# taz.de -- Kommentar Aufarbeitung Radikalenerlass: Groteske Jagd | |
> Vom Radikalenerlass waren Millionen Menschen betroffen. Die Opfer dieses | |
> staatlichen Unrechts sollten endlich rehabilitiert werden. | |
Bild: Schnüffelei: Ist ihr Postbote auch verfassungstreu? | |
Es wirkt wie ein Echo aus einer längst vergangenen dunklen Zeit: Der | |
niedersächsische Landtag will also das Schicksal der Betroffenen von | |
Berufsverboten [1][in den 70er und 80er Jahren aufarbeiten] lassen. Der von | |
der rot-grünen Koalition gegen die Stimmen von CDU und FDP gefasste | |
Beschluss kommt zwar reichlich spät, aber immerhin gibt es ihn jetzt. | |
Immerhin ein Anfang. Andere westdeutsche Länder sollten dem Beispiel | |
folgen. | |
Der „Radikalenerlass“, den der damalige Bundeskanzler Willy Brandt 1972 mit | |
den Ministerpräsidenten der Länder gefasst hatte, war der Sündenfall der | |
sozialliberalen Ära. Er führte zu einer gigantischen wie grotesken Jagd auf | |
vermeintliche Verfassungsfeinde. Formell richtete er sich gegen „Links- und | |
Rechtsextremisten“, in der Praxis traf er bis auf wenige Ausnahmen fast | |
ausschließlich Linke: Neben Mitgliedern der moskauorientierten DKP oder der | |
maoistischen K-Gruppen waren ebenso etliche linke Sozialdemokraten von der | |
staatlichen „Gesinnungsschnüffelei“ (Herbert Wehner) betroffen. | |
Heutzutage ist kaum mehr nachvollziehbar, zu welch wahnwitzigen Kapriolen | |
der „Radikalenerlass“ führte. Nicht nur unzählige Lehrer, selbst Postboten | |
und Lokführer wurden damals entlassen, weil ihre Verfassungstreue als nicht | |
zweifelsfrei erwiesen galt. Das Wort „Berufsverbote“ wurde zu einem | |
unrühmlichen deutschen Lehnwort in anderen Sprachen. | |
Als letztes Bundesland stellte Bayern 1991 die „Regelanfrage“ beim | |
Verfassungsschutz ein. Bis dahin waren bundesweit rund 3,5 Millionen | |
Bewerber für den öffentlichen Dienst systematisch auf ihre | |
„Verfassungstreue“ überprüft worden. Es gab tausende | |
Berufsverbotsverfahren. Viele berufliche Karrieren wurden zerstört. 1995 | |
urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die deutsche | |
Berufsverbotspraxis ein Verstoß gegen die Meinungs- und | |
Vereinigungsfreiheit war. | |
Willy Brandt hat später den „Radikalenerlass“ als großen Fehler bezeichne… | |
Dessen Handhabung sei „einem Stück des absurden Theaters entlehnt“ gewesen. | |
Das lässt sich kaum ernsthaft bezweifeln. Damals ist in der Bundesrepublik | |
staatliches Unrecht begangen worden. Es ist höchste Zeit, dieses | |
unrühmliche Kapitel endlich aufzuarbeiten und die Betroffenen zu | |
rehabilitieren. | |
16 Dec 2016 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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