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# taz.de -- Rassismus nach dem Anschlag in Berlin: Hass ist real
> Wenn Anschläge wie der in Berlin geschehen, häufen sich Angriffe auf
> Muslime. Ich weigere mich, darin mehr als Einzelfälle zu sehen.
Bild: Es geht nicht um Muslime und Wutbürger, sondern um Opfer und Schuldige: …
„Verschwindet aus unserem Land“, schreit ein Mann am Mittwoch und spuckt
dabei ein junges Mädchen auf offener Straße an. Das Mädchen trägt ein
Kopftuch. Sie heißt Asma und ist zu dem Zeitpunkt in Frankfurt mit zwei
Freundinnen unterwegs. Nachdem der Mann mit seinem Fahrrad verschwunden
ist, fängt Asma an zu weinen. Später berichtet sie auf Facebook, was ihr
zugestoßen ist.
Ich lese die Kommentare unter ihrem Post. Sie ist nicht allein. Ein paar
Freunde versuchen sie zu trösten, andere erzählen von ähnlichen Vorfällen.
Einzelfälle, denke ich, und versuche keine Verbindung zu den jüngsten
Ereignissen in Berlin aufzubauen – dem Lkw, der auf den Weihnachtsmarkt am
Breitscheidplatz fuhr. Es war nur einen Tag zuvor passiert.
Das Attentat in Berlin ist höchstwahrscheinlich aus Hass geschehen. Ein
Gefühl, das zwölf Menschen in den Tod gerissen hat. Ein Gefühl, das
Menschen in Trauer versetzt und eine Nation mit gemischten Gefühlen
hinterlässt. Ein Gefühl, das sich selbst perpetuiert. Hass, der Hass
gebiert. Das mag komisch klingen, ist für einige Muslime aber Realität. Sie
kennen das: Geschieht ein terroristischer Akt, verleiht das einigen
Deutschen offenbar den Mut, ihren Hass zu artikulieren.
Noch mehr Beispiele? Samet ist Berliner und ebenfalls ein Freund. Vor zwei
Tagen hat er beobachtet, wie eine Frau in der U-Bahn in bedrohlicher Art
und Weise auf ein kleines arabisches Mädchen im Rollstuhl zuging.
Währenddessen schrie sie die ganze Zeit: „Die Araber haben unsere Stadt
angegriffen. Scheiß Araber.“
Wieder versuche ich mir einzureden, dass auch das nur ein Einzelfall war.
Einzelfälle, bei denen Muslime bedroht, bespuckt oder beleidigt werden.
Aber dennoch Einzelfälle. Ich möchte nicht in dem Glauben leben, dass meine
Heimat antimuslimisch eingestellt ist. Ich bin hier geboren und
aufgewachsen. Mit Einzelfällen kann ich besser leben.
## Dem Hass den Rücken kehren
Aber wenn ich höre, was meine Freunde und Bekannten nach Anschlägen wie dem
jüngsten in Berlin erleben, verliere manchmal auch ich die Hoffnung. Ich
möchte Muslime nicht in die Opferrolle stecken und nicht mit dem unguten
Gefühl weiterleben, dass sie Opfer sind. Aber ignorieren kann ich auch
nicht, was gehäuft passiert. Hass ist real. Und Hass trifft nach
terroristischen Anschlägen leider die, die nichts damit zu tun haben.
Kurz nach der Lkw-Attacke in Berlin schrieb eine muslimische Freundin in
eine WhatsApp-Gruppe, dass sie wieder Angst davor habe, unter
Generalverdacht gestellt zu werden, und fragte, ob man nicht etwas dagegen
tun könne. Sie schlug vor, Geld unter uns Freunden zu sammeln und Geschenke
an unsere christlichen Nachbarn und Freunde zu verschenken. Eine schöne
Idee an Weihnachten. Aber völlig übertrieben, finde ich.
Das impliziert nämlich, dass wir es nötig haben, uns zu rechtfertigen und
das Image der Muslime verbessern zu müssen. Stattdessen sollten sich die
Menschen Gedanken machen, die bei hasserfüllten Attentaten mit Hass
reagieren. Die ihren Mitbürgern ins Gesicht spucken, ihnen das Kopftuch vom
Kopf abziehen und sie anschreien.
Gedanken machen sollten sich Menschen, die keine andere Lösung als Hass
kennen, die ihre Emotionen nicht unter Kontrolle haben und denken, dass ein
friedliches Leben durch Hass erreicht werden kann. Nicht aber die Opfer,
nicht die Trauernden, nicht die Muslime. Ich weigere mich, mir nach einem
Anschlag Sorgen um mein Image zu machen oder in Angst zu leben. Ich werde
zwar trauern, aber weiterleben.
Ein Generalverdacht und falsche Schuldzuweisungen an Muslime entfachen eine
Debatte, die völlig fehl am Platz ist. Denn es geht nicht um Muslime oder
um Wutbürger. Es geht um die Hinterbliebenen, die jemanden verloren haben.
Und um Schuldige, die gefasst werden müssen. Schwere Zeiten überstehen wir
nur, wenn wir weiterleben, feiern, auf Weihnachtsmärkte gehen und vor allem
zusammenhalten. Wir müssen dem Hass den Rücken kehren. Das ist die einzige
Lösung, der ich in meinem Kopf Platz gewähre. Und daran halte ich fest.
Lesen Sie auch: Daniel Bax über [1][rechte Politiker, die das Geschäft des
IS betreiben], Erik Peter über [2][Vereinnahmung des Berliner Anschlags
durch Neonazis]
23 Dec 2016
## LINKS
[1] /Kommentar-Terror-und-Fluechtlinge/!5369479
[2] /Rechte-Aktionen-nach-Berliner-Anschlag/!5369477
## AUTOREN
Hatice Kahraman
## TAGS
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