| # taz.de -- Buch über Frauen und Naziherrschaft: Der weibliche Blick aufs Exil | |
| > Kristine von Soden beschreibt die Emigration von Frauen während der | |
| > Naziherrschaft. Denn auch Exilgeschichten sind männerdominiert. | |
| Bild: Die Dichterin Mascha Kaléko emigrierte im September 1938 in die USA | |
| „Wir haben keinen Freund auf dieser Welt. | |
| Nur Gott. Den haben sie mit uns vertrieben. | |
| Von all den Vielen ist nur er geblieben. | |
| Sonst keiner. Der in Treue zu uns hält.“ | |
| Mit diesen Zeilen aus Mascha Kalékos Gedicht „Überfahrt“ beginnt eine | |
| grausame Reise, bei der weder das Ziel gesichert ist noch ob die Menschen | |
| überhaupt ankommen. In jeden Fall ist es eine erzwungene Reise ohne | |
| Wiederkehr, ein One-Way-Trip der Verletzten und Vertriebenen ins | |
| Unbekannte. | |
| Die Journalistin Kristine von Soden ist diesen Reisenden nachgefahren – | |
| nicht auf dem Schiff, sondern mithilfe von Tagebuchaufzeichnungen, | |
| Erinnerungen, mithilfe von Zeitungsausschnitten und Werbeanzeigen. Unter | |
| den Reisenden befinden sich frühere Berühmtheiten und Unbekannte. Alle aber | |
| sind sie Frauen, die vor dem Naziregime in Deutschland flüchten mussten. | |
| Es ist das Bild einer Welt, die vollständig aus den Fugen geraten ist, das | |
| sich dem Leser hier auftut. Von Soden verknüpft das Schicksal ihrer | |
| Protagonistinnen mit der immer weiter eskalierenden mörderischen Politik | |
| der Nazis: mit Reichsfluchtsteuern, Reiseverordnungen, Devisenbestimmungen, | |
| KZ-Einweisungen, dem Pogrom vom November 1938 und schließlich dem „gelben | |
| Stern“, der Juden-Kennzeichnung im Jahre 1941, mit der fast zeitgleich die | |
| Auswanderung verboten wurde und die Deportationen in den Tod begannen. | |
| Solange die Emigration aber überhaupt noch möglich war, lauern den | |
| Flüchtenden Unterwasserriffen gleich unbarmherzige Visa-Bestimmungen, | |
| zwingende Bürgschaften und verfallende Passagen für ihre neue Heimat auf. | |
| Schiffe kommen niemals an ihr Ziel, anderen Ankommenden wird die Einreise | |
| verweigert, sie werden weiterverfrachtet auf irgendeine Insel. | |
| In dieser Collage des Schreckens geht das großartige Buch dem Schicksal | |
| etwa eines Dutzends Frauen nach. Mascha Kaléko eben, der Dichterin, oder | |
| der Journalistin Margarete Edelheim, der Ärztin Hertha Nathorff und der | |
| Erfolgsautorin Gabriele Tergit. So verschieden diese Frauen in Deutschland | |
| ihr Leben gestaltet haben, so eint sie doch die Verfolgung, aus der sie | |
| wiederum höchst unterschiedliche Konsequenzen ziehen. | |
| Manche kehren Deutschland schon 1933 den Rücken zu, damals, als die | |
| Ausreisen noch vergleichsweise einfach waren, als sogar die Mitnahme von | |
| Großgepäck noch möglich war (auch wenn der Inhalt der hölzernen Container | |
| häufig von Salzwasser durchnässt in der neuen Heimat eintraf). Andere | |
| warten lange, hoffen auf ein vorzeitiges Ende des Regimes oder glauben, sie | |
| könnten ihre Arbeit für die Verfolgten nicht plötzlich aufgeben. Und dann | |
| sind da noch diejenigen, die zu lange abwarten, die kein Visum mehr | |
| ergattern und kein Schiffsbillett und die in den Mordfabriken umkommen. | |
| Anfangs gibt es noch Wunschziele, das britische Mandatsgebiet Palästina | |
| etwa, England oder die USA. Später müssen die Exilierten nach jeder sich | |
| bietenden Schiffsplanke greifen, und das Ziel, gleich ob Bolivien oder | |
| Schanghai, erscheint immer nebensächlicher – Hauptsache, weg von hier. Auch | |
| der Blick auf das Exil während des NS-Regimes ist bis heute vornehmlich von | |
| der männlichen Sichtweise geprägt, Frauen kommen dort häufig nur als | |
| Reisekameradinnen vor. Von Sodens Buch zeigt, dass diese Ansichten | |
| unvollständig sind. Die Tagebuchaufzeichungen, Gedichte und | |
| Erinnerungsbücher, aus denen sie zitiert, vermissen alles Großsprecherische | |
| und Eitle. Die Berichte dieser Frauen, häufig sind es Ehefrauen und Mütter, | |
| die neben ihrer eigenen Existenz auch den Alltag ihrer Familien | |
| organisieren müssen, wirken direkter, ehrlicher und oft wenig optimistisch. | |
| Kristine von Soden eröffnet mit ihrem Buch ein Panoptikum des Schreckens, | |
| das sich zugleich spannend wie ein Krimi verschlingen lässt. Nur ist dies | |
| hier kein Kriminalroman, der erzählt wird, sondern die Geschichte einer | |
| Austreibung, die, ohne den direkten Vergleich ziehen zu wollen, an einigen | |
| Stellen furchtbar an den Überlebenskampf mancher Flüchtenden in diesen | |
| Tagen erinnert. | |
| 22 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Frauen | |
| Exil | |
| Buch | |
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