| # taz.de -- Protestbewegung im Südkaukasus: Scheiß doch auf Armenien | |
| > Die neue „Kackpartei“ nimmt sowohl Politiker als auch die Gesellschaft | |
| > aufs Korn. Ob sie bei der Wahl am 2. April antritt, steht noch nicht | |
| > fest. | |
| Bild: Der Chef der „Kack“-Partei Sergej Danieljan | |
| Berlin taz | Es riecht streng in Armenien. Eine neue politische Bewegung | |
| macht seit einigen Wochen von sich reden. Ihr Name lautet „Kackpartei“ – | |
| die armenische Abkürzung für „Partei des zivilgesellschaftlichen aktiven | |
| Schrittes“. Das Motto: „Zusammen scheißen!“ . | |
| Am 2. April finden in der Südkaukasusrepublik Parlamentswahlen statt. 63 | |
| Prozent der Bevölkerung hatten im Dezember 2015 in einem Referendum für | |
| eine Verfassungsänderung gestimmt. Diese sieht vor, das präsidiale durch | |
| ein parlamentarisches Regierungssystem zu ersetzen. | |
| Den Änderungen zufolge wird der Staatspräsident künftig vom Parlament | |
| gewählt, ein Teil seiner Machtbefugnisse geht auf den Regierungschef über. | |
| Diese Verfassungsänderungen würden für mehr Sicherheit und Stabilität in | |
| Armenien sorgen, hatte Präsident Sersch Sargisjan gesagt. Im Februar 2008 | |
| wurde er erstmals zum Staatspräsidenten gewählt. Demonstrationen gegen | |
| Wahlfälschungen ließ er niederschlagen, dabei starben zehn Menschen. | |
| Die wirtschaftliche Lage Armeniens, das 2015 der von Russland geführten | |
| eurasischen Wirtschaftsunion beitrat, ist prekär. Laut offiziellen Angaben | |
| leben 30 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Internationale | |
| Organisationen wie die Weltbank sprechen sogar von 60 bis 70 Prozent. | |
| ## Konflikte mit der Türkei und Aserbaidschan | |
| Gehemmt wird die Entwicklung durch den Streit mit der Türkei über den | |
| Genozid an den Armeniern 1915 sowie den Konflikt mit Aserbaidschan um die | |
| Enklave Berg-Karabach. | |
| Chef der Kackpartei, die angeblich bereits 2.000 Mitglieder hat, ist der | |
| Schauspieler Sergej Danieljan. Der 52-Jährige mit dem Spitznamen „Igel“ ist | |
| einer der bekanntesten Komiker des Landes. Zehntausende folgen seinen | |
| politischen Satiren auf YouTube. Sein Lieblingsthema: Wie Regierung und | |
| Parlament die Bevölkerung bestehlen. | |
| „Wir werden im Parlament daran mitarbeiten, das Land noch effektiver zu | |
| verarschen“, sagt Danieljan. Sein Stellvertreter, der Journalist Arman | |
| Sulejmanjan, drückt sich etwas gewählter aus. Ihre Bewegung wende sich | |
| nicht nur gegen die korrupte Regierung. Sie protestiere auch gegen die | |
| Bürger, die ihre Stimme bei den Wahlen verkauften. „Die Kacke ist überall | |
| in Armenien“, ist die Kernaussage der Protestbewegung. Ihre politische | |
| Kampagne macht die Partei bislang nur in der virtuellen Welt. | |
| Nach einem skandalösen Auftritt Danieljans im öffentlichen Fernsehsender | |
| „Kentron“ kurz vor Weihnachten verlor der verantwortliche Fernsehmoderator | |
| Petros Khasarjan seinen Job. „Ich bin im Urlaub“, verkündete er auf | |
| Facebook. | |
| ## Registrierung notwendig | |
| Um an den Wahlen teilzunehmen, muss sich die Partei noch registrieren | |
| lassen. Ob die Wähler die Kackpartei auf dem Stimmzettel dann aber auch | |
| ankreuzen können, hängt auch vom Justizministerium ab. | |
| „Auch wenn die Kackpartei nicht registriert wird, werden die Wähler auf | |
| ihren Stimmzettel das Wort „Kacke“ vermerken, um so den Protest weiter zu | |
| unterstützen“, sagt Armine Ghazarjan, politische Psychologin am Jerewaner | |
| Forschungsinstitut für nationale und internationale Studien. | |
| Für sie ist eine Teilnahme der neuen Partei an den Wahlen nicht das | |
| Wichtigste. Das sei die neue Art und Weise, wie diese Bewegung agiere. | |
| „Satire als ein Mittel, seinen Protest auszudrücken. Das ist großartig.“ | |
| Die Kackpartei hat vor einer Wochen ankündigt, nicht an den Wahlen | |
| teilzunehmen. Darüber freuten sich besonders ihre Gegner, weil sie diese | |
| Protestformen ohnehin nicht akzeptieren. Sie beschimpfen Daniljan in den | |
| sozialen Netzwerken. Aus Angst vor der Regierung habe er sich wohl in die | |
| Hose gemacht. | |
| ## Jubelnde Fans | |
| Doch einige Tage später gab Danieljan in einem Interview zu Protokoll, dass | |
| die Kackpartei entschieden habe, sich nun doch zur Wahl zu stellen. Nun | |
| jubeln die Fans. | |
| „Die Menschen wissen überhaupt nicht, wie sie mit dieser Art von Satire | |
| umgehen sollen. Diese Reaktionen sind nicht gesund“, sagt Armine Ghazarjan. | |
| „Viele haben immer noch nicht verstanden, dass die Kackpartei uns allen den | |
| Spiegel vorhält.“ | |
| 23 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Tigran Petrosyan | |
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