Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Buch über die globale Arbeitswelt: Moderne Tagelöhner
> Billigjobber in den USA, Angst bei Amazon, Selbstmorde bei France
> Télécom: Caspar Dohmen schreibt über die Folgen der „Profitgier ohne
> Grenzen“.
Bild: Jeder vierte Job ist schlecht bezahlt und unsicher
Mehr linken Kapitalismus wagen. Für ein menschenwürdiges (Arbeits-)Leben
ist das unerlässlich, meint der Wirtschaftsexperte und Journalist Caspar
Dohmen – langfristig sogar überlebensnotwendig, um sozialen Frieden zu
wahren und politischen Extremismus zu verhindern. In seinem neuen Buch
„Profitgier ohne Grenzen. Wenn Arbeit nichts mehr wert ist und
Menschenrechte auf der Strecke bleiben“, beschreibt der Autor Entwicklungen
auf dem globalen Arbeitsmarkt, analysiert, wie sich ungebändigte
Wirtschaftskraft auf Lebensbedingungen auswirkt und wie Politik
gegensteuern kann.
„Sozial abgesicherte Jobs und faire Löhne werden im 21. Jahrhundert zum
Luxusgut“, warnt Dohmen. „Working Poor“ – dieser Begriff sei weltweit
aktueller denn je: Billigjobber bei Walmart und McDonald’s in den USA, die
trotz harter Arbeit auf Lebensmittelgutscheine angewiesen sind,
gewerkschaftsfreie Zonen und Angst bei Amazon in Deutschland, wo manche
Mitarbeiter sich zum Ende des Monats krankschreiben lassen, weil ihnen
Benzingeld fehlt. Sklavenähnliche Lebensbedingungen für osteuropäische
Werkvertragsarbeiter in der deutschen Fleischindustrie, [1][Selbstmorde bei
France Télécom] oder bereits 1,8 Millionen Null-Stunden-Verträge für
moderne Tagelöhner in Großbritannien, die „wie einst vor den Werkstoren im
Manchester des 19. Jahrhunderts“ auf Abruf bereitstehen.
Prekäre Bezahlung, große Arbeitsbelastung, Angst vor Kündigung und vielfach
auch Lebensgefahr – das sei für Millionen von Menschen weltweit Realität,
berichtet Dohmen. Regierungen opferten zunehmend Arbeitsstandards und
Gewerkschaften hätten massiv an Schlagkraft verloren. Von weltweit 2,9
Milliarden Arbeitnehmern seien nur noch 200 Millionen in einer freien
Gewerkschaft organisiert.
Mit „Profitgier ohne Grenzen“ ist es Caspar Dohmen gelungen, das riesige
Thema „globale Arbeitswelt“ so zu bändigen, dass man Einblick in viele
Branchen gewinnt, Wirtschaftsmechanismen in ihren Verflechtungen mit
Politik verstehen lernt und dank eines „historischen Überbaus“ vergangene
Arbeitswelten und ökonomische Theorien im Zusammenhang zu heutigen
Verhältnissen reflektieren kann. In die Analysen sind Kurzreportagen
eingebettet, die Dohmen von Brennpunkten prekärer Arbeit in Europa, den
USA, Lateinamerika oder Asien mitbringt. Er sammelt dort Informationen bei
Menschenrechtsanwälten, Gewerkschaftern, NGOs, Politikern, Unternehmern und
Arbeitnehmern. [2][Etwa bei Ali Enterprises in Karatschi], einer
Zulieferfirma des deutschen Billigtextildiscounters KiK. Dort brach am 11.
September 2012 ein Brand aus, der sich zum größten Industrie-Unglück
Pakistans entwickelte. Wegen mangelndem Feuerschutz und versperrter
Fluchtwege starben 260 ArbeiterInnen qualvoll. Wie ein Augenzeuge
schildert, seien manche von ihnen in heißem Löschwasser regelrecht
„gekocht“ worden.
## Zwangsarbeit und Menschenhandel
Tod durch Arbeit, so Dohmen, sei häufiger als durch Krieg und Terror. Laut
Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) sterben weltweit jährlich
offiziell 2,3 Millionen Menschen durch Unfall oder an einer berufsbedingten
Krankheit, als Schiffsabwracker, Fabrikarbeiter oder Schrottsammler, in
Minen oder auf Plantagen. Rund 45,8 Millionen Menschen seien von
Zwangsarbeit und Menschenhandel betroffen, berichtet Dohmen – mehr als
jemals von Afrika nach Amerika verschleppt wurden.
Die Würde des Menschen ist antastbar – immer mehr auch in der westlichen
Welt. In der Vorzeigeökonomie Deutschland könnten, so Dohmen, moderate
Arbeitslosenzahlen und gesetzlicher Mindestlohn nicht darüber
hinwegtäuschen, dass sich die soziale Abwärtsspirale drehe. Bereits jedes
vierte Beschäftigungsverhältnis sei schlecht bezahlt und unsicher. Laut
Paritätischem Wohlfahrtsverband leben in Deutschland 12 Millionen Menschen
unterhalb der Armutsgrenze. Mit der Agenda 2010 gehöre die BRD zu den
Vorreitern beim Abbau von Arbeits- und Sozialstandards in Europa.
„Shareholder Value first“ sei das gängige neoliberale Motto. Derzeit
kontrollierten international tätige Konzerne zwei Drittel des Welthandels
und stellten, so Dohmen – gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung –, viele
Staaten in den Schatten. Die Größten, wie der Einzelhandelsriese Walmart,
könnten ihre zigtausend Zulieferer beliebig austauschen und Preise und
Lieferbedingungen diktieren. Den Wettbewerbsdruck müssten die ArbeiterInnen
am Ende der Lieferketten aushalten – in Form von ausbeuterischen und
gefährlichen Arbeitsplätzen.
Was tun? „Es sind eine Menge Änderungen politischer, rechtlicher und
mentaler Art notwendig“, betont Caspar Dohmen. Zum Beispiel: Gewerkschaften
stärken, Sammelklagen ermöglichen, die Spekulationsfähigkeit von Aktien
reduzieren, soziale Mindeststandards verpflichtend einführen, anders
einkaufen und ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Verschlechterung von
Arbeitsbedingungen sei kein Naturgesetz, glaubt Dohmen, und nicht jeder ist
seines Glückes Schmied.
17 Feb 2017
## LINKS
[1] /!5140261/
[2] /!5338442/
## AUTOREN
Agnes Steinbauer
## TAGS
Prekäre Arbeit
Arbeit
Globalisierung
Kapitalismus
France Télecom
Kapitalismus
Globalisierung
Prekäre Arbeit
Arbeiterklasse
## ARTIKEL ZUM THEMA
Suizidserie nach Mobbing: France-Télécom-Chefs verurteilt
Nach systematischem Mobbing verhängte ein Gericht jetzt Geld- und
Haftstrafen gegen Ex-Manager des französischen Konzerns.
Crowdworking als Zukunft der Arbeit: Ackern für 3 Euro die Stunde
Arbeit online erledigen und damit Geld verdienen – davon können nur wenige
leben. Soziale Absicherung und Mindestlohn sind nicht drin.
Die Geschichte des Kapitalismus: Ein Lob der Globalisierung
Der Ökonom Angus Deaton schreibt eine Globalgeschichte des Kapitalismus.
Der Menscheit geht es besser. Die Armut ist gesunken.
Berliner Schlendrian: Ich würde lieber nicht
Das Haus Bartleby wirbt dafür, den Job hinzuschmeißen. Nun der Sprung ins
Große und Ganze – mit dem Buch „Das Kapitalismustribunal“.
Die Abschaffung des Kapitalismus: „Weg vom Zwang zur Arbeit“
Der Neoliberalismus funktioniert nicht, sagen Nick Srnicek und Alex
Williams. Sie fordern in „Die Zukunft erfinden“ eine populistische Linke.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.