# taz.de -- Vor der Parlamentswahl in Armenien: Die Hexe aus dem Brunnen | |
> Armine Arakelian hat in Paris studiert, bei der UNO gearbeitet und wohnt | |
> nun in einem Kaff, wo die Nachbarn ihre Hunde prügeln. | |
Bild: Armine Arakelian in ihrem Haus. „Sie gehört nicht zu unserer Kultur“… | |
Mughni taz | Sie muss eine Hexe sein, eine Hure, eine Verrückte. Ganz | |
bestimmt ist sie eine Feministin! Unter diesem Titel ist die | |
Menschenrechtlerin Armine Arakelian bekannt. In ganz Armenien berühmt wurde | |
sie, als sie unter den Augen der Regierung in den mächtigen Brunnen am | |
Platz der Republik in der Hauptstadt Eriwan kletterte und beschloss, dort | |
zu bleiben. | |
Armine Arakelian wohnt in Mughni, vor den Toren Eriwans. Es ist ein | |
düsteres Dorf mit grauen Häusern. Ihre Nachbarn werfen Steine auf ihr Haus, | |
sie gießen Benzin vor die Haustür, sie schlagen ihren Hund und versuchen, | |
sie zu überfahren. Die Dorfbewohner wollen sie nicht, und für die Regierung | |
ist sie gefährlich. „Fremdenfeindlichkeit“, sagt Arakelian knapp. „Sie | |
gehört nicht zu unserer Kultur“, sagt einer ihrer Nachbarn. | |
Man kann sagen, dass das Dorf mit ihr fremdelt – und sie mit ihm. Armine | |
Arakelian wurde als Angehörige der armenischen Minderheit in Teheran | |
geboren. Nach der Islamischen Revolution 1979 wanderte sie nach Frankreich | |
aus. Weit weg von Armenien studierte sie in Paris internationales Recht, | |
Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen. Dass sie als | |
Geschiedene hier allein lebt, macht ihren Stand im Dorf nicht leichter. | |
Armine Arakelian öffnet die Tür, und sofort verflüchtigt sich das Bild vom | |
grauen Dorf. Drinnen leuchtet es rot und golden. Grafiken bedecken die | |
Wände. Die Bilder wirken ohne Ordnung gehängt, geradezu chaotisch, so wie | |
ihre unbändige Haarpracht. Blutrote und schmutzig-goldene Flecken und | |
Fingerabdrücke kleben überall auf den Möbeln. Auf die Fensterscheiben hat | |
sie mit ihren Fingern bunte Spiralen gemalt. Armine Arakelian ist 55 Jahre | |
alt, eine kräftige Frau und liebt Halstücher und Schals. | |
## Eine Verfassungsänderung und die Folgen | |
Schon kommt sie auf die Politik zu sprechen. Am 2. April wählen die | |
Armenier ein neues Parlament. Die Abstimmung ist eine ganz besondere. Im | |
Dezember 2015 stimmten in einem Referendum 63 Prozent für eine | |
Verfassungsänderung, die den Übergang von einem semipräsidentiellen zu | |
einem parlamentarischen Regierungssystem eröffnet. | |
Ein guter Schritt? „Das war eine Fälschung“, sagt Arakelian. Die regierende | |
Republikanische Partei unter der Führung des armenischen Präsidenten Sersch | |
Sargsjan brauche die neue Verfassung, um weiter an der Macht bleiben zu | |
können, glaubt Armine Arakelian. „Faktisch herrscht in Armenien die | |
Polizei, und die neue Verfassung ist nur dazu da, den Polizeistaat nun auch | |
mit juristischen Mitteln zu festigen.“ Dagegen hat Armine Arakelian auf | |
ihre ganz eigene Weise protestiert. | |
Im Mai 2016 klettert sie, am Morgen, als die Fontänen noch nicht in den | |
Himmel schießen, in den mächtigen Brunnen am Platz der Republik im Herzen | |
der Hauptstadt und setzt sich auf einen Vorsprung. Sofort versuchen | |
Polizisten, die Provokateurin zu überreden, wieder herauszukommen. In | |
Sichtweite befinden sich schließlich der Regierungssitz, das | |
Nationalmuseum, die Nationalgalerie, das Hauptpostamt, das Hotel Marriot | |
und einige Banken. Etwas später versuchen es zwei Polizisten mit Gewalt. | |
Sie drehen Armine Arakelians Hände auf den Rücken und legen ihr | |
Handschellen an. Rücklings muss sie auf einem Wasserrohr sitzen. Ihre Füße | |
hängen in der Luft. | |
„Wie geil ist das denn! Magst du es tiefer haben oder kommst du jetzt | |
raus?“, brüllt ein Typ vom Ministerium für Zivilschutz, der mit einer | |
ganzen Gruppe gekommen ist. Armine Arakelian aber schreit und schimpft. | |
Inzwischen haben sich Schaulustige versammelt, die sehen wollen, wie die | |
körperlich kräftige Frau wohl aus dem Brunnen geholt wird. Als die Polizei | |
etwa dreißig Männer zusammenhat, schaffen sie es. Ein Krankenwagen steht | |
bereit. Doch die Notärzte wissen nicht so recht, was sie mit ihr anfangen | |
sollen. Armine Arakelian, eine Spitzenjuristin, wird in die Psychiatrie | |
verfrachtet. | |
„Das war Folter. Sie haben mich geschlagen und mir irgendwelche | |
Beruhigungsmittel gespritzt“, echauffiert sich Arakelian. „Mehrere Stunden | |
hat das gedauert, bis mich meine Schwester und Freunde von dort wieder | |
wegholen konnten.“ Wenn Armine Arakelian von der Psychiatrie erzählt, redet | |
sie ohne Punkt und Komma. Sie holt kaum Luft. Fragen stellen ist zwecklos. | |
Ihre Stimme ist laut. Sie zeigt mit den Hände, wie die Instrumente | |
aussahen, mit denen man sie traktiert hat. Sie zeigt, wie die Mitarbeiter | |
der Psychiatrie sie geschlagen haben. Es scheint, als würde sie alles noch | |
einmal durchmachen. Doch diesmal fühlt sie keine Schmerzen, keine Schande | |
und keine Demütigung. Sie kocht vor Wut. Es ist sowjetische Tradition, | |
politisch unerwünschte Personen in die Psychiatrie zu sperren. Die | |
armenische Regierung will auf dieses Erbe offenbar nicht verzichten. | |
## Drei Jahre in Ruanda | |
Armine Arakelian lebt in ganz anderen Traditionen. Nach dem Studium ging | |
sie zu den Vereinten Nationen nach Genf, wo sie als Juristin und Beraterin | |
beim UN-Hochkommissariat für Menschenrechte arbeitete. Später koordinierte | |
sie von Stockholm aus verschiedene Osteuropaprojekte. Nach dem Völkermord | |
in Ruanda von 1994 zog es sie nach Afrika. Drei Jahre lang leitete sie in | |
Ruanda das Ressort für Menschenrechtsförderung bei den Vereinten Nationen. | |
Aus dieser Zeit stammen die Frauenskulpturen in ihrem Wohnzimmer. | |
Armine Arakelian redet und redet. Plötzlich steht Muli vor ihr und fordert | |
Aufmerksamkeit. Die Katze lässt sich bereitwillig von ihre Herrin | |
streicheln. Arakelian lächelt freundlich, steht vom Frühstückstisch auf und | |
füllt Wasser in den Wasserkocher. Muli ist nicht allein in diesem Haus und | |
teilt sich die Aufmerksamkeit mit zwei weiteren Katzen. Alle drei wiederum | |
sind privilegiert gegenüber den vier Hunden draußen auf dem Hof, die das | |
Haus nicht betreten dürfen. | |
Armine Arakelian erzählt, dass ein Nachbar einmal einen Welpen mit einer | |
Schaufel geschlagen hat. Und der wetterte noch, als Arakelian das ein | |
Verbrechen nannte. „Frauen und Tiere müssen unter der Herrschaft der Männer | |
leben“, knurrte er. „Genau solche Männer dominieren dieses Land!“, schim… | |
Arakelian. | |
## Fasziniert von Gustav Klimt | |
Der Status der armenischen Frauen beunruhigt Armine Arakelian besonders. | |
Ihr Blick ruht jetzt auf der Wand. Sie blickt auf die Figur der Danaë aus | |
der griechischen Mythologie, eines der bekanntesten Werke von Gustav Klimt. | |
Sie bewundert die göttliche Liebe und Transzendenz. „Klimt fasziniert | |
mich“, sagt sie. Ihre Liebe zu den Goldfarben rührt auch von dieser | |
Sehnsucht her. | |
Armine Arakelian will Menschen zivilgesellschaftlich und politisch | |
ausbilden und gründete dazu im Jahr 1999 das Institut für Menschenrechte | |
und Demokratie. Doch das Institut arbeitet nicht mehr. Die Positionen | |
waren zu verschieden, sagt Arakelian. Es gab Unstimmigkeiten. Vielleicht | |
hat das auch mit Arakelian selbst zu tun. Nicht alle waren mit ihren | |
Aktionen einverstanden. | |
Doch Armine Arakelian will weiter für den Rechtsstaat kämpfen. Sind die | |
Parlamentswahlen am 2. April denn nicht dazu geeignet, etwas zu verändern? | |
„Ach was. Wahlen werden in Armenien gefälscht. Hier herrscht eine | |
kriminell-oligarchische Regierungsform“, sagt sie. „Die politischen | |
Parteien sind keine demokratischen Institutionen. Sie dienen nur einer | |
Person, dem Parteichef.“ Wenn die Republikanische Partei die Mehrheit | |
bekommt, würde nur eine Partei in diesem Land herrschen, so wie in der | |
Sowjetunion. „Die Parteispitze versucht alle möglichen Formen der | |
Fälschung. Ich kann nur hoffen, dass dieser Plan schiefgeht. Mehr nicht.“ | |
Armine Arakelian fordert daher die Armenier auf, nicht zur Wahl zu gehen. | |
Allerdings bezeichnet sie das nicht als Boykott. „Die Wahlergebnisse stehen | |
schon vor dem Wahltag fest. An diesem Tag werden diese Ergebnisse nur | |
legitimiert“, sagt sie. Und wie geht das? Dadurch, dass die Bürger an den | |
Wahlen teilnehmen und Wahlbeobachter in den Wahllokalen anwesend sind. | |
„Keiner sollte sich instrumentalisieren lassen und wählen gehen“, fordert | |
Armine Arakelian. So könnte die Wahl delegitimiert werden. | |
Ist Armine Arakelian glaubwürdig? Schließlich könnte sie selbst gar nicht | |
wählen, denn sie hat keinen armenischen Pass. Bisher habe sie darauf | |
verzichtet, erklärt sie. Sie will die armenische Staatsangehörigkeit erst | |
annehmen, wenn Armenien eine demokratische Republik geworden ist, die die | |
Menschenrechte achtet. | |
Und nun sitzt sie, eine Juristin mit reichlich internationaler Erfahrung, | |
in einem Dorf, wo sich die Nachbarn über ihre Hunde aufregen? Vielleicht | |
ist sie eine etwas zu überqualifizierte Frau für dieses Land? Oder sind | |
ihre Proteste zu radikal? „Armenien ist meine Heimat, die ich auf den Weg | |
zu Demokratie und Menschenrechten bringen will.“ Sie blickt sich kurz um. | |
„Und ich glaube an meine Mission.“ | |
2 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Tigran Petrosyan | |
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