Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berlinale-Film über Verrat an Juden: „Sie sind wieder da!“
> „1945“ ist ein Film über den Verrat an den Juden und damit über
> Kollaboration bei ihrer Deportation. Er kommt ausgerechnet aus Ungarn.
Bild: István Znamenák und Miklós SzékeleyB. beäugen misstrauisch die Neuan…
Wie eine Uhr tickt die Musik. Ein gleichschwebend ruhig gezupfter Bass, ein
paar gongartige Schläge – so unaufgeregt wie unheilschwanger. Etwas liegt
in der Luft an diesem Augusttag des Jahres 1945, irgendwo im ungarischen
Niemandsland. Schwülheiß ist es sowieso, doch mit dem eintreffenden Zug
nähert sich noch etwas anderes. Eine Bedrohung.
„Sie sind wieder da!“, lautet der ängstliche Ausruf des
Stationsvorstehers, der eigens vom Bahnhof zum Bürgermeister geeilt ist,
um die Ankunft zweier Männer zu vermelden. „Sie“, das sind Juden; schwarz
gekleidet, mit undurchsichtigen Blicken schreiten sie auf das Dorf zu, zwei
Löcher inmitten der staubig-vertrockneten Felder. Sie führen zwei Kisten
mit sich, in denen Parfüm und Kosmetik vermutet wird.
Früher, erfährt man, wohnten Juden im Ort. Jetzt nicht mehr. Nazis haben
sie deportiert. Die Ankömmlinge hingegen kennt keiner – was die Angst unter
den Bewohnern nur noch steigert. Denn bald ist klar, dass damals, unter
nationalsozialistischer Besetzung, die jüdischen Nachbarn nicht gegen den
Willen der restlichen Bürger abgeholt wurden, man hatte sie vielmehr
verraten. Jetzt, da „die Juden“ zurück sind, fürchten alle um ihre Häuser
und die übrigen Habseligkeiten, die darin von ihren ursprünglichen
Eigentümern zurückgelassen wurden.
„1945“ erzählt seine Geschichte in einer fast geradlinigen Bewegung. Ganz
am Anfang scheint die Zeit noch stillzustehen, alles verharrt in träger
Untätigkeit. Doch mit den zwei Besuchern setzt sich ein schicksalhafter
Prozess in Gang, der sich langsam steigert. Der Film kennt fortan keine
Ruhe mehr, schneidet immer wieder die Männer in Schwarz gegen die zunehmend
hysterischen Dörfler. Die Bewegung aus dem einen Bild wird fast nahtlos ins
nächste übergeleitet, bloß vereinzelt gönnt Török den Betrachtern knappe
Pausen zum Atemschöpfen.
Eine Hochzeit ist geplant, in der Brautfamilie laufen die Vorbereitungen
auf Hochtouren. In der des Bräutigams, dessen Vater als Bürgermeister der
Gemeinde vorsteht, ist die Stimmung hingegen freudlos. Die Mutter ist nicht
einverstanden. Etwas stimmt nicht in diesem Haushalt. Am Ende wird man
wissen, was. Parallel zu den Festtagsverrichtungen – Tische decken, Kleid
probieren und gründliche Nassrasur des Vaters – tritt das Ausmaß des
Verrats an den Deportierten immer deutlicher zutage.
Die beiden namenlosen Männer, Holocaustüberlebende, wie man irgendwann
erfährt, dienen dabei fast schon allzu deutlich als ins Bild gesetzte
Wiederkehr des Verdrängten. Fragen der mühsam unter Verschluss gehaltenen
Schuld drängen mit Macht an die Oberfläche, streben einer Entladung zu. Am
Ende wird im Ort nichts mehr sein wie vorher. Doch es wird sich etwas in
Bewegung gesetzt haben, das Hoffnung verspricht.
Bemerkenswert ist allemal, dass Töröks Film in einer Zeit, in der
Antisemitismus rund um Europa wieder Aufwind hat, ausgerechnet aus dem
Ungarn Viktor Orbáns zur Berlinale geschickt wurde. Ein gutes Zeichen.
14 Feb 2017
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Wettbewerb
Antisemitismus
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Berlinale
Hollywood
## ARTIKEL ZUM THEMA
Buch von Götz Aly über Antisemitismus: Auf Biegen und Brechen
Der Historiker skizziert ein facettenreiches Panoramabild des
Antisemitismus in Europa von 1880 bis 1945. Er zwängt das Material in ein
zu enges Korsett.
NATIVe–Arktis-Filme auf der Berlinale: Jenseits von Babyrobben
Berlinale-Fokus Arktis: In den Dokumentarfilmen „Angry Inuk“ und „Kaisa�…
Enchanted Forest“ erzählen Inuit bzw. Sámi ihre Geschichten.
Eröffnung der 67. Berlinale: Um sein Leben spielen
Étienne Comars Regiedebüt „Django“ verdichtet das Leben des Jazzmusikers
Django Reinhardt auf sein Schicksal als Sinto im Nationalsozialismus.
Vorschau auf die 67. Berlinale: Programm als Protest
Es ist wieder Berlinalezeit. Unter den knapp 400 Filmen kann man zarte
Bande knüpfen. Doch große politische Weltschau ist sie nur eingeschränkt.
Künstler zum Einreiseverbot für Muslime: Unamerikanische Umtriebe
Wegen des Einreiseverbots für Muslime können viele Künstler nicht in die
USA reisen. Nicht betroffene Künstler solidarisieren sich durch einen
Boykott.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.