# taz.de -- Debatte Männliche Sexualität: Fälle von Menschenersatznähe | |
> Pornosüchtig, objektophil, aufdringlich – männliche Sexualität weist eine | |
> obskure Originalität auf. Warum wir empathisch darüber sprechen sollten. | |
Bild: Was geht in den Köpfen von Männern vor, wenn sie an Frauen denken? | |
Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was in Männern vorgeht, die süchtig | |
nach Internetpornos sind, was Männer antreibt, die sich für Telefon- oder | |
Cybersex verschulden, die Geld an andere Männer zahlen, damit die ihnen | |
beibringen, wie man eine flachlegt. | |
Was steckt hinter einer verqueren Sicht auf Sex, in der Frauen bloß Mittel | |
zum Zweck sind, wie in neunzig Prozent aller Onlinepornos, in denen Frauen | |
keine Seele zu haben scheinen? Da ist auch jemand wie Erika Lust, selbst | |
Pornoregisseurin, ratlos: „Die Sexindustrie akzeptiert Sex mit Hunden und | |
Pferden, Pornos mit Omas, Fäkalsex. Es gibt kaum etwas, was es nicht gibt. | |
Doch Frauen wird nur sehr selten Raum gegeben.“ Bedürfnisse und Fantasien | |
von Frauen sind schwierig und machen die Sache kompliziert. Es ist auch | |
kein Zufall, dass Pornos, wie Erika Lust sie dreht, in denen Frauen ein | |
eigenes Begehren, ein Gefühlsleben, Spaß und auch optische Diversität | |
zugestanden bekommen, Femporn genannt werden – feministischer Porno. | |
Männer dagegen stehen in großer Zahl darauf, Frauen entlang von Stereotypen | |
nach „Fickbarkeit“ einzusortieren. Schublade auf: Asiatin rein. Schublade | |
auf: Teenporn rein. Wer sich mal durch die Selbstverständlichkeiten der | |
08/15-Pornoindustrie gewühlt hat, ist hinterher desillusioniert und als | |
Frau auch ein bisschen angewidert vom Gedanken, dass richtig viele Männer | |
so etwas geil finden. | |
## Orte zum Abspritzen | |
Dem setzt ein Bordell, das jetzt in Barcelona eröffnet wird, noch etwas | |
drauf: Es ist das erste, in dem nicht Menschen, sondern Silikonpuppen zum | |
Sex bereitstehen. Wieder sind es nur Männer, die mit einer | |
verhaltensoriginellen Sexualität von sich reden machen. | |
Zumindest sind sie die Zielgruppe, die angebotenen Frauen entsprechen dem | |
schon bekannten Prinzip des Mainstream-Porn: Asiatin, Schwarze, Teen, | |
vollbusige Blondine. Im Gegensatz zu einer menschlichen Prostituierten | |
bieten sie nicht viel mehr als einen Ort zum Abspritzen. Sie sind eine | |
stille Hülle, die schnell vergisst. Aber es gibt offenbar ausreichend viele | |
Männer, denen es nicht wichtig ist, dass jemand einen sexuellen Akt in | |
schöner Erinnerung behält. | |
„Männer sind Schweine“, sangen die Ärzte in den Neunzigern; ein Song, der | |
mich deswegen so tief verstörte, weil ich die darin beschriebenen | |
Verhaltensweisen ja direkt vor meinen Augen hatte: Jungs in meinem Alter, | |
die mit vollejakulierten Socken rumprahlten, Männer im Fernsehen, die | |
fremdgingen, betrogen, und Männer in den ersten Pornos, die man so sah, die | |
sich benahmen, als seien sie testosterongesteuerte Affen – wobei ich mich | |
bei diesem Vergleich sogleich fragte, ob ich den Affen unrecht tat. | |
Ich habe im Laufe meines Lebens Männer kennengelernt, die mit ihren über 30 | |
Jahren 14-Jährigen Avancen machten und versuchten, sie ins Bett zu kriegen. | |
Ich lernte, was Hebephilie ist: eine Sexualpräferenz für pubertierende | |
Jungen und Mädchen. Ich las das Blog eines jungen Mannes, der zu seiner | |
Pädophilie stand. Sehr berührend, unter | |
[1][schicksal-und-herausforderung.de] kann man es immer noch lesen. | |
Ich traf pornosüchtige Männer und solche, die als eines ihrer Lebensziele | |
hatten, wenigstens ein Mal in einem Porno mitgespielt zu haben – und das | |
auch taten. Ich traf Männer, die Frauen wechselten wie andere ihre | |
Unterwäsche, und solche, die Frauen ihre Wünsche aufdrängten, ohne nach | |
deren Wünschen zu fragen: Rasier dich zwischen den Beinen, hab Sex mit mir, | |
von hinten bitte, ach, komm schon, du bist doch keine frigide Kuh. Ich | |
kenne Männer, die bei Prostituierten waren – ich kenne keine einzige Frau. | |
Ich habe mich damit abgefunden, dass männliche Sexualität Auswüchse | |
annimmt, wie ich sie von Frauen nicht kenne. Ich habe gelernt, damit zu | |
leben, und vor allem: Ich habe keine Angst mehr davor. Übergriffige Typen | |
kriegen Ansagen. Die anderen ein offenes Ohr. Meistens hoffe ich, dass sie | |
nicht der Pickup-Artist-Bewegung anheimfallen, eine Truppe von Typen, die | |
anderen Typen erklärt, wie man Frauen „klarmacht“, also ins Bett kriegt. | |
Ziemlich frauenverachtende Scheiße, die da läuft, aber auch hier: Ziemlich | |
viele Männer bieten sich als Zielgruppe bereitwillig an. Sie leiden | |
darunter, dass sie Probleme dabei haben, Mädchen anzusprechen, und sie | |
wollen bitte dringend Sex. Die Silikonpuppen im Bordell sind, so gesehen, | |
nur eine weitere logische Evolutionsstufe der verkorksten männlichen | |
Sexualität. | |
Ich höre schon alle aufschreien: Ich bin ein Mann und ich bin gar nicht so! | |
Sex ist für mich viel mehr als nur rein, raus, Ejakulation! Da gratuliere | |
ich aber. Nur: Schauen Sie mal in Onlineforen, in denen Männer sich über | |
ihre Silikonpuppen austauschen. Die „Dolls“, wie die Puppen unter den | |
Eingeweihten genannt werden, sind für viele längst Ersatzmenschen geworden. | |
Einer, der sich „Halvar“ nennt, bezeichnet in einem dieser Foren seine | |
Puppe als „Teil meines Lebens, ich freue mich abends nach Hause zu kommen | |
und nicht allein zu sein. Ich genieße die Zweisamkeit vor dem Fernseher auf | |
der Couch oder die Nächte in denen man sich an die Doll ankuschelt. Sie | |
sind einfach ein Teil von mir.“ | |
Das Erstaunliche ist, dass diese Männer eine Form von Nähe gefunden haben. | |
Menschenersatznähe. Und sie alle sagen sehr deutlich: Weder haben sie Bock | |
auf die Mitleidstour noch auf Psychoanalyse durch Tantra-Yogis, | |
Klemmschwestern und andere Spielverderber. Viele Puppen-Fans scheinen eher | |
objektophil veranlagt zu sein, also auf Dinge zu stehen statt auf Menschen. | |
Andere haben „jemanden“ gefunden, der mit ihrer Sozialphobie bestens | |
kompatibel ist. Alles harmlos, klar. | |
## Jahrhunderte im Patriarchat | |
Aber auffällig ist es eben schon, so wie es auffällig ist, dass mehr | |
männliche Babys Koliken bekommen und häufiger schreien als weibliche. Die | |
männliche Sexualität scheint labiler, anfälliger zu sein und ich glaube, es | |
wird Zeit, darüber zu sprechen. Nicht psychologisierend, nicht verurteilend | |
oder stigmatisierend, sondern so, wie moderne Menschen das tun: offen, | |
empathisch und wissenschaftlich begleitet. | |
Durch die Jahrhunderte im Patriarchat haben wir gelernt, alles „Männliche“ | |
hinzunehmen und nicht zu hinterfragen, die Folgen sind für Männer und für | |
Frauen gleichermaßen kacke: toxische Maskulinität, sexuelle Ausbeutung von | |
Frauen und Gewalt. | |
Feministinnen bringen all das auf den Tisch und natürlich wehren sich viele | |
dagegen und wittern Männerfeindlichkeit. Doch genauso, wie es wichtig ist | |
zu fragen: Warum geht ein Großteil der weltweiten Gewalt von Männern aus, | |
ist es an der Zeit sich zu trauen, den verhaltensoriginellen „männlichen“ | |
Sexualitäten auf den Grund zu gehen. Und der erste Schritt ist laut zu | |
sagen: Sorry, Jungs, aber das ist mir echt suspekt, was ihr da macht. | |
12 Mar 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.schicksal-und-herausforderung.de/ | |
## AUTOREN | |
Katrin Rönicke | |
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