# taz.de -- Volksbegehren Tegel: Der Überflieger | |
> FDP-Mann Sebastian Czaja hat die Pro-Tegel-Initiative bis zum | |
> Volksentscheid gebracht. Das ist sein zweiter großer Erfolg und macht ihn | |
> zum Mann der Stunde. | |
Bild: FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja ist die treibende Kraft hinter dem Tege… | |
Was macht der Mann eigentlich nach dem 24. September? Die Frage ist ein | |
bisschen zugespitzt, weil man sich mit Sebastian Czaja, 33, durchaus auch | |
über andere Dinge unterhalten kann als über den Flughafen Tegel und warum | |
er trotz des BER offen bleiben soll. Aber es ist eben das Tegel-Thema, das | |
Czaja zum erfolgreichsten Berliner Politiker der vergangenen Monate gemacht | |
hat: Ohne Czaja und seinen Pro-Tegel-Wahlkampf keine FDP im | |
Abgeordnetenhaus, ohne Czaja kein Tegel-Volksentscheid, der mutmaßlich am | |
24. September kommt. | |
Das klingt etwas skurril mit dem Erfolg, weil Czaja ja bloß die kleinste | |
aller sechs Fraktionen im Abgeordnetenhaus anführt. Aber dass Größe allein | |
nicht weiter hilft, weder in Sachen Beliebtheit noch beim Erfolg, haben die | |
Spitzen der drei Koalitionsparteien jüngst in einer Umfrage im Auftrag des | |
Tagesspiegel erleben müssen. | |
Diese Erfolgsgeschichte beginnt weitgehend belächelt kurz vor Weihnachten | |
2015. Die FDP, damals schon über vier Jahre lang nicht mehr im | |
Abgeordnetenhaus, dümpelt in Umfragen zwischen drei und vier Prozent, als | |
eine Initiative namens „Berlin braucht Tegel“ Unterschriften für ein | |
Volksbegehren zu sammeln anfängt. Der Mann dahinter: Sebastian Czaja, nach | |
seinem Ausscheiden aus dem Abgeordnetenhaus 2011 einige Jahre von der | |
politischen Bildfläche verschwunden, aber seit jenem Herbst auf dem neuen | |
Posten eines Generalsekretärs der Berliner FDP. | |
Über die Initiative nur müde zu lächeln, schien berechtigt. Tegel offen | |
halten? Der gesamte Flughafenkomplex war doch für die Zeit nach der | |
BER-Eröffnung schon zwei- bis dreimal verplant: für Wohnen, Lehren, | |
Forschen und sonst noch was. Auch einen klangvollen Namen gab es dafür: | |
Urban Tech Republic. Die Beteiligung in jener ersten Stufe des | |
Volksbegehrens bestätigte die Zweifel: Es kamen zwar binnen vier Monaten – | |
möglich waren sechs – die nötigen 20.000 gültigen Unterschriften zusammen. | |
Aber das war weit entfernt von dem Drive, den später die Initiative für ein | |
Fahrrad-Volksbegehren entwickelte: Da unterschrieben in vier Wochen fast | |
90.000 Menschen. | |
Und wer was das schon, dieser Czaja? Doch eigentlich immer noch der kleine | |
Bruder von Sozialsenator Mario Czaja, 41, von der CDU, der auch Sebastian | |
bis 2005 angehörte. Gut, der war in der FDP-Fraktion dann 2009 | |
Vize-Vorsitzender geworden, aber das lag weit zurück. Und war das nicht | |
der, der Anfang der 2000er-Jahre mal was mit einer Miss Ostdeutschland | |
namens Micaela Schäfer hatte, die später als Nacktmodel bekannt wurde?Im | |
März 2016 ist Czaja dann nicht nur Generalsekretär, sondern auch | |
Spitzenkandidat der FDP. Und positioniert sich als dynamischer Macher. „Wir | |
werden dafür eintreten, dass die Stadt wieder an allen Ecken und Enden | |
funktioniert“, verspricht er beim Parteitag für den Wahlkampf. Und als | |
coolen Macher gibt er, der sein Geld bei Bauunternehmen verdient hat, sich | |
dann auch im Wahlkampf, in schicken Anzügen und mit Haartolle, aber nicht | |
ganz so abgehoben und guttenbergmäßig gegelt wie die frühere Berliner | |
FDP-Größe Martin Lindner. | |
Wer genauer hinschaut, fühlt sich bei der Konzentration auf Tegel an die | |
Ein-Thema-Methode erinnert, mit der beide Czajas in ihrer Heimat | |
Marzahn-Hellersdorf Erfolg hatten: Mario beim gegen das | |
„Straßenausbaubeitragsgesetz“, eine auf den ersten Blick dröge Materie, d… | |
aber bei den vielen Eigenheimbesitzern in seinem Wahlkreis große Wirkung | |
hatte. Und Sebastian mit dem Schornsteinfegermonopol: Was manche eher für | |
einen Witz hielten, füllte bei einem von ihm organisierten Infoabend eine | |
Turnhalle. | |
In den Sommerferien 2016 hängen dann plötzlich Wahlplakate an den Laternen, | |
wie sie Berlin noch nicht kannte: knallige Farben, rot, lila, blau und | |
Czajas Gesicht – nicht fotografiert, sondern in einer Mischung aus Pop Art | |
und sozialistischem Realismus. Prägendster Slogan: „Ihr Ticket für Tegel“. | |
Die Reaktion bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September: Während SPD und | |
CDU durchsacken und auch die Grünen nicht überzeugen, kehrt die FDP mit 6,7 | |
Prozent, mehr als in jeder Prognose, ins Abgeordnetenhaus zurück und | |
vervierfacht damit fast ihr Ergebnis von 2011. Czaja selbst lässt politisch | |
seine Ostvergangenheit hinter sich, kandidiert statt in Marzahn in | |
Steglitz-Zehlendorf, wo er auch FDP-Vizechef ist. | |
Und während der CDU-Czaja zwar mit Rekordergebnis seinen Wahlkreis gewinnt, | |
sich aber vom Senatorenamt verabschieden muss und vorerst Hinterbänkler | |
wird, rückt Ende Oktober bei der ersten Sitzung des neu gewählten | |
Abgeordnetenhauses FDP-Czaja als Fraktionschef in die erste Reihe. Er ist | |
nun endgültig aus dem Schatten des Bruders heraus. | |
Das Tegel-Thema allerdings scheint sich im Wahlerfolg abgenutzt zu haben, | |
als Czaja und seine Leute im Dezember in die zweite Sammelstufe einsteigen, | |
um jene 174.000 Unterschriften zusammenzubekommen, die für einen | |
Volksentscheid nötig sind: Nach der Hälfte der viermonatigen Sammelzeit | |
liegen der Landeswahlleitung erst rund 30.000 Unterschriften vor, von denen | |
erfahrungsgemäß jede fünfte bis sechste ungültig ist. | |
Doch das ändert sich nach immer neuen BER-Querelen und vor allem der Absage | |
der für 2017 angekündigten Eröffnung des Großflughafens Ende Januar. Czajas | |
Volksbegehren funktioniert fortan als Ventil fürs Frustablassen über all | |
das, was in Schönefeld schief läuft, von der Personalwahl bis hin zu immer | |
neuen kaum fassbaren Baupannen. Rund 200.000 gültige Unterschriften stellt | |
die Wahlleitung schließlich fest, 30.000 mehr als nötig. | |
Viel deutet darauf hin, dass Czaja auch nach dem 24. September viel zu tun | |
haben wird, denn nach einer Umfrage vom März wollen sogar drei von vier | |
Berlinern Tegel offen halten. Überraschenderweise bekommen die | |
FDP-Volksbegehrer Rückendeckung vom Verein Mehr Demokratie, dessen | |
Bundesvorsitzender seit Herbst für die mitregierende Linksfraktion im | |
Abgeordnetenhaus sitzt: Der Landesverband des Vereins mahnt den | |
rot-rot-grünen Senat, einen erfolgreichen Volksentscheid nicht zu | |
ignorieren, sondern ernsthafte Verhandlungen aufzunehmen – dazu gebe es | |
eine „politische und moralische Pflicht“. | |
12 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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