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# taz.de -- Die Wahrheit: Adieu, Zeitungsständer
> Es war einmal… ein höchst analoger Zwischenspeicher für ungelesene
> Presse. Gemeinsam mit dem Papierkorb bildete er eine
> Zeitungsständergruppe.
Bild: Stillleben anno 1964: Zeitungsständer mit Mülleimer und Zeitungsstände…
„Zuerst sterben die Zeitungen, und dann sterben die Zeitungsständer!“
weissagte schon Häuptling Crazy Horst und siehe da, er sollte recht
behalten. Denn unbemerkt von einer gleichgültigen Öffentlichkeit hat bei
uns ein großes Zeitungsständersterben eingesetzt.
Nun wird sich der jüngere Mensch fragen, „Was ist das, ein
Zeitungsständer?“, und verzweifelt auf seinem i-Phone herumwischen. Ein
Zeitungsständer ist sozusagen ein Zwischenspeicher für auf Papier gedruckte
Nachrichten, die der User noch nicht gelesen hat.
Dieser kam früher von der Arbeit heim, sank in seinen Lesesessel, griff zur
Tageszeitung, las die Witze und den Sportteil und schlief dann ein. Die
restliche, ungelesene Zeitung kam dann in den Zeitungsständer, der einmal
die Woche von der Zeitungsleserfrau geleert wurde.
Jene Epoche datiert etwa von 1950 bis 1970 und wird von Kulturhistorikern
als die „Goldene Zeitungsständerzeit“ bezeichnet. In dieser Zeit galt ein
Haushalt ohne Zeitungsständer als unkultiviert. Doch leider waren die
modernen Zeitungsständer verhältnismäßig teuer, ein Modell aus dem
Möbelladen kostete gewöhnlich über 100 Mark, was damals viel Geld war.
## Zeitungsständer selbst gebaut
Die kostspielige Notlage war für die Bastelzeitung Selbst ist der Mann ein
Segen, denn damals machte der richtige Mann noch alles selbst. In nicht
weniger als sechs Heften zwischen 1958 und 1964 wurde das Thema
„Zeitungsständer selbst gebaut“ ausführlich beschrieben.
Und wie sah so ein Möbelstück damals aus? Ein moderner Zeitungsständer
musste seinerzeit vier spitz zulaufende Beine haben, die wie bei John Wayne
in „Zwölf Uhr mittags“ gespreizt waren.
Die Seitenwände des Zeitungsständers wurden gerne mit bedruckten,
selbstklebenden Kunststofffolien verkleidet. (Damals wurde Kunststoffolie
noch mit zwei f geschrieben, solange ist das her!) Als Motive der ff-Folien
wurden gerne symbolträchtige Muster genommen, die Orden, Spielkarten oder
Bücher zeigten.
Der anspruchsvolle Bastelfreund konnte auch zu edlem Lederimitat oder
Leinen greifen. Um Besuchern gehörig zu imponieren, wurden in dem fertigen
Zeitungsständer ein bis zwei anspruchsvolle Magazine (Constanze, Vogue) wie
zufällig so drapiert, dass der Name auf dem Titel gut zu erkennen war.
## Ausgestorbene Gewürzständer
Ähnlich wie bei den ebenfalls ausgestorbenen zweiteiligen Gewürzständern
wurde dem selbst gebastelten Zeitungsständer noch ein passender selbst
gebastelter Papierkorb im gleichen Design zugesellt, damit sich Ersterer in
der übrigen Möbelschar nicht so verloren vorkam.
Doch diese schöne kultivierte Zeit der Zeitungsständer- und
Papierkorbgruppen ist leider lange vorbei und nur noch selten steht einer
traurig alleine auf dem Flohmarkt oder in Secondhandläden herum. Meistens
diskret in den Hintergrund gerückt, weil er dem Flohmarkthändler peinlich
ist.
Wer heutzutage aber immer noch im Besitz eines Zeitungsständers ist, sollte
ihn keinesfalls wegwerfen. Die
Selbst-ist-der-Mann-und-die-Frau-und-alle-übrigen-Genderformen zeigt in
ihrer neuesten Ausgabe, was der anspruchsvolle Bastler alles aus einem
alten Zeitungsständer machen kann: eine selbst stehende Damenhandtasche,
einen lustigen Blumenkasten oder ein bezugsfertiges Vogelhäuschen.
Die dazugehörigen Papierkörbe bleiben allerdings, was sie sind, denn Papier
wird immer weggeworfen. Und wussten Sie schon, dass man aus einem
Zeitungsständer auch ganz leicht einen Papierkorb basteln kann?
6 Jan 2017
## AUTOREN
Kriki
## TAGS
Zeitung
Sterben
Möbel
Muskeln
Kreativität
Literatur
Meere
Schuhe
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