Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ärztliche Versorgung in Niedersachsen: 100 Kilometer für eine Abt…
> Laut Gesundheitsministerium wollen in Niedersachsen nur drei Kliniken
> keine Abtreibungen durchführen. Das stimmt nicht.
Bild: Wirft seine Schatten auf Niedersachsens Kliniken: der Vatikan
BREMEN taz | Niedersachsens Gesundheitsministerium weiß nach eigenen
Angaben nur von einer Klinik, in der im Bundesland nicht abgetrieben werden
kann. Das geht aus einer Antwort von Gesundheitsministerin Cornelia Rundt
(SPD) auf eine Anfrage der FDP im Landtag hervor.
Der Anlass: In Niedersachsen hatten kurz hintereinander zwei Kliniken – in
[1][Dannenberg] und im [2][Landkreis Schaumburg] – für Schlagzeilen in
überregionalen Medien gesorgt, weil sie Frauen Abtreibungen verweigerten.
In beiden Fällen wurde diese Entscheidung rückgängig gemacht. Aber wie
sieht es sonst in Niedersachsen aus? Das wollte die FDP von der
Gesundheitsministerin wissen. Deren Antwort: Bekannt sei ihr nur noch eine
Klinik, die keine Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Die in Rotenburg an
der Wümme, die ebenfalls vom evangelikalen Agaplesion-Konzern betrieben
wird.
Diese Aussage verblüfft, weil allgemein bekannt sein sollte, dass Kliniken
in katholischer Trägerschaft generell keine Abbrüche nach der
Beratungsregelung bis zwölf Wochen nach der Empfängnis an. Nach der
katholischen Lehre gelten Schwangerschaftsabbrüche als [3][„schwere
Sünde“].
22 katholische Kliniken mit Gynäkologie-Abteilungen gibt es in
Niedersachsen nach Auskunft des katholischen Krankenhausverbands
Deutschlands. Noch mehr hat nur Nordrhein-Westfalen. Deshalb können Frauen
in Niedersachsen gleich in mehreren Landkreisen nicht in die Klinik zum
Schwangerschaftsabbruch.
Zwar finden, wie die Gesundheitsministerin in ihrer Antwort auf die FDP
schreibt, die meisten dieser Eingriffe bei niedergelassenen GynäkologInnen
und in Tageskliniken statt. Im Jahr 2016 ist der Anteil von ambulanten
Abbrüchen in Kliniken sogar noch einmal gesunken, auf 28,2 Prozent.
Doch es gibt nach [4][Recherchen der taz] in Niedersachsen fünf Landkreise,
in denen auch niedergelassene FrauenärztInnen Abtreibungen entweder gar
nicht oder nur in Ausnahmefällen und nur für eigene Patientinnen anbieten.
Dies sind das Emsland, die Grafschaft Bentheim sowie die Landkreise
Cloppenburg, Vechta und Diepholz.
Ungewollt Schwangere, die in diesen Regionen wohnen, müssen zum Teil über
100 Kilometer fahren, um die Schwangerschaft abbrechen zu können.
Für viele Frauen, die in Niedersachsen weite Strecken für einen
Schwangerschaftsabbruch fahren müssen, stellt das ein finanzielles Problem
dar: Frauen mit geringem Einkommen werden nur die Kosten für den Abbruch
erstattet, nicht aber die für Hin- und Rückreise. Zudem verlangen Kliniken
und ÄrztInnen, dass die Patientinnen wie nach jeder ambulanten Operation in
Vollnarkose in Begleitung nach Hause fahren.
Das bedeutet, dass die Frauen den Eingriff nicht heimlich vornehmen lassen
können, sondern sich jemand anvertrauen müssen, der oder die sie begleitet.
„Viele sind verzweifelt, wenn ihnen das klar wird“, sagt Anne
Coßmann-Wübbel, eine Sozialarbeiterin, die im emsländischen Lingen Frauen
die für einen Abbruch benötigte Beratungsbescheinigung ausstellt.
Die Alternative wäre ein Abbruch mit örtlicher Betäubung oder ein
medikamentöser – aber beides wird in Niedersachsen in vielen Regionen nicht
angeboten. Frauen aus dem Nordwesten müssen nach Bremen fahren, in die
Tagesklinik von Pro Familia. Die Hälfte der Frauen, die dort eine
Schwangerschaft abbrechen, kommen aus Niedersachsen.
Für Niedersachsens Gesundheitsministerin Cornelia Rundt gibt es dennoch
keine erkennbaren Versorgungslücken, wie sie in der Antwort auf die
FDP-Anfrage schreibt. Das hatte sie zuvor auch der taz gesagt. „Bisher
hatte und hat auch weiterhin jede Frau in Niedersachsen die Möglichkeit,
‚wohnortnah‘ eine Klinik oder Praxis für einen Abbruch zu erreichen“,
teilte ihre Sprecherin in einer Mail mit.
Die Frage, wie weit die Wege maximal sein sollten, beantwortete sie mit dem
Verweis auf das [5][Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993]. Darin
steht, es könne „der Schwangeren eine Hilfe in der Not sein, wenn sie für
einen ersten Arztbesuch die An- und Rückreise – auch mit öffentlichen
Verkehrsmitteln – an einem Tag bewältigen kann“. Verpflichtet sind die
Länder zu nichts. Im Schwangerschaftskonfliktgesetz heißt es lediglich:
„Die Länder stellen ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer
Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicher.“
Immerhin will sich Rundt laut ihrer Sprecherin dafür einsetzen, dass die
bestehenden Angebote erhalten bleiben, vor allem dann, wenn kommunale
Kliniken an konfessionelle Träger verkauft oder mit ihnen fusioniert werden
wie im Landkreis Schaumburg. Sie werde „darauf hinwirken, dass der
Verantwortung zur Vorhaltung eines entsprechenden Angebotes in diesem
Bereich weiterhin Sorge getragen wird“. Sie hat allerdings nur die
Möglichkeit, damit zu drohen, Investitionszuschüsse nicht zu gewähren.
3 Apr 2017
## LINKS
[1] /Klinik-verweigert-Abtreibungen/!5378291
[2] /No-Choice-im-Krankenhaus/!5355366
[3] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-11/katholische-kirche-pa…
[4] /Abtreibung-in-Deutschland/!5386152
[5] http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv088203.html
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Frauen
Schwerpunkt Abtreibung
Gesundheitspolitik
Klinik
Kirche
Schwerpunkt Paragraf 219a
Schwerpunkt Abtreibung
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Abtreibung
Schwerpunkt Abtreibung
Niedersachsen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Evangelikale Christen beraten nach Abtreibungen
Ein evangelikaler Klinikkonzern will Frauen nach einer Abtreibung eine
„begleitende psychosoziale Betreuung“ anbieten. Neutral und ergebnisoffen
kann diese nicht sein.
Wahl in Niedersachsen: Der lange Weg zur Abtreibung
Ungewollt Schwangere müssen in Niedersachsen oft weit fahren, um
abzutreiben. Vor der Landtagswahl interessiert das weder Regierung noch
Opposition.
Interview zur Abtreibungspraxis: „Inakzeptabel, dass Frauen sterben“
Es ist nicht die Aufgabe des Staates, Frauen zu zwingen, ein Kind
auszutragen, sagt der österreichische Gynäkologe Christian Fiala.
Abtreibung in Deutschland: Die ungewollte Patientin
War das Abtreibungsverbot des Arztes in Niedersachsen eine Ausnahme?
Recherchen zeigen: In vielen Regionen bieten Kliniken keine Abbrüche an.
Klinik in Dannenberg: Abtreibungen weiterhin möglich
Die Capio-Kette, die auch die Elbe-Jeetzel-Klinik betreibt, gibt nach. Sie
will sich nun von ihrem christlichen Chefarzt der Gynäkologie trennen.
Kommentar Abtreibungsverbot: Frau, Schwangerschaft, Mutter?
Könnte der Dannenberger Fall eine Vorreiterrolle einnehmen? Nicht nur
Frauen dürfen hierzulande entscheiden, ob sie abtreiben.
Klinik verweigert Abtreibungen: Der Arzt, der weiß, was Frauen wollen
Die einzige Klinik eines Landkreises bietet keine Abtreibungen mehr an. Der
neue Gynäkologie-Chef ruft Frauen zu Verhütung auf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.