# taz.de -- Die Wahrheit: Herr Müller in der Endzeitfalle | |
> Ein Weltuntergangsforscher wandelt auf den Spuren der in Bälde | |
> bevorstehenden Apokalypse. Zukunftsmusik allererster Güte! | |
Eigentlich reichen uns Heutigen die Sorgen ja völlig, die wir uns Tag für | |
Tag über Trump, Terror und eilige Telekommunikationsanbieterwechsel machen | |
müssen. Manchmal aber rüttelt uns das Schicksal schlagartig wach, in | |
Gestalt einer Pressemitteilung, und lenkt die Aufmerksamkeit auf weitaus | |
lohnenswertere Sorgen: „Ein neues Buch zum Thema ‚Weltuntergang‘ ist auf | |
dem Markt: Walter Müller beschäftigt sich in ‚Die Zeitfalle‘ mit dem Ende | |
der Menschheit.“ | |
Bäm! Während andere noch kopfüber im letzten Wochenende der Menschheit | |
stecken und somit tatsächlich in einer gewissen Zeitfalle, hat dieser | |
furchtlose Mann einen Blick in die Zukunft gewagt, um uns davon zu künden | |
und zu zeichnen. Nämlich ein Bild, aber wahrlich kein helles: „In ‚Die | |
Zeitfalle‘ zeichnet Walter Müller ein düsteres Bild: Die Welt, wie wir sie | |
kennen, wird unvermeidlich untergehen. Und das ist nicht die Vorhersage | |
eines Untergangspropheten, sondern eine Folgerung, die auf reiner Statistik | |
basiert.“ | |
Wie schrecklich – Statistik! Wer darin nicht so firm ist, mag vielleicht | |
fragen, ob denn fundamentale Probleme wie Klimawandel oder Überbevölkerung | |
nicht irgendwann gelöst werden könnten? Pustekuchen, antworten | |
Pressemitteilung und mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit sogar | |
Walter Müller persönlich: „Selbst wenn solch fundamentale Probleme wie etwa | |
der Klimawandel oder die Überbevölkerung gelöst werden, wird die Menschheit | |
statistisch gesehen früher oder später von einem Asteroiden ausgelöscht | |
werden.“ | |
Oha. Hoffentlich erst später! Doch gerettet wäre damit noch nichts: „Auch | |
der Ausbruch eines Supervulkans, wie er auf der Erde schon mehrfach | |
vorgekommen ist, würde das Überleben der Menschheit ernsthaft gefährden. Ob | |
wir es wollen oder nicht: Wir sitzen in einer Zeitfalle.“ | |
Uff! Die todbringenden Asteroiden und Supervulkane müsste man erst mal | |
verdauen. Aber: Keine Zeit! Also schnell gehandelt und auf der Flucht aus | |
der Zeit- oder Mausefalle flugs die Homepage zum Buch aufgeklickt! | |
Hier erwarten uns unter der sensationell grellen SciFi-Grafik einer | |
blitzumzuckten Erdkugel hilfreiche Informationen über „das dramatisch | |
kleine Zeitfenster der modernen Menschheit“. Sowie: „Wissen über mögliche | |
Katastrophen, Vorsorge und die Welt von Morgen!“ | |
Vier Gefahren sind es, den Reitern der Apokalypse gleich, die in vier | |
Kurztexten zu je drei Sätzen vorgestellt werden: erstens die bekannten | |
Risiken der Evolution („Wenn wir die Beschränkungen unseres Gehirns nicht | |
überwinden, werden wir untergehen“), zweitens der notorische Klimawandel | |
(„Sturmfluten und Hurrikane werden zunehmen, und wenn der Golfstrom | |
umkippt, droht eine neue Eiszeit in Europa“). Alsdann der leidige | |
Vulkanismus („Der Ausbruch eines Supervulkans wie der Yellowstone-Caldera | |
ist nur eine Frage der Zeit. Es kann in tausenden Jahren geschehen oder | |
bereits morgen“). Und schließlich die gefürchteten kosmischen Katastrophen | |
(„Fortwährend schlagen Meteore auf der Erde ein. Wir haben nur bislang | |
Glück gehabt. Und irgendwann wird die Sonne selbst das Leben auf der Erde | |
vernichten“). | |
## Sonne macht schlapp | |
Stopp, es reicht! Jetzt ist jedenfalls die Laune komplett vernichtet. Denn | |
davon haben die meisten von uns wohl schon vage gehört: dass die Sonne in | |
sechs bis sieben Milliarden Jahren endgültig schlappmacht, vorher aber noch | |
mal richtig aufdreht, so dass in etwa einer Milliarde Jahren alles Leben | |
hier unten erlischt. Dann ist Feierabend; wir verdrängen es im Alltag | |
erfolgreich. Aber gibt es statt dieses Horrors nichts Positives zu | |
vermelden? Wenigstens im Pressetext? | |
Doch, durchaus, das ist ja sein Zweck. Er wird im Weiteren versöhnlich und | |
wiegelt ab: „Trotz der düsteren Zukunftsprognosen ist ‚Die Zeitfalle‘ ab… | |
noch lange kein Katastrophenbuch. Es versucht lediglich aufzuzeigen, dass | |
es einer kollektiven Anstrengung bedarf, um den Fortbestand der Menschheit | |
langfristig zu sichern.“ Dazu gilt es bloß Müllers Prämisse zu akzeptieren, | |
dass wir uns schleunigst aus der „roten Zone“ in die „grüne Zone“ | |
hinüberretten müssten: „Momentan, so Müller, befinden wir uns in der ‚ro… | |
Zone‘. Das bedeutet, dass wir globalen, die Menschheit bedrohenden Krisen | |
schutzlos gegenüberstehen.“ | |
Die Homepage präzisiert: „Wir können nichts dagegen tun, außer uns noch | |
rechtzeitig den Schutz zu beschaffen, den wir zum Überleben brauchen | |
werden.“ Und zwar nicht etwa, indem wir das Buch kaufen und uns im | |
Asteroidenhagel über den Schädel halten. Sondern laut Pressetext so: „Um in | |
die ‚grüne Zone‘ zu gelangen, gibt es nur eine Lösung: Raumfahrt in | |
intergalaktischen Dimensionen. Erst wenn wir es schaffen, andere | |
Himmelskörper zu besiedeln, kann das Überleben der Menschheit auch | |
langfristig gesichert werden.“ | |
## Taufrische Intelligenz | |
Das ist zwar kein taufrischer Gedanke. Lange aber wurde er nicht mehr mit | |
solch euphorisierender Wucht vorgetragen. Um uns den verlockenden Weg ins | |
All noch schmackhafter zu machen, wird exklusiv auf der Homepage sogar eine | |
weitere, „goldene Zone“ in Aussicht gestellt. Über die erfahren wir | |
allerdings nur, dass sie mit der törichten Frage nach Lebenssinn und | |
menschlicher Bestimmung zu tun hat: „Aus der Sicht des Universums kann | |
diese ewige Suche nach der Bestimmung als beendet gelten.“ Warum dies? „Das | |
Dasein ist ein Zufall, aber doch etwas Besonderes. Ein Zufall, der | |
unglaublich viele Faktoren und Parameter erforderte, um die Entstehung und | |
Entwicklung eines außergewöhnlichen Intelligenzwesens zu ermöglichen.“ | |
Au Backe! Bei diesem außergewöhnlichen Intelligenzwesen, das uns die Sicht | |
des Universums zu vermitteln imstande ist, handelt es sich nicht zufällig | |
um – Walter Müller?! Aber wer, um Himmels willen, ist das? | |
## Seelsorger der Menschheit | |
Der Schluss des Pressetextes bescheidet uns mit ein paar dürren Fakten. | |
Walter Müller war lange Jahre Geschäftsführer eines führenden | |
Handelskonzerns und ist heute in einer von ihm selbst mitbegründeten | |
Vermögensverwaltung tätig. Außerdem war er „Vorsitzender einer Volkspartei | |
in Porz“ sowie mit Stadtentwicklung befasstes Ratsmitglied und auf | |
vielerlei Feldern gemeinnützig engagiert. Er ist, mit anderen Worten, sein | |
ganzes Leben ein Macher und Denker gewesen und hat jetzt, wo sein eigenes | |
Ende naht, für die Sorgen der Menschheit noch etwas Zeit übrig. | |
Was für ein Jammer, dass so jemand nicht von den Staatenlenkern um Rat und | |
Beistand gefragt wird. Dass er nicht längst den UN-Vorsitz innehat! Und was | |
für ein Schande, dass der unverzichtbare Wegweiser aus der Apokalypse, als | |
der sich sein Buch noch erweisen könnte, nicht von einem der großen Verlage | |
in Millionenauflage unters Volk gestreut wird. Sondern als Book-on-Demand | |
um einzelne Käufer buhlen muss. | |
Denn wenn wir eines Tages, in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft, | |
unseren von Springfluten und Vulkanen halbverwüsteten Planeten verlassen | |
müssen, stünde auf der Brücke des Raumschiffs, das uns zu anderen | |
Himmelskörpern trägt, am besten Walter Müller. Und hoffentlich knallt uns | |
unterwegs kein Meteorit hinein! | |
4 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Mark-Stefan Tietze | |
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