# taz.de -- LGBT in Armenien: Goldene Aprikosen mit Beigeschmack | |
> Bei einem Filmfestival in Jerewan werden zwei LGBT-Filme aus dem Programm | |
> gestrichen. Das geht auch auf den Druck der Kirche zurück. | |
Bild: Die Streichung der Filme ist keine gute Werbung für das armenische Filmf… | |
JEREWAN taz | Vor dem Journalistenklub in der armenischen Hauptstadt | |
Jerewan patrouillieren Polizeikräfte. Doch im Gebäude gibt es weder | |
Politiker noch irgendwelche hochrangigen Beamten. Lediglich einige | |
Journalisten sind gekommen, Vertreter der LGBT-Community in Armenien und | |
ein paar junge Leute. Im Klub findet an diesem Tag eine Filmvorführung | |
statt. Gezeigt wird der Dokumentarfilm „Höre mir zu. Nicht erzählte | |
Geschichten jenseits von Hass“. | |
Eigentlich hätte der Streifen am Donnerstag dieser Woche auf dem [1][14. | |
Internationalen Kinofestival „Goldene Aprikose“], das derzeit in Jerewan | |
stattfindet und noch bis zum 16. Juli dauert, in dem Programmteil „Blick | |
von innen und außen“ laufen sollen. Doch er wurde kurzerhand aus dem | |
Programm genommen, genauso wie der Film „Aprikosenhain“ des iranischen | |
Regisseurs Pouria Heidary. | |
In dem Dokumentarfilm „Höre mir zu“ von Gevorg Ghazare kommen zehn | |
LGBT-Menschen zu Wort. Sie erzählen, wie die Gesellschaft und die Familien | |
nach ihrem Coming-Out reagierten und sie sprechen über ihre Probleme im | |
Alltag. Zwei Tage bevor der Film gezeigt werden sollte, brach in den | |
sozialen Netzwerken ein regelrechter Shitstorm los. Dort kursierte unter | |
anderem das Video eines jungen Mannes namens Arman Ghukasyan, der offen | |
pro-russische Positionen vertritt. | |
Er rief dazu auf, gegen diese „Propaganda des Amoralischen“ zu | |
protestieren, pausenlos bei der Hotline des Kinofestivals anzurufen und die | |
Absetzung des Films zu fordern. Innerhalb kürzester Zeit schlossen sich | |
zahlreiche User diesem Protestaufruf an. | |
## An Hassmails gewöhnt | |
„Direkt oder indirekt ist das eine amoralische Propaganda. Denn dadurch | |
soll versucht werden für alle moralischen Menschen das Unannehmbare | |
tolerierbar zu machen. Lassen wir nicht zu, dass die heilige Erde Armeniens | |
und unsere Welt beschmutzt werden“, schreibt ein User, der stets ganz vorn | |
mit dabei ist, wenn es um Homophobie geht. | |
Mitglieder der armenischen LGBT-Community haben sich an derartige Hassmails | |
bereits gewöhnt. „Das ist nicht einfach so passiert, sondern das ist immer | |
so und für uns Homosexuelle schon längst nichts Neues mehr. Wir müssen | |
jeden Tag da durch. Wir alle wissen, dass wir in einem homophoben Land | |
leben“, sagt Armen Aghadjanyan, einer der Haupthelden im Film „Höre mir | |
zu“. | |
Einen Tag nach der „Lawine“ in den sozialen Netzwerken reagierte die | |
Leitung des Kinofestivals und kündigte an, den kompletten Programmteil | |
„Blick von innen und außen“ zu streichen. Der Direktor des Festivals, | |
Harutyun Khachatryan begründete diesen Schritt damit, dass die Union der | |
Filmschaffenden, in deren Saal der Film hätte gezeigt werden sollen, sich | |
dagegen ausgesprochen habe. Der ehemalige Präsident der Union sei erst vor | |
einem Monat gestorben und man trauere noch. | |
Zudem sei das Entscheidung, den Film zu zeigen, mit dem jüngst verstorbenen | |
Direktor getroffen worden. Ein anderer Ort für die Vorführung stehe auch | |
nicht zur Verfügung, dass dem Festival nicht genügend Mittel zur Verfügung | |
stünden, um andere Räumlichkeiten anzumieten. | |
## Versuch eines Dialogs | |
„Unsere Aufgabe war, Stereotype zu zeigen und einen Dialog zu beginnen. | |
Wenn jedoch in unserem Land bestimmte Kreise auch weiterhin Hindernisse | |
errichten, wird dieser Prozess ständig zerstört. Das beunruhigt mich“, sagt | |
Ghazare. | |
Mittlerweile wurde bekannt, dass auch die Armenische Apostolische Kirche | |
ihre Finger mit im Spiel hatte. Auf Anfrage eines lokalen | |
Nachrichtenportals in Etschmiadsin, dem Hauptsitz der Kirche, hieß es, dass | |
sich diese besonders für ein Verbot eingesetzt habe. | |
„Solche Propaganda braucht unsere Gesellschaft nicht. Unser Volk ist Träger | |
des christlichen Glaubens und christlicher Werte. Natürlich kann die Kirche | |
solche gotteslästerlichen Erscheinungen und die entsprechende Propaganda | |
nicht befürworten“, heißt es im Kommentar der Kirche weiter. | |
Die Stellungnahme der Kirche, obwohl alles andere als überraschend, stieß | |
nicht bei allen auf Zustimmung. „Wir sind laizistisch, die Kirche ist vom | |
Staat getrennt. Tatsächlich aber sehen wir, dass sich die Kirche in alle | |
Bereiche einmischt. Ein Grund dafür ist, dass Menschenrechte hier keine | |
Priorität haben. Wenn der Staat etwas durchsetzen will, tut er das über die | |
Kirche. Wenn etwas verboten werden soll, heißt es, die Kirche sei dagegen“, | |
sagt der Menschenrechtler Zaruhi Hovhannisyan. | |
## Entscheidung überdenken | |
Zumindest Aktivisten der LGBT-Nichtregierungsoragnisation „Pink Armenien“ | |
wollen sich mit dem Verbot nicht abfinden. In einer Petition, die bis | |
Freitag Nachmittag 430 Personen unterzeichnet hatten, werden das | |
Kulturministerium, die Leitung des Festivals sowie die Sponsoren | |
aufgefordert, die Entscheidung zu überdenken und die Filme des | |
Programmteils „Blick von innen und außen“ doch noch zu zeigen. | |
Der Fall auf dem Filmfestival ist übrigens nicht der erste dieser Art in | |
diesem Jahr. Am 17. Mai, dem Internationalen Tag für die Rechte von | |
LGBT-Menschen, hing an der britischen Botschaft in Jerewan auch eine | |
Regenbogenfahne. Sofort beschimpften wütenden Demonstranten den Westen | |
„amoralische Propaganda“ zu betreiben. | |
Nach einige Tagen gab es den nächsten Skandal: Spruchbänder mit der | |
Aufschrift „die Menschen sind unterschiedlich“ und dem Bild zweier sich | |
umarmender Männer, mussten auf Anordnung des Jerewaner Bürgermeisters | |
unverzüglich entfernt werden. | |
Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
15 Jul 2017 | |
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## AUTOREN | |
Aren Melikyan | |
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