| # taz.de -- Fußball-Philosophie: Das Schöne suchen | |
| > Dortmunds Trainer Thomas Tuchel tauscht sich sehr inspirierend mit | |
| > Professor Hans Ulrich Gumbrecht aus – und wird zum Kulturkritiker. | |
| Bild: Thomas Tuchel (links) ist keiner, der sich gern in der Öffentlichkeit in… | |
| Dortmund taz | Thomas Tuchel dürfte schwer erleichtert gewesen sein, dass | |
| er nach der Schlappe beim Tabellenletzten aus Darmstadt nicht über das | |
| Tagesgeschäft reden musste. Im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund ging es | |
| am Sonntagabend um andere Themen. Bei der Premiere der von der | |
| DFB-Kulturstiftung ausgerichteten Veranstaltungsreihe „Spielkultur“ traf | |
| Tuchel auf Hans Ulrich Gumbrecht. | |
| Der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler, Inhaber des Lehrstuhls | |
| Komparatistik an der Stanford University in Kalifornien, hat Dortmunder | |
| Wurzeln und hatte das Auditorium schon für sich gewonnen, ohne ein Wort | |
| gesagt zu haben: Gumbrecht betrat die Bühne mit einem schwarz-gelben Schal, | |
| um sich mit dem Trainer des BVB philosophisch auszutauschen. | |
| Der Dialog war auf zweimal 45 Minuten mit einer Viertelstunde Pause | |
| angelegt, „in dem Format also, das wir alle gut finden“, wie Moderator | |
| Christoph Biermann vom Magazin 11 Freunde betonte. | |
| Tuchel ist keiner, der sich gern in der Öffentlichkeit inszeniert. Im | |
| Gegensatz zu seinem Vorgänger Jürgen Klopp, der den Doppelpass mit den | |
| Medien liebend gern spielt, reduziert der Schwabe seine Auftritte auf das | |
| Minimum, das ihm die Deutsche Fußball-Liga vorschreibt. Eigentlich schade, | |
| denn Tuchel, der oft als ein wenig spröde wahrgenommen wird, kann höchst | |
| lebendig und inspirierend über den Fußball plaudern. | |
| ## Entspannter verbaler Schlagabtausch | |
| Was fasziniert die Menschen so sehr an diesem Spiel, dass sie immer wieder | |
| zu Tausenden ins Stadion pilgern und zu Millionen am Fernseher zusehen? | |
| Geht es wirklich in erster Linie um das Resultat? Nein, betonten die | |
| Protagonisten unisono. Es sei „der Kern, das Schöne zu suchen und zu | |
| trainieren“, sagt Tuchel. Das Ergebnis stünde dennoch viel zu viel im | |
| Mittelpunkt. | |
| Die These von Bundestrainer Joachim Löw, nach der schöner Fußball am Ende | |
| auch erfolgreich sei, halte er für „gewagt“. „Johann Cruyff und Pep | |
| Guardiolas Barcelona haben uns Trainern da einen schweren Rucksack | |
| mitgegeben.“ | |
| Das spektakuläre Ausscheiden des BVB im vergangenen Jahr in Liverpool, so | |
| Gumbrecht, sei zwar wahrlich schmerzhaft gewesen, „aber es hatte Stil“. | |
| Wobei der Begriff „Schönheit“ ja dehnbar ist, schließlich erfüllt auch e… | |
| gekonnte Grätsche dieses Kriterium. Und der von Bayern München über viele | |
| Jahre praktizierte Pragmatismus, nach dem auch ein spätes Kullertor zum | |
| Sieg reicht und den Gumbrecht als „Ätsch-Stil“ bezeichnet, habe auf seine | |
| Weise ebenfalls seinen Reiz. | |
| Gumbrecht und Tuchel lieferten sich einen wunderbar entspannten verbalen | |
| Schlagabtausch, bei dem es auch darum ging, ob wahre Größe zu trainieren | |
| sei. „Ja“, sagt Gumbrecht, der genau wie Tuchel von Hochbegabten umgeben | |
| ist, „indem man hohe Ziele vorgibt“. Als Professor und Trainer „sind wir | |
| der Katalysator“ auf einer Spielwiese, auf der Leistung gedeiht. Wobei | |
| Tuchel betonte, „dass sich die Persönlichkeit maßgeblich außerhalb des | |
| grünen Rechtecks ausbildet“. | |
| ## Hochgezüchtetes Paralleluniversum | |
| Tuchel referierte über die Tücken des hochdotierten Jobs und die Sehnsüchte | |
| nach Freiräumen, da etwa in den englischen Wochen jede Minute durchgetaktet | |
| sei. „Wir fliegen irgendwo rein, Hotel, Trainingsplatz, Hotel, Spiel und | |
| schnell wieder raus.“ Er empfinde es als „ignorant, wenn wir in Tokio sind | |
| und ich bekomme so gar nichts mit von der Stadt“. Er überlege ernsthaft, ob | |
| er sich in Städten wie Lissabon nach dem Spiel eine Nachtführung buche, | |
| „weil ich dann sowieso nicht schlafen kann“. | |
| In der Schlussphase der 90 Minuten formulierte der 43-Jährige eine | |
| Kulturkritik einer mit Milliarden hochgejazzten Branche, die offenbar | |
| jegliche Limits verloren hat. „Wir geben dem Fußball eine Bedeutung, die | |
| durch nichts zu rechtfertigen ist“, sagt Tuchel, der als Gegenbeispiel | |
| seine Beobachtungen bei den Handballern des THW Kiel anführte, die zwar | |
| Weltklasse verkörpern, aber dennoch bodenständig geblieben sind. | |
| Tuchel berichtete von „Weltmeistern und Olympiasiegern, die morgens auf dem | |
| Weg zum Auswärtsspiel im Bus die Brötchen für die Kollegen schmieren und | |
| bei denen die Videoanalyse in der Garage der Trainingshalle an einem | |
| Stehtisch stattfindet“. | |
| Im Gegensatz dazu leben die Fußballer in einem hochgezüchteten | |
| Paralleluniversum, der den Blick für das Essenzielle vernebelt. Tuchel | |
| betonte, er halte „diesen ganzen Glamour für weit übertrieben. Es gibt doch | |
| auch noch andere Sachen als unser Spiel.“ | |
| 13 Feb 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Felix Meininghaus | |
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