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# taz.de -- Proteste gegen Korruption in Russland: Im Zeichen der Sportschuhe
> In vielen Städten geht die Polizei hart gegen die Demo-Teilnehmer vor.
> Ein Moskauer Gericht verurteilt Kundgebungsorganisator Nawalny.
Bild: Schnell verurteilt: Alexei Nawalny spricht im Gerichtssaal vor Journalist…
Berlin taz | Ein Gericht in Moskau hat den Blogger und Aktivisten Alexei
Nawalny zu 15 Tagen Haft verurteilt. Nach Ansicht der Richter hatte er sich
am vergangenen Wochenende bei einer Demonstration in der russischen
Hauptstadt seiner Festnahme widersetzt. Zudem muss Nawalny 325 Euro
Geldstrafe zahlen, weil er zu der nicht genehmigten Kundgebung aufgerufen
hatte.
In 99 russischen Städten hatten in den vergangenen Tagen Zigtausende gegen
die bis in die Spitzen der Regierung verbreitete Korruption demonstriert.
Symbol der Proteste waren Sportschuhe – und unfreiwilliger Erfinder dieses
Symbols ist Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedjew, dem Nawalny nicht
nur seine Vorliebe für teure Treter vorwirft, sondern auch massive
Korruption.
Während die Polizei von 8.000 Demonstranten allein in Moskau spricht, geben
die Veranstalter eine Zahl von 30.000 an. Das ist auch erstaunlich, weil
Nawalny die Proteste allein über soziale Netzwerke im Internet vorbereitet
hatte. In den offiziellen russischen Medien kamen die Demonstrationen nicht
vor – dabei waren sie nicht nur wegen ihrer Teilnehmerzahl ein Rekord: Noch
nie hat es im postsowjetischen Russland derart viele Verhaftungen gegeben.
Die Menschenrechtsorganisation OVD-Info spricht von 1.030 am Sonntag allein
in Moskau.
Auch in der Provinz geht die Polizei mit Härte gegen eine sich
herausbildende Protestbewegung vor. In Wolgograd leiteten die Behörden ein
Strafverfahren gegen einen Studenten wegen dessen Teilnahme an einer
Demonstration ein. Dort waren 28 Antikorruptionsaktivisten vorübergehend
festgenommen worden. Im südrussischen Kuban wurden zwei Organisatoren einer
für den Dienstag geplanten Bauernkundgebung festgenommen.
## Vorwiegend junge Menschen demonstrieren
Vieles ist neu an den Demonstrationen vom Wochenende. Während die
traditionelle Opposition und Menschenrechtler den Aktionen weitgehend
ferngeblieben waren, hatten sich vorwiegend junge Menschen auf die Straße
gewagt. Viele von ihnen hatten noch bei den letzten Wahlen für Putin
gestimmt.
„Ich weiß, dass in den Polizeibussen noch Plätze frei sind“, so ein
Demonstrant am Sonntag gegenüber dem Internetkanal Doschd. „Doch meine Wut
auf die Korruption ist größer als meine Angst. Wer nichts riskiert, wird
sein ganzes Leben in Angst leben.“ Schnell hatte sich die Moskauer
Demonstration von einer Kundgebung gegen Korruption zu einer gegen Putin
gewandelt. „Für ein Russland ohne Putin“, lauteten immer wieder
Sprechchöre.
Mit den jüngsten Demonstrationen dürfte Alexei Nawalny, der in Moskau
sofort nach seinem Eintreffen auf der Aktion verhaftet worden war,
endgültig landesweit bekannt geworden sein. Das war nicht immer so. Lange
Zeit war er nur in den russischen Metropolen bekannt. Der Mann, der schon
frühzeitig seine Kandidatur für die russischen Präsidentschaftswahlen 2018
angemeldet hat, war vor allem mit seinen Enthüllungen zu Korruption in
Staat und Gesellschaft bekannt geworden. Er hat sich bei vielen Unternehmen
als Aktionär eingekauft und von den Geschäftsleitungen die Offenlegung von
Firmendaten verlangt. Bei den Wahlen zum Moskauer Oberbürgermeister 2013
hatte Nawalny einen Stimmenanteil von 27 Prozent und damit den zweiten
Platz erobern können.
Trotzdem gibt es in der Putin-feindlichen Opposition viel Kritik an
Nawalny. Juri Samodurow, ehemaliger Direktor des Moskauer
Sacharow-Zentrums, kritisiert, dass dem Blogger und Aktivisten ein
überzeugendes Konzept und klare Ziele fehlten. Es reiche nicht, so
Samodurow, nur gegen Korruption zu sein und den Rücktritt des
Premierministers oder auch des Präsidenten zu fordern. Auch soziale Fragen
gehörten in jedes ernst zu nehmende politische Programm.
Ein Präsidentschaftskandidat, so Samodurow, müsse sich auch für eine
progressive Steuergesetzgebung, gegen die weitere Spaltung der Gesellschaft
in Arm und Reich und für den Zugang aller Schichten der Bevölkerung zur
Bildung einsetzen. Und er erwarte auch, dass der Kandidat gegen die
vorgehe, die für die Annexion der Krim verantwortlich seien.
## Rechtsnationalistische Programmatik
Dr. Wadim Damier, Historiker und Politologe von der Russische Akademie der
Wissenschaften, kritisiert Nawalnys rechtsnationalistische Programmatik.
„Er ist ein offener russischer Nationalist. Er wurde wegen Nationalismus
aus der liberalen Jabloko-Partei ausgeschlossen, organisierte dann den
‚Russischen Marsch‘ der Neonazis und Straßenkundgebungen unter der Parole
‚Es reicht, den Kaukasus weiter zu ernähren‘. Seine Antikorruptions-Themen
sind rechtem Populismus sehr nahe. Aber die katastrophale neoliberale
soziale Wirtschaftspolitik des autoritären Putin-Regimes mit seiner
gigantischen Polarisierung von Reichtum und Armut öffnet diesem rechten
Populismus den Weg.“
„Navalny geht es nicht nur um Korruption, sondern auch schon um die
nächsten Präsidentschaftswahlen. Klar, die Protestierenden waren gegen die
Regierung. Das heißt aber noch nicht, dass sie deswegen für Navalny sind.
Doch Navalny bindet diese Demonstrationen und die allgemeine
Unzufriedenheit der Bevölkerung in seine Strategie der Machteroberung ein“,
so Damier.
„Wenn die Regierung geschickt ist, wird sie die jüngsten Demonstrationen
nutzen“, äußerte sich eine Moskauer Wissenschaftlerin gegenüber der taz.
„Sie wird sich den Kampf gegen die Korruption selbst auf ihre Fahnen
schreiben. Anschließend wird man einige führende Beamte wegen Korruption
festnehmen und der Bevölkerung einen Kampf gegen die Korruption
vorgaukeln.“ Und so ganz nebenbei könne sich die Regierung in diesem neuen
Kampf gegen die Korruption einiger unliebsamer Regierungsvertreter
entledigen.
Die Proteste in Russland gehen weiter: Am Montag traten Tausende
Lastwagenfahrer in den Streik, um gegen eine Erhöhung der Straßenmaut zu
protestieren.
27 Mar 2017
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Russland
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Schwerpunkt Korruption
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