# taz.de -- Kriminologe Egg über Zschäpe-Gutachten: „Eine massive Einschrä… | |
> Im NSU-Prozess soll diese Woche das psychiatrische Gutachten über die | |
> Hauptangeklagte vorgestellt werden. Zschäpe weigerte sich, mit dem | |
> Verfasser zu sprechen. | |
Bild: Sieht nicht glücklich aus: Beate Zschäpe | |
taz: Herr Egg, der Gerichtspsychiater Henning Saß hat sein Gutachten über | |
Beate Zschäpe erstellt, ohne einmal mit ihr gesprochen zu haben. Wie viel | |
ist so ein Gutachten wert? | |
Rudolf Egg: Das ist natürlich eine massive Einschränkung. Die | |
psychiatrische Exploration des Betreffenden, das direkte Gespräch, ist | |
normalerweise der Kern eines solchen Gutachtens. Es geht ja um die Frage: | |
Hat jemand zur Zeit der Tat gewusst und gewollt, was er da tat? Und das | |
kann man am besten erfassen, indem man mit der Person über seine Motive | |
spricht und diese auch hinterfragt. | |
Zschäpe aber weigerte sich bis zuletzt, mit dem Gutachter zu sprechen. | |
Das passiert uns Sachverständigen immer wieder. Aber was sollen wir tun? | |
Dann bleibt nur, was auch Professor Saß tat: das Studium der Aktenlage und | |
der Zeugenaussagen über den Betroffenen. | |
Was können die Richter ja auch. Wo kann der Gutachter da noch helfen? | |
Der Sachverständige hat ja eine ganz eigene Fachexpertise, um zu | |
beantworten, wie schuldfähig, psychisch gesund oder wie anhaltend | |
gefährlich eine Person ist. Diese Einschätzung ist eine ganz andere als die | |
juristische der Richter. Deshalb holen sie sich ja auch diese Hilfe. | |
Welche Mindeststandards muss ein Gutachter einhalten, um verlässlich eine | |
Person beurteilen zu können, die er nie gesprochen hat? | |
Er muss sicherstellen, dass er tatsächlich alle erforderlichen Quellen | |
nutzt, um sich ein Bild zu machen. Er muss dieses Bild so vorurteilsfrei | |
formulieren, wie es nach bestem Wissen möglich ist. Und er sollte sich nur | |
auf sein Fach, auf die psychologisch-psychiatrischen Aspekte, beschränken | |
und juristische Wertungen unterlassen. | |
Eine vorurteilsfreie Beurteilung, ist das in einem Prozess wie dem zum NSU | |
wirklich möglich? | |
Ich habe da keinen Zweifel. Es gibt wenige so renommierte Gutachter wie | |
Professor Saß. | |
Dieser hat Beate Zschäpe immer wieder auch direkt im Gerichtssaal | |
beobachtet. Wie aussagekräftig ist das? | |
Für die Schuldfähigkeit spielt es eine untergeordnete Rolle. Denn | |
entscheidend ist, wie sich die Person bei der Tat verhalten hat. Da Zschäpe | |
aber nicht mit Professor Saß sprach, ist diese Beobachtung nicht | |
irrelevant. Denn sie verschafft zumindest grobe Indizien, wie sich die | |
Angeklagte nachträglich zur Tat positioniert, ob sie an Wahnerkrankungen | |
leidet und welche Gefährlichkeit von ihr noch ausgeht. Letzteres ist | |
wichtig etwa für die Frage einer Sicherungsverwahrung. | |
Alles in allem: Wie entscheidend ist das Gutachten für das Urteil? | |
Der Einfluss ist erheblich. Weniger auf die Urteilsfindung, als auf die | |
Beurteilung der Schuldfähigkeit und Gefährlichkeit. Wobei ich leider auch | |
etliche Urteile kenne, die fast wortwörtlich von den Sachverständigen | |
abgeschrieben wurden. So darf es natürlich nicht sein. Die Richter sollten | |
immer entscheiden: Nehmen wir diese Gutachten an oder nicht? Und dann | |
sollten sie frei ihr Urteil fällen. | |
21 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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