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# taz.de -- Sicherheitsgefühl nach dem Anschlag: Dann hätte jemand angerufen
> Nach einem Blick aus dem Fenster stellt sich Berlin friedlich dar. Im
> Internet herrscht dagegen Panik. Und was stimmt jetzt?
Bild: Ruhe in der Stadt – Panik im Netz
Berlin taz | Es ist gegen Viertel vor neun, im Ersten wird die Eilmeldung
eingeblendet. Kai Pflaume und ein Paar Promis plaudern sich gerade durch
ein seichtes Quizformat. Ich springe von der Couch, verheddere mich mit den
Füßen in der Fleecedecke. Irgendwas möglicherweise Anschlagsmäßiges in
Berlin. Adrenalinstoß. Griff nach Laptop, Handy, Fernbedienung, Tablet,
wieder Laptop – am Ende greife ich nach allem gleichzeitig und meine Geräte
flutschen mir durch die Finger auf den Boden.
Kurz halte ich inne, trete zum Fenster und blicke auf den Berliner
Nachthimmel – alles ist friedlich. Keine Sirenen, keine Schreie, keine
Hubschrauber. Es besteht keine Gefahr, sagt mein Radar. Eigentlich. Die
Frage nach dem In-Sicherheit-Sein wird in dieser Nacht nur noch paradoxe
Antworten generieren.
Denn in meinen Geräten ist die Welt eine andere. Gruppen-SMS einer
Freundin: „Passt auf euch auf!“ Nächste SMS: „Geht’s dir gut? Bleib zu
Hause!“ Wie genau soll ich auf mich aufpassen? Warum sollte ich zu Hause
bleiben? Weil zehn Kilometer weit weg, aber zufällig in derselben Stadt,
ein Laster in eine Menschenmenge gefahren ist? Wieder der Blick nach
draußen. Im Späti gegenüber spielen zwei Männer Karten.
Im Laufe des Abends wird auf Facebook der „Safety Check“ für die Region
Berlin aktiviert, eine Funktion, über die NutzerInnen mit einem Klick allen
ihren Kontakten mitteilen können, dass sie außer Gefahr sind – eine
Funktion, die im Laufe der Nacht viele als sehr positiv bewertet haben und
deren Nutzung sogar die Polizei empfiehlt.
Aber warum sollte ich denn in Gefahr sein?
Langsam fange ich an, mich zu ärgern über die Menschen, die sich Sorgen
machen – und mich damit zwingen, mir auch Sorgen zu machen.
## Plötzlich zum Teil der In-Crowd geworden
Wann man Angst hat und wann man sich sicher fühlt, hat mit Erfahrungswerten
zu tun. Menschen können Ängste erlernen und verlernen, sie sind Affekte,
die durch Diskurse beeinflusst werden. Seit einigen Jahren glauben laut
Umfragen immer mehr Menschen, dass die Kriminalität in Deutschland zunimmt
– während Kriminalstatistiken das Gegenteil zeigen. Das hängt auch damit
zusammen, von welcher Gefahr man sich selbst betroffen sieht. Diese
In-Crowd der Gefährdeten steigt durch die Sozialen Medien und die
Vernetzung.
Nach Paris schienen alle gefährdet, die nach „westlichem Lebensstil“ Bars,
Konzerte oder Fußballspiele besuchen. Ein Kneipenabend am 14. November
2015, dem Tag danach? Nicht ohne Grübeleien. Nach Orlando hatten queere
Menschen in ihren Szenelokalen und auf Pride-Paraden ein mulmiges Gefühl.
Und jetzt – bin ich Teil der In-Crowd, weil ich mich in Berlin befinde, ein
Facebook-Algorithmus Alarm schlägt und meine Bekannten sichergehen wollen,
dass ich sicher bin. Ich verstehe das gut. Als die Nachrichten aus Paris
kamen, habe ich einen Tag lang mit steigender Panik versucht, einen Freund
anzurufen, der dort lebt – wohl wissend, dass es statistisch gesehen absurd
ist. Jetzt ruft mich dieser Freund an. Genervt gehe ich ran: „Ich lebe.“
Auch drei Stunden später hat sich nichts verändert. Keine Sirenen, keine
Schreie, keine Hubschrauber. Niemand schlägt Schaufenster von Läden ein.
Die Männer spielen immer noch Karten. Nur die Quizshow im Ersten haben sie
unterbrochen.
Ich denke an meine älteren Verwandten in ihren Mittelgebirgskäffern. Die
das Internet nicht kennen und keine Smartphones haben. Die am nächsten
Morgen eine Zeitung erhalten, in der vom Breitscheidplatz nichts drin
steht. Und die, wenn sie dann von dem Ereignis hören, sich denken: Wäre was
Schlimmes passiert, dann hätte jemand angerufen.
20 Dec 2016
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
Berlin
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