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# taz.de -- Motorrad-Raser in Bremen vor Gericht: Im Temporausch
> Der Videoblogger Alpi T. steht wegen Mordes vor Gericht, weil er einen
> Fußgänger totgefahren hat. Mit Youtube-Videos seiner Raserei hat er Geld
> verdient.
Bild: Mit 170 Stundenkilometern durch die Stadt: Mit einem Motorrad wie diesem …
BREMEN taz | Als Alpi T. erfährt, dass er jemanden totgefahren hat, weint
und schreit er. Es ist der Morgen nach dem Unfall, bei dem der 75-Jährige
Arno S. ums Leben gekommen ist, weil T. mit über 100 Stundenkilometern bei
einer mutmaßlichen Fahrerflucht an einem Bremer Wohnviertel vorbeiraste.
Die Nachricht überbrachte T. noch im Krankenhaus ein Polizeikommissar, der
am Donnerstag vor dem Landgericht Bremen dazu aussagte. T. musste nach dem
Unfall selbst unter Vollnarkose operiert werden. Die Polizisten versuchten,
ihm danach die Todesnachricht möglichst schonend beizubringen. Möglich war
das nicht.
Noch sichtlich unter dem Eindruck von Betäubungsmitteln fragte T. die
Polizisten: „Was ist mit dem anderen?“ Woraufhin der Polizeikommissar ihm
mitteilte, dass der „Unfallgegner“ gestorben sei. In seinen Bericht schrieb
der Polizist: „Daraufhin verschlechterte sich sein seelischer Zustand.“ Vor
Gericht führte der Beamte aus: „Er fing an zu weinen und schrie laut:
‚Nein! Nein! Das kann nicht sein!‘“ Ein Seelsorger wurde dazugeholt und T.
schloss die Augen.
Weil er regelmäßig seine wahnwitzigen Motorradfahrten durch Bremen mit
einer Helmkamera filmte, im Internet veröffentlichte und damit sogar Geld
verdiente, klagte ihn die Staatsanwaltschaft wegen Mordes an. Mehr noch: T.
wollte mutmaßlich von einem Unfallort fliehen. Er hatte demnach zum
Tatzeitpunkt keinen A-Führerschein, den er für sein Motorrad, eine 200 PS
starke Kawasaki Ninja, benötigt hätte. Dies wäre die Verdeckung einer
Straftat. Ein niederes Motiv.
T. hat vor Gericht versprochen, alle Fragen zu beantworten. Gleich am
ersten Prozesstag sagte er, dass er alles zutiefst bereue.
## „Hat Ihnen niemand gesagt, dass man nicht so fährt?“
Fragen hat vor Gericht auch der Sohn des Opfers. Am dritten Prozesstag
wurden Ausschnitte aus den Youtube-Videos von T. gezeigt. Der Angeklagte
hat seinen eigenen Youtube-Kanal „Alpi fährt“. Das Gericht sieht in den
Sequenzen zahlreiche gravierende Verkehrsverstöße, Straftaten und
Beschimpfungen des Täters.
Der Sohn des Opfers fragt den Angeklagten daraufhin: „Herr T., Sie haben
gesagt, Sie wollen Verantwortung übernehmen. Was meinen Sie damit?“ T.
antwortet. Diesmal blickt er seinem Gegenüber direkt in die Augen. Am
ersten Prozesstag konnte er diesen Blick nur kurz aufrecht erhalten. Aus
Scham, wie es von der Verteidigung heißt. Heute blickt er länger in
Richtung der Nebenklage, während er spricht.
Dort sitzen zwei Töchter und ein Sohn des 75-Jährigen, den T. auf dem
Gewissen hat. Der Unfallfahrer sagt: „Ich will mich hier vor Sie stellen
und zu dem stehen, was passiert ist. Ich will zeigen, dass es mir nicht
egal ist. Ich bereue zutiefst. Ich beuge mich, egal was für ein Urteil
fällt.“
Dem Angehörigen reicht das nicht. Er fragt weiter: „Warum? Hat Ihnen
niemand gesagt, dass man nicht so fährt?“ Wieder antwortet T.: „Es baut
sich ein Puffer auf zwischen Fahrweise und Gefahr.“ Das ist entscheidend.
T. versucht zu erklären, warum er davon ausgegangen sei, dass alles gut
gehen werde. Im juristischen Sinne ist das der Knackpunkt. Denkt der
mutmaßliche Täter: „Und wenn schon“, ist es bedingter Vorsatz, eine
Verurteilung als Mörder wäre denkbar. Denkt er: „Es wird schon alles gut
gehen“, ist es in der Regel fahrlässige Tötung.
## Innerorts mit 170 Stundenkilometern
T. erzählt im Laufe des Prozesstages von mehreren Situationen, in denen es
geknallt hat – und von anderen, in denen gerade so alles gut gegangen ist.
Ein befreundetet Motorradfahrer, mit dem er zusammen unterwegs gewesen sei,
war in einer Kurve gestürzt, bei hoher Geschwindigkeit. Danach sei er
unversehrt aufgestanden, sagt T. Er habe nichts außer ein paar
Abschürfungen und Prellungen gehabt. T. erzählt, dass er viele solcher
Beinahe-Unfälle und Fast-Katastrophen „gemeistert“ hätte. „Ich hatte den
naiven Gedanken, dass schon alles gut gehen würde.“
Zweifel daran streuen vor allem seine Videos. Insbesondere eines lässt tief
blicken. Es trägt den Titel „Mitternachtsrunde Random“. Es ist
Samstagabend, nach Mitternacht. Immer wieder lässt T. in dem Video den
Motor seines Motorrads aufheulen. Er will damit dicke Autos auf der Bremer
Disko-Meile zu spontanen Rennen provozieren. Er nennt es „wir jagen heute“
und „Frischfleisch“. Dann lässt er die Autos vorfahren, um sie mit seiner
Maschine zu überholen. Er kommentiert die Rennen, lacht und jubelt. Seine
Stimme überschlägt sich, ist beinahe fiepsig.
Dabei beschleunigt er innerorts bis auf 170 Stundenkilometer. An einer
Stelle des Videos überfährt er fast einen Fußgänger mit über 100 km/h, der
die ansonsten leere Straße überqueren will. Eine Szene, die tief blicken
lässt. Denn danach sagte Alpi T. Sätze, die ihm nun zum Verhängnis werden
könnten: „Was für ein behinderter Hurensohn. Er bleibt stehen wie ein Reh.
Er wäre gestorben. Ich hätte ihn in seine Einzelteile zerlegt wie bei
Lego.“
Heute sagt er, dass er in dieser Situation gut reagiert habe. Er sei
schließlich an dem Fußgänger auf der Fahrbahn vorbeigekommen. Im Video
erklärt er, dass ein Motorrad-Anfänger den Fußgänger vermutlich überfahren
hätte, wenn er so schnell unterwegs gewesen wäre. Alpi T. erklärt, wie es
geht: „Vorbeigucken und vorbeifahren, ganz einfach.“
## Alpi T. schläft schlecht – „wegen der Schuldgefühle“
In der Tatnacht überfuhr er Arno S., der bei Rot über die Ampel gegangen
war. Laut Zeugen soll T. sich mit Autobahngeschwindigkeit genähert haben.
„Was würde er seinen Youtube-Fans heute empfehlen“, fragt der
hinterbliebene Sohn von Arno S. dann. „Ich würde 100 Prozent davon abraten,
so zu fahren“, sagt T. Die Aussagen, die er in den Videos getroffen habe,
entsprächen nicht seinem Wesen. Sie seien die Sprache der Motorrad-Szene.
Wenn er auf das Motorrad steige, werde er zu einer anderen Person.
Eine langjährige Vertraute von T., seine Ex-Freundin, mit der bis 2015 fünf
Jahre lang zusammen war, sagte: „Er ist extrovertiert, gibt sich
selbstbewusst, hat aber versteckte Unsicherheiten.“ Er habe bisher rund um
die Uhr Sport gemacht: Longboard fahren, joggen und Tricking, eine Mischung
aus Kampfsport und Breakdance. Seit dem Unfall könne er das nicht mehr,
weil sein Arm gelähmt sei.
Noch im Krankenhaus habe er sie um Beistand gebeten. Sie telefonieren
zweimal die Woche, 60 Briefe habe er ihr aus der U-Haft bereits
geschrieben. „Wegen der Schuldgefühle“, sagt die 23-jährige Studentin, �…
er Schwierigkeiten, in den Schlaf zu finden.“
16 Jan 2017
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Motorrad
Straßenverkehr
Mord
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Raser
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Landgericht
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