinbrüchen [1][im Jahr 2016 laut der aktuellen Berliner | |
Kriminalstatistik] leicht rückläufig, blieben jedoch auf hohem Niveau. Die | |
Polizei Berlin setzt auf Prävention und Aufklärung und hat eine | |
Koordinierungsstelle für Einbruchsdelikte eingerichtet. | |
## Das Misstrauen blieb | |
Die Kuhnts leben in einer Seitenstraße im Berliner Bergmannkiez, Altbau, | |
Hochparterre, Doppelflügeltüren, hohe Decken. In der Gegend werde immer | |
wieder eingebrochen, erzählt Lars Kuhnt. Im Café um die Ecke warnt ein | |
Schild davor, dass in letzter Zeit vermehrt Taschendiebe unterwegs seien | |
und Gäste ihre Taschen nicht unbeaufsichtigt lassen sollten. Von der | |
gegenüberliegenden Straßenseite kann man in die Wohnung sehen. Der | |
Einbrecher musste sie observiert haben, dachten die Kuhnts nach dem | |
Einbruch. Er musste beobachtet haben, dass sie jeden Abend das Fenster zur | |
Straße zum Lüften öffnen. Gleich am nächsten Tag brachten sie Vorhänge an, | |
räumten das Zimmer um. | |
Wo vor dem Einbruch das Arbeitszimmer war, steht heute ein Sofa mit | |
Kratzspuren der beiden Familienkatzen. An der Wand hängen Kinderbilder, es | |
riecht nach Holzmöbeln und Reformhaus. Die Kuhnts sind vorsichtiger | |
geworden seitdem. Zum Lüften öffnen sie nur noch die Oberlichter und | |
selbst, wenn sie das Haus nur fünf Minuten verlassen, sperren sie alle | |
Türschlösser ab. Doch das Misstrauen blieb. Die Angst, aus dem Zimmer zu | |
gehen, wenn das Fenster offen ist. „Ich bewege mich in dieser Wohnung nicht | |
mehr so wie vorher“, erzählt Sarah Kuhnt. Abends im Bett horcht sie auf | |
jedes Geräusch, das von draußen ins Zimmer dringt. Manchmal schließt sie | |
das Fenster, um nicht hellwach im Bett zu liegen, nur weil unten auf der | |
Straße jemand raucht. „Ich habe in meinem Kopf immer dieses Kino ablaufen: | |
Versucht der hier einzusteigen? Das wird auch nicht mehr weggehen“, sagt | |
sie. | |
Diese Reaktion sei nicht ungewöhnlich, sagt Gisela Raimund, Sprecherin des | |
Vereins zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern, Weißer Ring Berlin. „Ein | |
Einbruch ist ein heftiger Eingriff in die Privatsphäre, der erhebliche | |
psychische Folgen für die Betroffenen hat“, erklärt sie. „Viele Betroffene | |
fühlen sich danach nicht mehr wohl in ihrer Wohnung. Das Gefühl der | |
Geborgenheit ist weg. Das geht bei manchen so weit, dass sie ausziehen | |
wollen.“ | |
Den Einbrechern ist nicht bewusst, dass sie den Opfern psychischen Schaden | |
zufügen, weiß Gina Rosa Wollinger vom Kriminologischen Forschungsinstitut | |
aus Interviews mit Tätern. „Sie versuchen, den Kontakt mit den Bewohnern zu | |
meiden. Viele brechen tagsüber ein, wenn die Bewohner bei der Arbeit sind“, | |
berichtet die Soziologin. „Der Vorteil gegenüber anderen Delikten wie Raub | |
ist, dass Einbrecher niemandem gegenübertreten müssen.“ In ihrem | |
Forschungsprojekt untersucht sie auch die Täterperspektive. | |
„Es gibt nicht den einen Tätertyp. Die Gruppe der Täter ist sehr | |
heterogen“, sagt Wollinger. Wollte man versuchen, die Ergebnisse ihres | |
Forschungsberichts zusammenzufassen, ergäbe sich folgendes Bild: Die Täter | |
sind überwiegend männlich, mehrheitlich in Deutschland geboren und meist | |
vorbestraft. Es gibt reisende Täter ebenso wie solche, die in der Stadt | |
leben, in der sie in Wohnungen einbrechen. Mehr als die Hälfte ist | |
arbeitslos, ein Drittel hat einen Suchthintergrund. „Die Täter handeln aus | |
dem Druck heraus, schnell an materielle Güter zu gelangen, sei es aufgrund | |
einer Sucht oder aus der Perspektivlosigkeit heraus, dass sie mit legalen | |
Mitteln nicht vorankommen“, erklärt Wollinger. | |
## Ständige Alarmbereitschaft | |
Die Soziologin ist überzeugt davon, dass es nicht ausreicht, bei der | |
Einbruchsbekämpfung nur auf die Polizei zu setzen. „Die Zahlen gehen nicht | |
zurück, weil alle Täter weggesperrt werden, das zeigt das Beispiel | |
Autodiebstahl. Kurzfristig kann Prävention effektiv sein, um | |
Wohnungseinbrüche zu reduzieren. Langfristig müssen die sozialen Ursachen | |
für Einbrüche angegangen werden“, sagt sie. | |
Sarah Kuhnt war erleichtert, dass die Polizei wusste, wer der Einbrecher | |
ist. „Gleichzeitig war ich die ganze Zeit in Alarmbereitschaft, wenn ich | |
eine Person gesehen habe, die auf die Beschreibung passt“, erinnert sie | |
sich. Die akute Angst war erst im Frühling nach jener Novembernacht weg, | |
als auf der Straße wieder mehr los war. „Im Winter hört man die Steinchen | |
unter den Schritten. Da hört man auch, wenn jemand stehenbleibt“, sagt sie. | |
Mittlerweile ist der prüfende Blick auf die Türen und Fenster zur Routine | |
geworden. Abgesehen davon erinnert in dem lichten Raum, in dem die Kinder | |
der Kuhnts auf dem Sofa herumtollen, nichts mehr an die Novembernacht vor | |
zwei Jahren. Nach einer anderen Wohnung sucht Sarah Kuhnt seit dem Einbruch | |
trotzdem. Wenn sie eine finden würde, die sich die Familie leisten kann, | |
sagt sie, würde sie sofort ihre Sachen packen. | |
23 Apr 2017 | |
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## AUTOREN | |
Elisabeth Kimmerle | |
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