Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gentrifizierung in Kreuzberg: „Wir haben einen Fehler gemacht“
> Der Hauseigentümer, der der Filou-Bäckerei kündigen wollte, über seinen
> Umgang mit den Protesten und warum der Laden jetzt doch bleiben darf.
Bild: Protest bringt manchmal doch was: Demo gegen Gentrifiezierung in Kreuzber…
taz: Mister Skinner, Sie sind Eigentümer des Hauses in der Reichenberger
Straße, in dem sich die Bäckerei Filou befindet. Sie wollten der Bäckerei
erst kündigen. Haben Sie inzwischen einen neuen Mietvertrag unterschrieben?
Charles Skinner: Wir haben am Dienstag gemeinsam einen Vorvertrag
unterschrieben, der richtige Vertrag muss erst juristisch korrekt
formuliert werden.
Was sind die Konditionen, zu denen die Bäckerei bleiben kann?
Was wir vorgeschlagen haben, ist ein neuer Typ von Vertrag. Der Vertrag der
Bäckerei läuft aus. Wir finden es ziemlich unfair, das wir bei dieser Sache
alle Macht haben. Deshalb soll es beim neuen Vertrag nach drei Jahren eine
automatische Verlängerung um fünf Jahre geben. Und nach fünf Jahren wieder
eine Verlängerung um fünf Jahre. Im Moment zahlt die Bäckerei eine Miete
von 930 Euro pro Monat. Dabei soll es auch in den nächsten drei Jahren
bleiben.
Es gibt keinerlei Mieterhöhung?
Nein, darum ging es uns aber auch nie. Seit 2006, als wir das Haus kauften,
haben wir die Miete kaum erhöht. Damals betrug sie 905 Euro. Wir haben eine
neue Heizung eingebaut und trotzdem nur 25 Euro mehr verlangt. Die Miete
war nicht der Punkt. Wir hatten Probleme mit der Bäckerei.
Welche?
Der Bäcker nutzte Kellerräume, die er nicht gemietet hatte. Die Lieferanten
der Bäckerei haben Fliesen zerbrochen. Verschiedene Dinge liefen nicht gut.
Wir wollten nicht einfach Geld rausholen aus dem Laden und auch nie eine
Sushi-Bar dort einrichten, wir wollten einfach eine andere Bäckerei.
Jetzt darf die Bäckerei Filou doch bleiben. Warum haben Sie es sich anders
überlegt?
Wir waren eigentlich sehr sicher, dass wir der Bäckerei kündigen werden.
Dann haben wir uns letzte Woche mit den Filou-Betreibern im Büro des
Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele getroffen, ein
beeindruckender Mann, er hat das Treffen moderiert. Wir unterhielten uns,
sagten den Bäckerei-Betreibern, dass wir sehr unglücklich waren über die
rassistischen, homophoben, gewalttätigen Attacken. Sie erklärten, dass sie
damit nichts zu tun hatten und das auch nicht wollten. Ich habe ihnen
geglaubt, sie sind nicht diese Art Leute. Trotzdem wollte ich den Vertrag
nicht erneuern. Als ich dann ging, hat mir die Tochter des Bäckers die Hand
geschüttelt. Sie hat mich nur eine Sekunde angeschaut, aber ihre Augen
sagten mir: Helfen Sie meinem Vater. Wissen Sie, ich habe selbst eine
Familie.
In diesem Moment haben Sie sich umentschieden?
Ich bin mit meinem Partner über die Straße, wir haben noch ein Bier
getrunken. Und wir sagten uns: Wir haben einen großen Fehler gemacht. Wir
schrieben sofort eine Mail an die Bäckerfamilie und baten um ein neues
Treffen. Das war dann sehr emotional. Beide Seiten haben Fehler gemacht,
aber wir den Größeren.
Beim benachbarten Café Vertikal, das auch zu Ihrem Gebäude gehört, wurden
Anfang März die Scheiben eingeschlagen. Hat das Ihre Entscheidung mit
beeinflusst?
Nein. Wissen Sie: Wir Briten sind seltsame Leute. Wenn man uns angreift,
geben wir nicht nach. Wir sind stur. Das hört sich komisch an, aber so ist
es. Wir werden wohl auch noch mehr Ärger haben, diese Leute sind ja weiter
da.
Es gibt außerdem Kritik im Kiez, weil Sie in dem Neubau Appartements an
Touristen vermieten. Werden Sie daran festhalten?
Dieser Neubau wurde für uns deutlich teurer als gedacht. Die Preise für den
Bau stiegen, uns ging das Geld aus, wir mussten uns in London einen Kredit
geben lassen. Wegen des Brexits änderte sich der Wechselkurs, es wurde noch
teurer. Aber wenn man so ein Projekt einmal angefangen hat, kann man es
nicht mehr stoppen. Mit normalen Mietwohnungen bekämen wir die Kosten nicht
rein. Wenn wir hohe Mieten verlangen würden, wirkt sich das auf den
Mietspiegel aus, das ist auch nicht gut. Ich wünschte, wir hätten dieses
Haus nie gebaut.
Wegen der Proteste?
Nein, weil es so hohe Kosten verursacht hat.
(Das Interview wurde auf Englisch geführt)
24 Mar 2017
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
## TAGS
Gentrifizierung
Kreuzberg
Bizim Kiez
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Mietrecht
Freies Theater
Mieten
Gentrifizierung
Gentrifizierung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Im Haifischbecken: Filou again
Wieder ist die Bäckerei Filou bedroht – und diesmal auch die ganze
Nachbarschaft. Das Vorkaufsrecht könnte aus Ferienappartements Wohnungen
machen.
Protest Kreuzberger Gewerbemieter: Düstere Aussichten
Steigende Mieten bringen Kreuzberger Gewerbetreibende in Not. In der
Oranienstraße wehrten sie sich mit einer Verdunklungsaktion.
Theater in Prenzlauer Berg bedroht: „Die Kinder brauchen uns unbedingt“
Seit fast 40 Jahren residiert das Theater o. N. am Kollwitzplatz. Nun gibt
es Lärmbeschwerden von Nachbarn, das Theater soll raus.
Gentrifizierung in Berlin: Buchhandlung Kisch & Co darf bleiben
Ein weiterer Erfolg für Kiezinitiativen: Der Buchladen in der Oranienstraße
hat sich mit dem Eigentümer geeinigt – eine Demo ist abgesagt.
Neue Strategien auf Immobilienmarkt: Zum Abschied keine Blumen
Immobilienkonzern Taekker will den Mietern der Lausitzer Straße 10 & 11
doch nicht entgegenkommen – sich wohl aber vom Berliner Markt zurückziehen
Das war die Woche in Berlin II: Kreuzberg not for sale
In nur einer Woche wurden die Bäckerei Filou und ein Haushaltswarengeschäft
gerettet. Zu verdanken ist das der gut organisierten Nachbarschaft.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.