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# taz.de -- Reise nach Armenien: Ararat-Brandy und Religion
> Religion und Sprache sind bis heute die beiden Eckpfeiler der armenischen
> Identität. Sie sind auch das Bindeglied zu den Exilarmeniern.
Bild: Blick von Eriwan auf den Berg Ararat
In der dunklen Felskapelle von Geghard herrscht eine Akustik, wie man sie
eher in einem gediegenen Konzertsaal erwarten würde. Ein Quartett aus zwei
Männern und zwei Frauen bringt hier im Halbdunkel des steinernen
Kapellenrunds armenische Volksweisen und liturgische Gesänge zu Gehör. Es
herrscht eine aufmerksame Stille, als die melancholischen Töne von den
Felswänden widerhallen. Der Raum klingt, als ob ein veritabler Chor Lieder
präsentierte. Die nur vier Stimmen gehören zum Acapella-Vokal-Quintett aus
Armenien.
In dem kargen Ambiente des christlichen Höhlenklosters in der Provinz
Kotayk, 40 Kilometer östlich der Hauptstadt Eriwan, korrespondieren die
Lieder auf eigentümliche Weise mit den jahrhundertealten sakralen
Bauwerken. Geghard bedeutet in der Übersetzung aus dem Armenischen „Kloster
zur Heiligen Lanze“. Der Überlieferung nach soll der Apostel Thaddäus die
Lanze, mit der Jesus am Kreuze in die Seite gestochen wurde, nach Armenien
gebracht haben.
Schon im 4. Jahrhundert wurde an dieser Stelle am oberen Zugang zum
Azat-Tal ein Kloster errichtet, das während der islamischen Eroberung im 9.
Jahrhundert zerstört und erst nach 1215 wieder aufgebaut wurde. Angeblich
geht die Klostergründung auf den Patron der armenisch-apostolischen Kirche,
den heiligen Gregor, zurück. Charakteristisch sind nicht nur die in den
Fels gehauenen Kapellen und Kirchräume, sondern auch die Einsiedlerhöhlen,
die in die zerklüfteten Felswände gehauen worden sind. Den Mönchen blieb
nur ein Leben in Gebet und Armut.
Seit 301 ist das Christentum Staatsreligion: Armenien ist das erste
christliche Land der Welt. Der Überlieferung nach ließ sich König Tiridates
III. nach einer wundersamen Heilung durch den heiligen Gregor taufen und
verordnete seinen Untertanen dasselbe Bekenntnis. Diese Religion behielt
das Land trotz aller feindlichen Eroberungen bis zum heutigen Tage bei. 94
Prozent der Armenier gehören offiziell der armenisch-apostolischen Kirche
an.
## Ein hoher Geistlicher
Pater Shahyn Ananyan sagt, dass die Religion und die Sprache die beiden
Eckpfeiler der armenischen Identität sind. Der zölibatär lebende Priester
ist als „Proto-Archimandrid“ ein hoher Geistlicher im armenischen Klerus.
Zuständig ist er für die Beziehungen der armenischen Kirche zu den anderen
Kirchen und Religionen auf der ganzen Welt. „Die armenische Kirche hat erst
die armenische Kultur, die Sprache, die Literatur und die Architektur
geschaffen.“
Die Kirche und der Glaube sind auch das Bindeglied der Exilarmenier zu
ihrem Land. „Alle Exilarmenier unterstehen der Jurisdiktion der armenischen
Kirche“, sagt Vater Shahyn. Er residiert im „Vatikan“ der armenischen
Kirche in der heiligen Stadt Etschmiadzin, wenige Kilometer westlich von
Eriwan. Hier wird noch immer die „heilige Lanze“ aufbewahrt.
Pater Shahyn ist ein erfahrener Kirchendiplomat. „Wir brauchen Offenheit,
wenn wir den Dialog mit den Kirchen aufrechterhalten wollen“, sagt er. Nur
auf den Islam ist der Kirchenmann nicht so gut zu sprechen. „Der Islam ist
eine politische Religion. Man kann nicht zwischen einem politischen und
einem religiösen Islam unterscheiden. Der Koran begründet die islamische
Identität.“ Im Verhältnis zu den anderen Religionen müsse der Islam ein
paar Prinzipien neu überdenken. In seiner fundamentalistischen Version
bedeute er eine sehr große Gefahr, warnt Pater Shahyn.
Der zweite Pfeiler der armenischen Identität neben dem christlichen Glauben
und der Kirche ist die Sprache. Im Handschriftenmuseum Matenadaran, das
erst Mitte der 50er Jahre fertiggestellt wurde, haben Sprache und Schrift
einen imposanten Ort gefunden, der nicht zufällig über der Hauptstadt
thront. Der Erfinder des armenischen Alphabets sitzt quasi zu Füßen dieses
Gebäudes; an ihm kommt kein Besucher vorbei.
## Historische Werke
Im Jahre 405 erfand der in Van in Kleinasien geborene Mönch Masrop Maschtoz
ein Alphabet mit 36 Buchstaben, das bis heute unverändert gültig ist.
Lediglich in der Zeit als sozialistische Teilrepublik der Sowjetunion kamen
drei Sonderzeichen hinzu. Die Buchstaben dienten auch als numerische Werte
und bildeten das Dezimalsystem ab.
Mariam Arusyak präsentiert einige Exponate der rund 17.000 Handschriften,
die in den Glasvitrinen des Museums ausgestellt sind. „Hier sind
Handschriften aufbewahrt, die Übersetzungen aus dem Persischen, Türkischen
oder Russischen sind, die in diesen Ländern gar nicht mehr existieren.
Viele Werke haben Armenier auch während des Genozids gerettet, oft in zwei
Hälften geteilt, um sie tragen und vor der Vernichtung retten zu können“,
erklärt Arusyak in perfektem Deutsch.
Aufbewahrt sind im Handschriftenmuseum auch die Rezepturen vieler Arzneien
und die Beschreibungen von Heilpflanzen und ihrer Wirkung. „Dieses Wissen
wurde auch in Armenien sehr gezielt eingesetzt“, sagt Arusyak
augenzwinkernd.
## Monumentale Gedenkstätte
Unauslöschbar eingebrannt in die armenische Identität ist natürlich der
Völkermord vor 100 Jahren. Im Jahre 1915 wurden in der Türkei unter
osmanischer Herrschaft 1,5 Millionen Armenier umgebracht. Eine monumentale
Gedenkstätte mit Obelisk und ewiger Flamme, erbaut zum 50. Jahrestag noch
mit sowjetischer Erlaubnis, hoch über der Hauptstadt Eriwan erinnert an
diese Tragödie. Im Wald der Erinnerungen auf der „Schwalbenfestung“ haben
viele ausländische Honoratioren ihre Empathie bekundet, zuletzt der
französische Präsident François Hollande.
Nur einen „deutschen Wald“ sucht man hier vergeblich. Zwar hat auch der
letzte DDR-Außenminister, Markus Meckel, beim Besuch im Jahre 2000 ein
Bäumchen pflanzen lassen. Doch das ist wieder eingegangen, wie uns
glaubhaft versichert wird. Und auch Walter Steinmeier als Außenminister und
Cem Özdemir als Grünen-Politiker waren hier, haben aber auf jede
Anpflanzung aus politischer Rücksichtnahme auf die Türkei verzichtet. Im
Museum der Gedenkstätte muss man dann zur Kenntnis nehmen, wie sehr das
Deutsche Kaiserreich in den Völkermord verwickelt war.
Auf ein überaus positives Deutschlandbild trifft man dagegen in einer
Berufsschule in Eriwan. Hier können die SchülerInnen ein anerkanntes
Sprachdiplom erwerben. Erste Fremdsprache ist natürlich Englisch, aber dann
folgt schon Deutsch. Zwei Schülerinnen sind gerade erst von einem
Aufenthalt in Deutschland zurückgekehrt, eine davon ist die 18-jährige
Irma. „Ich war in Magdeburg und habe auch ein dreiwöchiges Praktikum in
Berlin gemacht“, erzählt Irma. Gefördert wurde der dreimonatige Aufenthalt
von der GIZ. Irma möchte später einmal im Tourismus arbeiten. Gegenwärtig
lernen 820 junge Menschen im Alter von 16 bis 19 Jahren, zu zwei Drittel
Mädchen, an dieser Berufsschule, die sich das deutsche duale
Ausbildungssystem zum Vorbild genommen hat.
„45 Prozent der Absolventinnen finden einen Job nach der Ausbildung“, sagt
Schuldirektor Sergey Sargsyan. 35 Prozent gingen weiter an die Universität.
Die anderen würden halt in diesem Alter heiraten. Schon während der
Ausbildung arbeiteten viele Schüler in Hotels oder gründeten gar eine
eigene Firma, um den Markt zu testen. Julieta Mistarjan ist Deutschlehrerin
an dieser Berufsschule. Sie hat schon als kleines Mädchen in einer
Dorfschule Deutsch gelernt. In ihrer Klasse von rund 20 Schülerinnen und
Schülern herrscht strenge Disziplin. Als die Lehrerin gemeinsam mit dem
Direktor die Klasse betritt, stehen alle sofort auf. Getuschelt oder
gelärmt wird nicht.
## Internationale Elite
Weitaus lockerer geht es im United World College zu. Inmitten eines
waldreichen Hochlandes in der Kleinstadt Dilijan in der Provinz Tavush im
Nordosten Armeniens steht ein bestens ausgestattetes Internat mit
Schwimmbad, Sporthalle und Fußballfeld, in dem sich eine ausgewählte Schar
von 200 Jungen und Mädchen im Alter von 16 bis 19 Jahren aus aller Herren
Länder auf das internationale Abitur vorbereitet. Weltweit gibt es derzeit
17 dieser Colleges.
Die 17-jährige Lilith kommt aus Hamburg und ist seit drei Wochen in
Dilijan. „Ich habe auf Facebook von dem College erfahren und mich
beworben.“ Das Zusammenleben mit Schülern aus fast 72 Ländern sei toll.
„Globale Politik, Geschichte und englische Literatur sind meine
Lieblingsfächer“, sagt Lilith. Ihre Kollegin Kripa aus den USA ist schon
seit einem Jahr im College. Sie ist begeistert vom Schülerrat. „Da dürfen
wir echt mitbestimmen“, sagt Kripa. Über ein Stipendium werden erst einmal
alle EliteschülerInnen gefördert. Wenn die Eltern vermögend sind, müssen
diese die Schulkosten von rund 60.000 Euro im Jahr begleichen.
Die Ausbildungsbedingungen sind exzellent. Auf je fünf Schüler kommt eine
Lehrkraft. Und die Lehrer sind so international wie die Schüler. „Meine
Tante hat mich gedrängt, mich hierfür zu bewerben“, sagt die 18-jährige
Adhiya aus Indien. „Sie war auch auf so einer Schule und hat gesagt, das
sei die beste Zeit ihres Lebens gewesen.“ Für Armenien ist dieses College,
das seit 2014 existiert, ein internationales Prestigeobjekt.
Zu eher einschlägigem Prestige des Landes trägt dagegen ein geistiges
Getränk bei, das in alle Welt exportiert wird, der armenische Cognac oder
Brandy. Im stilvollen Präsentationsgebäude der Schnapsfirma können Besucher
die ganze Woche über von morgens bis abends den Brandy in diversen
Altersstufen von drei bis 30 Jahren probieren und kaufen. Einzelne
Cognacfässchen tragen die Namen prominenter Besucher wie Lech Wałęsa oder
weniger angenehmer Zeitgenossen wie dem weißrussischen Diktator Alexander
Lukaschenko. Auch Winston Churchill soll sich regelmäßig ein Fässchen
dieses Gesöffs haben kommen lassen. Fotos von Cognac schlürfenden
Celebrities wie George Clooney oder Michel Platini zieren das Museum.
Vermarktet wird der Alkohol natürlich als Ararat-Brandy. Auch wenn der Berg
nun einmal in der Türkei liegt, dreht sich alles in Armenien um den Ararat.
Zu Füßen des Berges liegt die Provinz Ararat. Einen Vornamen Ararat gibt es
auch. Und eine gleichnamige Zigarettenmarke. Und von Eriwan aus hat man bei
klarem Wetter immer einen Blick auf den schneebedeckten Ararat.
25 Nov 2017
## AUTOREN
Georg Baltissen
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