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# taz.de -- Tag zwei nach dem Anschlag in Berlin: „Das ist Berlin, Mann“
> Die Stadt sucht die Balance zwischen Ausnahmezustand und Normalität. Am
> Breitscheidplatz wird gesungen und getrauert.
Bild: Trauer am Breitscheidplatz
Der Breitscheidplatz ist am Mittwoch der traurigste Ort Berlins. Vor einem
Meer an Blumen und Grableuchten an der Ecke Kant- und Budapester Straße
stehen zwei Männer Mitte dreißig. Einer weint, der andere umarmt ihn. Dann
legen sie ihre Blumen nieder. Es ist still in diesem Moment, der
Breitscheidplatz ein Trauerort. Auf einem DIN-A-Blatt, eingeschlagen in
Klarsichtfolie, steht „Berlin bleibt Berlin“. Es ist, als wüsste man erst
in Momenten wie nach dem Anschlag von Montag mit zwölf Toten, was man hat
an diesem Berlin. Und was es heißt, wenn ein Teil davon verloren zu gehen
droht.
Neben den beiden Männern stehen zwei Jugendliche, die Arabisch sprechen.
Sie ulken herum, stoßen sich gegen die Brust, was junge Männer halt machen,
wenn sie nicht wissen, wohin mit ihren Gefühlen. „Der Lkw ist seit gestern
weg“, sagt der eine und fügt hinzu: „Was da passiert ist, ist scheiße. Wer
macht denn so was? Wer fährt denn mit einem Lkw in einen Weihnachtsmarkt?“
Und die Stimmung? „Geht den Bach runter. Wer freut sich schon noch auf
Weihnachten?“ Für das Zusammenleben in der Stadt aber habe der Anschlag
keine Auswirkungen. „Das ist Berlin, Mann“, sagt er und grinst.
Am zweiten Tag danach sind die Berlinerinnen und Berliner auf der Suche
nach einer Balance zwischen Ausnahmezustand und kleinen Schritten in
Richtung Normalität. Während auf dem Tauentzien Passanten im KaDeWe
verschwinden, um auf den letzten Drücker Weihnachtsgeschenke zu kaufen,
parken vor dem Zoo-Palast immer noch die Übertragungswagen der
Fernsehsender. CNN ist da und der tschechische Sender Prima.
Korrespondenten stehen mit dem Rücken zu einem Kerzenmeer, das es auch auf
dieser Seite des Platzes gibt, an dem der Täter den Lkw am Montag auf den
Weihnachtsmarkt gesteuert hat. Einer hat eine Schallplatte von Hildegard
Knef zwischen Blumen und Kerzen gelegt. Einer der vier Titel lautet „Von
nun an ging’s bergab“.
Schon um 12 Uhr hat der Verein Avaaz begonnen, Lautsprecherboxen aufzubauen
und Zettel mit dem Liedtext zu verteilen. Eine Stunde später sollen
Berliner und Flüchtlinge gemeinsam singen „We are the world“. Auch Jocelyn
B. Smith ist dabei. Die New Yorker Jazz- und Opernsängerin hat schon am
Abend davor beim Gedenkgottesdienst in der Gedächtniskirche gesungen. Punkt
13 Uhr geht es los. Ein rührender Moment. Berlin braucht in diesen Tagen
solche Bilder.
Am Checkpoint Charlie kämpfen sich zwei britische Touristen durch die
Open-Air-Ausstellung über den Kalten Krieg. Als am Montag der Terror auch
Berlin erreicht hat, waren sie in der Nähe des Breitscheidplatzes. Danach
haben sie sich in ein Restaurant zurückgezogen. „Wir wollten irgendwo
drinnen sein“, sagt sie. Er sagt: „Wir haben keine Angst. Wir haben in
London den Terror der IRA erlebt. Man muss nur wachsam sein und immer die
Augen offen haben.“
Am Wachhäuschen am Checkpoint stehen zwei Männer in alter Uniform, „Smith“
und „Cole“, und warten auf Touristen, die sich mit ihnen fotografieren
lassen wollen. „Als am Dienstag die Nachricht kam, dass der Täter noch frei
rumläuft, war uns etwas mulmig“, sagt Smith. Cole ergänzt: „Vor ein paar
Monaten wurden der Checkpoint Charlie und der Alex noch als potenzielle
Anschlagsziele gehandelt. Nun steht hier nicht einmal ein Beamter rum.“
Auch auf dem Alexanderplatz geht das Leben seinen gewohnten Gang. Menschen
hasten zwischen U- und S-Bahn hin und her, Bratwurstverkäufer geizen mit
dem Senf, an den Fußgängerampeln Richtung Alexa stauen sich die Shopper.
Nur ein kleines Grablicht vor dem Weihnachtsmarktstand von Wladimir
Wladimirow erinnert an den Anschlag in der City West. „Damit trauere ich um
die Opfer“, sagt der Porträtzeichner vor seiner Holzbude, die über und über
mit seinen Bildern bestückt ist.
Am Vortag hatte der Markt geschlossen. Der Bulgare, der in den
Sommermonaten seine Dienste am Ku’damm anbietet, findet das gut: „Die Leute
brauchen Ruhe, um zu gedenken.“ Der Anschlag sei für ihn keine Überraschung
gewesen, sagt Wladimirow, „irgendwann musste es Berlin ja treffen“. Wie es
nun weitergeht? „Die Berliner sind mutig, sie haben schon viel Schlimmeres
überlebt“, sagt der Mann mit der Baskenmütze.
Auch die Touristen scheinen mit der sprichwörtlichen Berliner Gelassenheit
zu rechnen. Im Park Inn Hotel, dem noch immer einzigen Wolkenkratzer am
Platz, stehen die neu ankommenden Reisenden in langen Schlangen vor der
Rezeption. Es sind Familien mit Kindern, Ältere, Deutsche und Ausländer.
Haben sie Angst davor, ausgerechnet jetzt in Berlin zu sein? „Nein.“
„Nein.“ „Nein.“
Eine Hotelmitarbeiterin am „Guest Service“ bestätigt den Eindruck. Keine
Besonderheiten habe es seit dem Anschlag gegeben, keine verängstigten
Fragen, keine Abreisewünsche. Das Einzige, was die Gäste am Vortag wissen
wollen: „Wann haben die Weihnachtsmärkte wieder offen?“ Ein Ehepaar um die
50 aus Wuppertal wartet aufs Auschecken. Am Montagabend waren sie bis halb
8 auf dem Breitscheidplatz, ehe sie, gerade noch rechtzeitig, in den Bus
gestiegen sind. Sie seien betroffen, klar, doch Panik hätten sie nicht
verspürt. Am Dienstag waren sie wieder in der Stadt unterwegs.
Aufgefallen ist ihnen nur die verstärkte Polizeipräsenz, sagt der Mann. Am
Alex hingegen steht an diesem Mittwoch eine einzige Wanne vor dem
Fernsehturm. Fast so, als wäre nichts passiert.
21 Dec 2016
## AUTOREN
Erik Peter
Uwe Rada
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Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
Weihnachtsmärkte
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