| # taz.de -- Fangewalt in Dortmund: Neue Dimension, die keine ist | |
| > Derzeit überwiegen populistische Forderungen fernab der Realität. | |
| > Stattdessen müsste konstruktiv über die Gewalt von Fußballfans diskutiert | |
| > werden. | |
| Bild: Nicht jede Provokation führt zur Gewalt, Niveau ist trotzdem anderswo | |
| Als am Samstag das Bundesligaduell von Borussia Dortmund gegen RB Leipzig | |
| zu Ende ging, setzte eine Welle der Empörung ein. Ums Sportliche ging es | |
| kaum noch. Das große Thema waren stattdessen die diffamierenden | |
| Spruchbänder auf der „Gelben Wand“, dem Fanblock im Dortmunder Stadion: | |
| „Burnout-Ralle, Häng dich auf“ stand da, gerichtet gegen Leipzigs | |
| Sportdirektor Ralf Rangnick. Dazu kamen die [1][Übergriffe auf | |
| RB-Leipzig-AnhängerInnen vor dem Spiel]. Mindestens zehn Leipziger Fans und | |
| auch PolizistInnen waren dabei durch Stein- und Flaschenwürfe verletzt | |
| worden. | |
| Attacken auf StadionbesucherInnen und geschmacklose Spruchbänder sind nicht | |
| zu rechtfertigen, so viel sollte klar sein. Doch leider reicht die | |
| Problematisierung von Fangewalt auch dieses mal nicht über populistische | |
| Äußerungen hinaus. | |
| Von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ konnte man am Dienstag im | |
| Weser-Kurier und in der Augsburger Allgemeinen lesen. Der Chef des | |
| Deutschen Fußball-Bundes, Reinhard Grindel, stellt sich einen „Aufstand der | |
| Anständigen in den Kurven“ als Gegengift vor. | |
| Gunter A. Pilz, Deutschlands bekanntester Fanforscher und Experte in | |
| Fachausschüssen von Vereinen und Ministerien, sprach derweil von einer | |
| „neuen Dimension der Gewalt“ im Fußball und forderte ein vermehrtes | |
| Einschreiten der Ordner im Block: „Für das, was im Stadion passiert, ist | |
| der Verein verantwortlich. Wenn solche Plakate ins Stadion gebracht werden, | |
| müssen sie konfisziert und weggebracht werden.“ Rainer Wendt, Chef der | |
| Deutschen Polizeigewerkschaft, setzte noch einen drauf: „Das Spiel hätte | |
| schon gar nicht angepfiffen werden dürfen.“ | |
| Noch mal: Gewalt und persönliche Angriffe per Spruchband gehören nicht zu | |
| einer guten Fankultur. Und doch ist dieses gegenseitige Überbieten in | |
| Katastrophenfloskeln unangemessen und wenig hilfreich. Dem Problem der | |
| Fangewalt kommt man mit solchen Schnellschussäußerungen nicht bei, im | |
| Gegenteil, man verklärt es. | |
| ## Intervention in die Fanszene | |
| So ist der Ruf nach Zivilcourage von Grindel zwar medienwirksam, aber | |
| realitätsfern. Gegenüber der konzertierten Aktion einer Gruppe hat der | |
| Einzelne deutliche Grenzen. Es kann nicht verlangt werden, dass Individuen | |
| sich gegen einen geschlossen auftretenden Fanblock stemmen. | |
| Genauso am Ziel vorbei schießen Forderungen nach dem Einschreiten von | |
| Ordnungskräften im Fanblock oder danach, ein Fußballspiel mit über 80.000 | |
| ZuschauerInnen kurz vor Anpfiff abzusagen. Denn damit läuft man erst recht | |
| Gefahr, die Eskalation, die es eigentlich zu verhindern gilt, zu befördern. | |
| Das Problem, so wie auch mögliche Lösungen, ist komplexer. Dass hier das | |
| Thema Fangewalt isoliert am Beispiel von RB Leipzig diskutiert wird – einem | |
| Verein, der innerhalb von sieben Jahren künstlich zum Bundesligisten | |
| gepusht wurde und deshalb besonders in der Kritik steht –, trübt den Blick | |
| auf das Wesentliche. Dasselbe gilt für das Reden von der „neuen Dimension“. | |
| Was es wirklich braucht, ist Intervention in die Fanszene, in deren | |
| Eigendynamik und Selbstorganisation. Gewaltprävention und | |
| Antidiskriminierungsarbeit gibt es schon, muss aber weiter ausgebaut | |
| werden. Das heißt: soziale Arbeit mit Fußballfans, die durch die | |
| FanbetreuerInnen in den Vereinen und den PädagogInnen der Fanprojekte | |
| geleistet wird. Hier braucht es Geld, Personal und ein stetiges Überprüfen | |
| und Evaluieren pädagogischer Ansätze, auch anhand wissenschaftlicher | |
| Erkenntnisse. | |
| ## Keine unmittelbar messbaren Resultate | |
| Fangruppen werden immer ausdifferenzierter, Fußball wird immer | |
| politisierter. Drei hauptamtliche Mitarbeiter im Fanprojekt Dortmund und | |
| sieben BVB-FanbetreuerInnen können das nicht leisten. Um weit genug zu den | |
| Fans durchzudringen, um Gewaltsensibilisierung nachhaltig voranzutreiben | |
| und eine selbstverantwortliche Fankultur zu fördern, braucht es Personal. | |
| Aber das sind langfristige Ansätze, sie kosten Geld, sind schwerer zu | |
| bewerben und bringen keine unmittelbar messbaren Resultate. Da ist es | |
| einfacher, sich mit inhaltslosen Äußerungen als besorgt zu inszenieren, von | |
| Strafen und Verboten zu fantasieren – und die Verantwortung letztlich an | |
| die einzelnen Fans abzugeben. | |
| 7 Feb 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Oliver Wiebe | |
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