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# taz.de -- YouTube fördert die Raserei: Je gefährlicher, desto mehr Klicks
> Die meisten Moto-VloggerInnen fahren verantwortungsbewusst. Wer das nicht
> tut, kann damit richtig Geld verdienen.
Bild: An dieser Stelle hat ein Bremer Moto-Vlogger einen Mann totgefahren.
BREMEN taz | Ein Unfall ist der Grund, warum es auf der Autobahnabfahrt von
der A1 in Richtung Lüneburg nur stockend vorangeht. Die Polizei sichert die
Unfallstelle, Autos und Lkws fahren langsam vorüber. Wir stehen im Stau, in
der Ich-Perspektive, aufgenommen mit einer Go-Pro, Modell „Hero 4“. Wir
sitzen auf einem roten Superbike. Eine helle Stimme aus dem Off sagt: „Oh,
Mannmann, Leute, passt auf euch auf im Straßenverkehr.“ Die Stimme gehört
dem [1][Youtuber „Blackout“]. Die Mini-Kamera hat er an seinen Helm
montiert. Er sagt: „Ihr müsst immer als Motorradfahrer für die anderen
mitgucken. Wenn es einen Unfall gibt, ist scheißegal, wer schuld ist, der
Verlierer ist immer der Motorradfahrer.“
Schnitt. Kurz darauf, Baustellenabschnitt und Fahrbahnverengung auf zwei
schmale Spuren, 80 und Überholverbot, wir überholen mit mehr als 110. Dabei
sagt Blackout: „Deswegen nochmal der Appell an euch: Übertreibt es nicht.
Versucht, nicht zu viel anzugeben. Schätzt euch richtig ein und immer
vorsichtig.“ Blackout nennt sich Moto-Vlogger. Er filmt seine Fahrten mit
einer Action-Cam und hat ein Mikro im Helm.
Erneuter Schnitt, Autobahnauffahrt, die A39 nach Lüneburg, zwei Spuren,
wenig Verkehr. Wir folgen Blackouts Schulterblick. Gestrichelte Linie,
seine rechte Hand gibt Vollgas. Der Motor der Ducati Panigale macht Krach.
Die 195 PS der Maschine sorgen dafür, dass wir zehn Sekunden später mit 215
Stundenkilometern über die linke Spur donnern. Dann schaltet Blackout in
den sechsten Gang. Er fährt die Ducati aus. Der Tacho nähert sich den 300.
280, die Landschaft fliegt vorbei. 290, der Motor brüllt. 295, zwei rote
LEDs am Tacho springen an. 299. Der Tacho bleibt stehen. Blackout versucht,
weiter zu beschleunigen.
Der Tacho springt nicht mehr auf 300. Zeit, darauf zu achten, hat Blackout
sowieso nicht. Der kleinste Fehler könnte ihm das Leben kosten. Das
Motorrad ist an der Grenze, es ist höllisch laut. Fahrtwind, Straße,
Landschaft: ein einziges Rauschen. Blackout duckt sich hinter dem
Windschutz. Die Autobahn ist zweispurig. Man hofft, dass niemand auf seine
Spur ausschert und dass die Fahrbahn sauber ist. Man will sich mit ihm an
das Motorrad klammern. Als er wieder langsamer wird, schreit Blackout:
„Junge, das ist der Hammer! Das ist der Wahnsinn! Wuuuu!“ Seine Stimme
überschlägt sich: „Einmal in meinem ganzen Leben 300 fahren – ich hab’s
gemacht. Was ein Gefühl!“
## 120.000 Abonnenten, 11 Millionen Aufrufe
Das Motorrad gehört nicht einmal ihm. Er hat es in Hamburg für eine
Probefahrt geliehen. Am Ende des elfminütigen Youtube-Videos ist er fast in
Lüneburg. Er sagt: „Wenn ihr meinen Adrenalinrausch feiert, lasst mir auf
jeden Fall mal ein Like da!“ Blackout schließt mit seiner Catch-Phrase:
„Macht’s gut, ihr Landratten.“ Dann kommt der Abbinder: Zu
Autoscooter-Techno wird Merchandise eingeblendet. Hoodies mit Ratten-Motiv
für seine rund 120.000 Abonnenten. In anderen Videos fährt er im Wheelie
und mit deutlich erhöhter Geschwindigkeit durch Hamburg, liefert sich
spontane Rennen mit „richtig geilen Karren“ oder filmt einen seiner
Kollegen, der bei circa 180 km/h fast eine Minute lang im Wheelie auf der
linken Autobahnspur fährt. Seine Videos haben insgesamt 11,6 Millionen
Aufrufe.
Nur wenige Moto-Vlogger sind so bekannt, dass sie eine Fangemeinde haben.
Vlog steht für Videobloggen und bedeutet soviel wie Videotagebuch führen.
Die große Mehrzahl der Moto-Vlogger macht tatsächlich genau das. Sie führen
beim Fahren ein Videotagebuch für sich und einen meist kleinen Kreis
Gleichgesinnter. So wie der Lüneburger „Kradmelder24“. Er fährt seit 30
Jahren Motorrad. In seinen Videos hält er sich grundsätzlich an die
Verkehrsregeln. Autobahn fährt er nicht gern.
## Malerische Reiseerinnerungen
Seine Vlogs sind gleichzeitig Reiseerinnerungen. Sein „Jahresrückblick
2016“ wirkt wie die Motorradversion der „schönsten Bahnstrecken
Deutschlands“. Er fährt über Serpentinen-Straßen durch malerische
Alpenlandschaften. Dazu spielt Musik, die so belanglos dudelt, dass sie
eigentlich nur gemafrei sein kann. Einmal läuft eine Kuh auf die Straße.
Seine Motorradfreunde nennen [2][„Kradmelder24“] Fritze. Durch „klickgeile
Youtuber“ wie Blackout befürchtet er, dass sein Hobby und viele harmlose
Moto-Vlogger stigmatisiert werden. Er sagt: „Ich kann mich mit der
hirnlosen Raserei überhaupt nicht identifizieren. Für mich sind das keine
Moto-Vlogger, sondern Youtuber.“ Zu einem Moto-Vlog gehört für Fritze, dass
man beim Fahren über ein bestimmtes Thema redet und nicht nur emotional auf
seine Raserei reagiert.
Laut Fritze gibt es in der Szene ein grundsätzliches Dilemma: „Die Leute,
die sich wie ’ne wilde Sau verhalten, haben leider auch die meisten Klicks.
Ihre Abozahlen hängen an der Gashand.“ Sein Kanal „Kradmelder24“ hat nur
130 Abonnenten. Auf seinem Blog kradmelder24.de regt er sich über Raser und
ihre „Fanboys“ auf, die deren Fahrweise verteidigen und mit Abos
unterstützen.
Seit anderthalb Jahren gebe es vermehrt jüngere Vlogger, die sich durch
Rasen profilierten, sagt Fritze: „Die Masse ihrer Abonnenten sind Kinder
und Jugendliche. Also irgendwo zwischen Mofa und erstem Motorrad.“ Blackout
und andere „fahren die 200-PS-Maschinen, die bei den 14-Jährigen als Poster
an der Wand hängen.“
## „Eine Vorbildfunktion“
Blackout ist selbst erst 23 und derzeit in Neuseeland. Dennoch antwortet er
per Mail: „Ich habe auf jeden Fall eine Vorbildfunktion, obwohl ich diese
immer versuche abzuweisen. Ich möchte niemandem ein Vorbild sein.“ Niemand
soll seinetwegen schnell fahren oder Wheelies probieren, sagt er. Er habe
noch nicht lange so viele Klicks und wegen „meiner Verantwortung gegenüber
Fahranfängern distanziere ich mich auch mehr und mehr von dieser
Fahrweise.“
In seinem Merchandise-Shop sieht das anders aus: Dort steht unter den
Landratten-Hoodies für 37,90 Euro: „Seid ihr bereit ein Teil der
Landrattencrew zu werden? Dann schnappt euch was von dem guten Zeug!?“
Autogrammkarten werden unaufgefordert beigelegt. Unter den Produkten kann
man ein Bild von sich und seinem Landratten-Hoodie hochladen. Hauptsächlich
Kinder und Jugendliche haben das gemacht.
## „Man kann richtig viel verdienen“
Dass man auch mit den Videos einiges verdienen kann, bestätigt einer der
ersten Moto-Vlogger in Deutschland: Er ist als „[3][Vinzler]“ bekannt und
filmt seine Fahrten seit 2007. Er sagt: „Man kann richtig viel verdienen,
wenn man weiß, wie.“ Dafür muss man lediglich Partner von Youtube werden.
Erledigt ist das mit ein paar Angaben und wenigen Klicks. Anschließend kann
man vor seinen Videos Werbung schalten lassen. Die ausgespielten Werbeclips
werden gezählt, danach fließt Geld auf das Konto. Es kommt von Google, das
Youtube 2006 für 1,6 Milliarden Euro kaufte.
Nach Vinzlers Erfahrung bekommt man für 1.000 Aufrufe zwischen einem und
1,50 Euro gezahlt. Er selbst habe mit seinen rund 15.800 Abonnenten im
Laufe der Zeit 4.000 Euro verdient: „In den besten Zeiten habe ich um die
300 bis 400 Euro im Monat gemacht. In den schlechteren waren es 100 bis 150
Euro.“ Es wäre deutlich mehr, wenn er nicht vernünftig fahren würde, sagt
er.
Entsprechend anders müsste es nach dieser Rechnung bei Blackout aussehen:
Der hätte danach seit seiner Kanalanmeldung im Mai 2016 mit 11,6 Millionen
Klicks mindestens 11.000 Euro mit Werbung verdient. Blackout schreibt: „Ein
nettes Taschengeld ist schon drin“, aber es reiche leider nicht zum
Auskommen. Nebenher arbeite er als Barkeeper: „Ich würde mich nie auf
Youtube als einzige Einkommensquelle einlassen.“ Denn was, wenn morgen die
Klicks ausbleiben?
„Vinzler“ war mit Blackout und dessen Vlogger-Crew namens [4][„Landratten…
eine Zeit lang in einer Whatsapp-Gruppe. Er sagt: „Da ging es hauptsächlich
ums Geldverdienen: Wie nehme ich am allerschnellsten den Fans das Geld aus
der Tasche?“ Die Landratten-Crew unterhielt sich fast ausschließlich über
Merchandise und klickträchtige Youtube-Formate. Vinzler sagt: „Mir ist das
dermaßen auf den Sack gegangen, dass ich nie etwas geschrieben habe.“ Er
glaubt, dass er deswegen auch wieder aus der Gruppe geflogen ist.
## Einen 75-jährigen totgefahren
Noch rasanter als Blackout fuhr der Bremer Moto-Vlogger „[5][Alpi fährt]“.
Nachdem er bei einer Fahrt mit über 100 km/h innerorts einen 75-Jährigen
totgefahren hatte, stellte er seinen Kanal mit rund 85.000 Abonnenten auf
privat. Im Monat vor der Tat verdiente er mit Youtube 900 Euro.
Unter Blackouts Videos stehen oft Kommentare wie: „Mein neuer Alpi <3.“
Blackout sagt in einem seiner Videos dazu: „Ihr könnt das gerne schreiben.
Aber ihr sollt wissen, dass es nicht so ist. Und dass ich das auch ein
bisschen als Kompliment sehe.“ Über Alpis Unfall will er nicht reden, dafür
aber über dessen Videos, die eine Grundlage für die Mordanklage waren:
„Seine Videos haben mir gefallen. Er war ein cooler Typ, vom Menschlichen.“
Den gesamten Schwerpunkt zu diesem Thema lesen Sie am Wochenende in der
gedruckten taz.nord oder [6][hier]
13 Jan 2017
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/results?search_query=blackout
[2] https://www.youtube.com/results?search_query=kradmelder24
[3] https://www.youtube.com/results?search_query=vinzler
[4] https://www.youtube.com/results?search_query=landratten
[5] https://www.youtube.com/results?search_query=alpi+f%C3%A4hrt
[6] /e-Paper/Abo/!p4352/
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
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