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# taz.de -- Diskussion um Altersarmut: So wie wir heute arbeiten
> Was ist das denn für ein Leben? Selbst privilegierte junge Menschen
> sorgen sich um die Zukunft. Nehmt uns die Angst, gebt uns die
> Einheitsrente.
Bild: Ob sie auch schon an die Rente denkt?
Die Frida-Hockauf-Methode war eine in der DDR verwendete Arbeitsmethode zur
Steigerung der Arbeitsproduktivität. Benannt war sie nach der Weberin Frida
Hockauf, die Anfang der fünfziger Jahre mehrere Webstühle zeitversetzt
bedient hatte und eine Planübererfüllung erzielte.
Die DDR-Propaganda stilisierte die wackere Proletarierin zur Stilikone und
legte ihr den fortan gerne von den Parteioberen zitierten Slogan „So wie
wir heute arbeiten, werden wir morgen leben“ in den Mund, ein Spruch, der
in seiner Zukunftsgläubigkeit genau so aus dem Mund von Konrad Adenauer
hätte stammen können, dem Begründer des legendären und früher mal prima
funktionierenden westdeutschen Rentensystems.
„Die Rente ist sicher“, so sprach einst der damalige Arbeitsminister
Norbert Blüm, zuletzt anlässlich der Rentenreform im Jahr 1997 – der Satz
wurde zum Running Gag für die Generation der um 1970 Geborenen, denen man
bereits im zarten Jugendalter vorsichtig mitzuteilen versuchte, dass sie es
später schlechter haben würden als ihre Eltern: Generation X.
Im Jahr 2017 ist es nun längst zum Allgemeinplatz geworden, dass „wir“ mehr
oder weniger frohgemut der Altersarmut entgegenblicken – während längst die
„Generation Z“ am Start ist, deren Mitglieder etwa zwischen 1995 und 2010
zur Welt kamen (fast hätte man geschrieben: auf den Markt kamen) und von
denen man noch nicht allzu viel weiß, außer dass sie mit dem Touchpad
sozialisiert wurden.
Nun hat es sich die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit zur Aufgabe gemacht,
im Rahmen einer Serie Mitglieder ebenjener Generation vorzustellen. Zum
Beispiel einen jungen Mann namens David Sheldrick, 21 Jahre alt und frei
jeglicher Jeunesse-dorée-Anwandlungen: „Ich will doch nur ein Haus und zwei
Autos“, so [1][beschreibt der junge Mann] seinen Traum von Zukunft und
beklagt sich, dass er und seine Frau mit ihrem Nettoeinkommen von 5.000
Euro nicht einmal in der Lage seien, ein Auto zu erwerben, geschweige denn
ein Haus – und dass er Angst um seine Zukunft habe, insbesondere um die
Rente.
Das sind freimütige Z-Bekenntnisse, die für Partystimmung in der
Leserkommentarspalte sorgen. Lustvoll schnarren die Rentner und Häuslebauer
mit Internetanschluss, andere wundern sich, an welches Automobil er denn um
Gottes willen gedacht hatte, und ein User namens „Topverdiener“ fragt zwar
fassungslos: „Welcher Typ ist denn mit 21 Jahren verheiratet“, verbleibt
aber mit dem Lob: „Ansonsten ein anständiger Bursche“.
Ja, einer schlagenden Burschenschaft hatte sich der junge Mann zu allem
Überfluss auch noch angeschlossen – aber doch hat er – the kids are alright
– einen Punkt, wenn er sagt: „Trotzdem fühle ich mich ohnmächtig. Meine
finanzielle Zukunft ist vollkommen unvorhersehbar. Ich bin mir sicher, dass
die staatliche Rente nicht an mich ausbezahlt wird. Jedoch bleibt kein
Investment in der heutigen Welt bis ins hohe Alter irgendwie sicher. Es
gibt keine Sicherheit, kaum Rendite. Ich kann Geld sparen, aber dann frisst
die Inflation oder Nullzinspolitik den Wert des Geldes.“
## Täglich ein Apfel
Am Beispiel von David Sheldrick, der sich hier selbst ans Kreuz nagelt –
stellvertretend für seine Generation, die ihren Enkeln gerade noch vom
Verbrennungsmotor wird erzählen können – kann man ermessen, was mit
Menschen geschieht, die ihr Leben in Sorge vor der Zukunft verbringen
müssen. Oder einfach nicht ausreichend in der Lage sind, solche Gefühle zu
unterdrücken. Menschen, die womöglich auch noch glauben, was man ihnen
eingetrichtert hat, nämlich dass sie selbst schuld sind an ihrer Misere.
Weil sie nicht genug privat vorgesorgt haben – obwohl dies aufgrund der
prekären Verhältnisse eigentlich kaum möglich ist. So empfiehlt eine
aktuelle Studie des Sinus-Instituts im Auftrag des deutschen
Versicherungswesens den vielen jungen Menschen, die nicht ausreichend
Altersvorsorge betreiben, den „Verzicht auf unmittelbare
Bedürfnisbefriedigung“ und mehr „Anstrengung“, um im Alter gesünder,
sozialer und finanziell sicher zu leben. Empfohlen wird im Übrigen auch der
tägliche Verzehr eines Apfels, und zwar möglichst am Nachmittag.
Das mit dem Apfel wäre sicher noch die einfachste Übung, aber doch
erscheint der gut gemeinte Ratschlag fast schon zynisch angesichts all der
Prekären und Geringverdienenden, die schlicht nicht in der Lage sind, der
Gegenwart Ressourcen abzutrotzen, die in der Zukunft für Sicherheiten
sorgen könnten.
Zudem verhält es sich mit dem moralisch verbrämten Neoliberalismus –
kümmere dich selbst, die Reichen bekommen das doch auch prima hin – ein
wenig wie mit dem Gebrauch von Zahnseide: Der Mensch an sich ist nur
bedingt zur Prophylaxe fähig und tendiert zum
Hans-Guck-in-die-Luft-Verhalten. Wenn die Sonne scheint, kauft er sich eben
lieber ein Eis, anstatt Notgroschen im dunklen, feuchten Keller zu
vergraben, unter dem Sauerkrautfass.
## Mit 70 kein Auto?
Und mal ehrlich: Ist es nicht am Ende erstrebenswerter, in dem Bewusstsein
zu leben, dass der Augenblick zählt, anstatt sich schon mit 21 ins Hemd zu
machen, weil man sich Sorgen darüber macht, ob man sich mit siebzig Jahren
noch ein Auto wird leisten können? Was ist denn das für ein Leben?
Alle reden über das Grundeinkommen, dabei wäre es im Interesse des
gesellschaftlichen Wohlbefindens mindestens genauso wichtig, endlich eine
vernünftige Altersgrundversorgung für alle zu schaffen. Die meisten
zukünftig Armen trösten sich zwar schon jetzt damit, dass der Gesellschaft
wohl nichts anderes übrig bleiben wird, als eine Art Einheitsrente zu
schaffen – wie diese aber konkret aussehen oder bewerkstelligt werden soll,
weiß keiner. Und was, wenn daraus nichts wird?
Die Rente muss sicher sein. Gleich mehrere Generationen, von X bis Z, in
Ungewissheit zu stürzen oder ihren Ängsten zu überlassen oder mit einem
Apfel zu beruhigen kann auf Dauer nicht die Lösung sein – sogar der
schlagende Burschenschaftler David Sheldrick droht schließlich in seinem
Text damit, sich in Zukunft ernsthaft politisch zu betätigen, um seine
rentenpolitischen Ziele zu erreichen. Will man das?
2 Apr 2017
## LINKS
[1] http://www.zeit.de/campus/2017-03/zukunft-generation-z-sicherheit-arbeitspl…
## AUTOREN
Martin Reichert
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