| # taz.de -- Die Wahrheit: Bekehrungsversuche im Taxi | |
| > Tagebuch einer Weltenbummlerin: Eins eint Taxifahrer weltweit. Sie wollen | |
| > ihren Fahrgästen gern die richtige Religion, Politik und Kunst | |
| > beibringen. | |
| Auf dem Heimweg von einer Berlinale-Vorführung saß ich neulich nachts im | |
| Taxi und gab einer Freundin telefonisch eine brühwarme Zusammenfassung des | |
| soeben Gesehenen. Es muss sich alarmierend angehört haben, denn der Fahrer | |
| wollte mich anschließend vor Satan bewahren. Er schilderte mir anschaulich | |
| die Qualen der Hölle und propagierte dann die wahre Lehre, um mich noch | |
| rechtzeitig vor dem Jüngsten Gericht zur Umkehr zu bewegen, bevor – wie er | |
| es überraschend weltlich ausdrückte – „die Kacke dampft“. | |
| Taxifahrer in aller Welt lieben es, ihre Fahrgäste zu missionieren. Vor | |
| Jahren hatte mir ein ebenfalls bekehrungswütiger New Yorker Cabby die | |
| unangenehmen Begleiterscheinungen der nahenden Apokalypse mit „When the | |
| shit hits the fan“ schon eindrucksvoll vor Augen geführt. Ich fand damals | |
| die Vorstellung, mit von Ventilatoren verwirbelter Scheiße beballert zu | |
| werden, deutlich furchteinflößender als die jetzt von meinem Berliner | |
| Fahrer beschworenen dampfenden Haufen, die – Gott sei Dank nicht mehr in | |
| apokalyptischen Ausmaßen – ohnehin Berliner Bürgersteige zieren. An dieser | |
| Stelle ein Rat an alle Hobbyprediger: Wenn’s ans Jüngste Gericht geht, | |
| unbedingt Gas geben! | |
| Im Laufe eines duldsamen Lebens als Fahrgast habe ich gelernt, dass | |
| Taxifahrern nicht nur Religion und Politik am Herzen liegt, sondern vor | |
| allem die Kunst. Während ich wehrlos in meiner Tasche nach den daheim | |
| vergessenen Kopfhörern wühlte, wurden mir unzählige selbstgebastelte Verse | |
| und eigenkomponierte Werke ins Gehör gepresst, darunter ein Ohrwurm, der | |
| seit fünfzehn Jahren eine Schläferexistenz in meinen Kopf führt und immer | |
| wieder ankündigunslos zum Leben erwacht: „Ei-heim drei-vi-hiiing a | |
| yellooo-ho cab.“ | |
| Der Song sollte, wie ich auf der verstopften Ninth Avenue erfuhr, ein | |
| komplettes Musical über eine amerikanisch-indische Taxifahrerexistenz | |
| einleiten. Unseren endlosen Stillstand nutzte mein vor Begeisterung aufs | |
| Lenkrad trommelnder Chauffeur, mir sämtliche Stücke inklusive Chor und | |
| Finale vorzuplärren, bei der Ankunft stand ich kurz vorm Tinnitus. | |
| Hartnäckig, wie er war, hat er bestimmt einen Produzenten gefunden, der das | |
| fertige Werk – eine Art indisches Taxifahrer-„La-La-Land“ – vielleicht … | |
| der nächsten Berlinale präsentiert. Anschließend wird „Yellooo-ho Cab“ z… | |
| Sommerhit und in der Berliner U2 endlich „Hit the Road, Jack“ ablösen, das | |
| dort von zwei Musikanten seit Jahren massakriert wird. Glauben Sie mir, ich | |
| habe das Grauen gehört. | |
| Seit meiner rheinisch-katholischen Kindheit bin ich immun gegen zwei Dinge: | |
| Religion und Karneval. Ich bin absolut bekehrungsresistent, und nach | |
| Aschermittwoch werde ich weiterhin der Völlerei frönen statt bei | |
| neumodischen Fastenriten schlechte Laune zu kriegen. Wenn mich einer | |
| unbedingt missionieren will, dann bitte mit dem unwiderstehlichen | |
| Gospel-Soul von Mavis Staples: „I’ll take you there“. Das wäre ein | |
| Heilsversprechen, auf das ich mich beim Taxifahren sofort einlassen würde. | |
| 2 Mar 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Pia Frankenberg | |
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