# taz.de -- Der optimistische Jahresrückblick: Danke, 2016! | |
> Vieles war schlecht. Aber eben nicht alles. 2016 war besser als sein Ruf | |
> und es lohnt sich, auch die positiven Dinge hervorzuheben. Ein Versuch. | |
Bild: Scheiß Brexit, scheiß Krieg, scheiß 2016! Nein, es war nicht alles sch… | |
BERLIN taz | Ein Blick, erst recht der Rückblick auf ein ganzes Jahr, setzt | |
immer einen Standpunkt voraus. Keine Frage, dass 2016 für Homosexuelle in | |
Orlando, Sioux in Dakota, Flaneure in Nizza oder Journalisten in Istanbul | |
tatsächlich ein entsetzliches Jahr gewesen ist. So hat es sich auch hinter | |
einem Schreibtisch oder auf einem Fernsehsessel irgendwo in Mitteleuropa | |
dargestellt, wo alle Informationen – medial abgefedert – zusammenlaufen. | |
Und Blasen werfen. | |
Aleppo, Brexit, Erdoğan, Trump, Duterte, Horrorclowns überhaupt, Faschisten | |
ganz generell, Terror ganz generell, der übliche Amok, ach ja, und Bowie, | |
Prince, Cohen. Fäulnis und Verderben allenthalben. Schönes verging, während | |
das Hässliche seine Köpfe reckte. Ein ganzes Jahr als schwarze Tür in die | |
Zukunft. 2016, das erste echte „annus horribilis“ einer ganzen Generation? | |
Nun, das täuscht. Eigentlich war 2016 vielleicht nicht „mirabilis“, aber | |
doch ganz okay. Jedenfalls besser als sein Ruf. Jedes Ding hat mindestens | |
zwei Seiten. Und es gibt keinen Grund, nur auf die dunkle Seite zu starren. | |
Anstatt also das Grauen und immer neue Grauen wie auf einem grell | |
ausgeleuchteten Karussell vor unserem inneren Auge kreisen zu lassen, | |
sollten wir das Helle und Gute in den Blick fassen. | |
## Man einigt sich | |
Zu diesem Zweck können wir wahllos in die weitgehend unbeachtete Kiste | |
greifen, auf der „Gute Nachrichten 2016“ steht. Ohne Gewähr. Irgendwas. So | |
hat sich die Zahl der Plastiktüten an englischen Stränden halbiert, seit | |
dafür im Supermarkt Geld verlangt wird. Warum nicht bei Gewässern bleiben? | |
In den Colorado River ist nach einem Abkommen zwischen den USA und Mexiko | |
das Leben zurückgekehrt. In der Antarktis ist das mit rund 500.000 | |
Quadratkilometern [1][weltgrößte Meeresschutzgebiet] vereinbart worden. Ein | |
ähnliches gibt es seit 2016 vor der malayischen Küste. | |
Insgesamt haben sich 20 Staaten auf solche Schutzgebiete und 5 Milliarden | |
Euro für ihren Erhalt geeinigt. Ist das nicht schön? Man einigt sich, | |
beispielsweise auf der Klimakonferenz in Marrakesch auf weitere Details der | |
Pariser Beschlüsse. Was noch? Ach ja, die Säure im Regen ist auf dem | |
weltweit niedrigsten Stand seit 1930. Erstmals in der Geschichte der | |
Menschheit ist der globale Ausstoß von Kohlendioxid nicht gewachsen. China | |
und Indien lehnen neue Kohlekraftwerke ab. Saubere Energien sind überall | |
auf dem Vormarsch, allein Costa Rica meldete, 2016 volle 100 Tage nur mit | |
erneuerbaren Energien ausgekommen zu sein. Sogar das Ozonloch ist dabei, | |
sich zu schließen. So was alles. Das sind nur Beispiele, aber Beispiele | |
neverthelessfür positive Entwicklungen und eben kein Grund, Trübsal zu | |
blasen. | |
Aber der Krieg, der Krieg? Kriegerische Auseinandersetzungen sind heute, | |
nach dem historischen [2][Ende der Gemetzel in Kolumbien], so selten wie | |
niemals zuvor. Uniformierte Armeen treten überhaupt nicht mehr | |
gegeneinander an, in absoluten Zahlen und auch in geografischer Ausdehnung | |
ist es so unwahrscheinlich wie nie, Opfer der Bomben eines feindlichen | |
Staats zu werden. Das mag angesichts des islamistischen Terrors in einem | |
Bogen von Nigeria bis Afghanistan nur ein Hoffnungsfunken sein. Immerhin | |
ist es keine Flamme an der Lunte. | |
Noch besser sieht es bei sozialen oder gesundheitlichen Entwicklungen aus. | |
In Ostasien ist die Zahl der Menschen in extremer Armut von 60 Prozent im | |
Jahr 1990 auf wenig mehr als 3 Prozent in diesem Jahr gefallen. Auf | |
Hungersnöte wird weltweit inzwischen so schnell und professionell reagiert, | |
dass die New York Times im Mai bereits ein Ende dieser Plage vermutete. | |
## Weniger Plagen | |
Und wo wir bei Plagen sind: Die WHO meldete in diesem Jahr, dass die Zahl | |
der Opfer von Malaria seit 2000 um 60 Prozent gesunken ist. Im gleichen | |
Zeitraum hat sich in ganz Afrika dank hygienischer Standards die | |
Lebenserwartung um mehr als neun Jahre erhöht – auch weil sowohl [3][Ebola] | |
als auch HIV-Übertragungen so weit wie möglich eingedämmt wurden. | |
Seit 1990, meldete der Guardian, hat sich die Zahl der Frauen halbiert, die | |
weltweit an den Folgen einer Schwangerschaft gestorben sind. Und erinnert | |
sich noch jemand an die bekloppte „Ice Bucket Challenge“ 2015? So bekloppt | |
war die gar nicht, wie sich 2016 herausgestellt hat. Mit dem durch die | |
Social-Media-Kampagne erwirtschafteten Geld konnte ein Durchbruch in der | |
ALS-Forschung erzielt werden. | |
Wer will, mag sich auch über die Weltumrundung eines Solarflugzeugs oder | |
die Sonde freuen, die den Jupiter erreicht hat. Vielleicht genügt es aber, | |
sich auf die Flotte aus niedlichen Zusteller-Elektroautos zu freuen, an | |
denen die Post arbeitet. | |
Und Tiger! Tigern geht es wieder viel besser. Nicht einmal Pandas stehen | |
mehr auf der Liste der gefährdeten Tierarten! Wir wissen jetzt, warum die | |
Bienen sterben. Und Kaninchen, auch ganz wichtig. | |
Im Grunde geht es doch darum, eben als Kaninchen nicht dauernd auf die | |
Schlange zu starren. Schlechte Nachrichten haben naturgemäß immer mehr | |
Konjunktur als gute. Was nicht heißt, dass es keine guten Nachrichten gibt. | |
Als mehr als homöopathisches Mittel gegen depressive Verstimmungen sei | |
empfohlen, sich ihnen zuzuwenden. | |
Pessimisten sehen ein halb leeres Glas, Optimisten wähnen es halb voll. | |
2016 zwingt uns dazu, es als zu einem Viertel gefüllt zu betrachten – und | |
eben nicht als zu drei Vierteln geleert. Außerdem, und das ist eines seiner | |
wenigen unabweisbaren Vorteile, ist 2016 in wenigen Tagen schon Geschichte | |
und kann uns nichts mehr tun. Dann werden wir es nehmen und vorsichtig in | |
das Regal all der anderen Jahre einsortieren, die schon hinter uns liegen, | |
und im Vergleich mit 1914 oder 1933 wird es gar nicht mal eine sooo | |
schlechte Figur machen. | |
## Mehr Musik | |
Ebenfalls helfen könnte es, sozusagen den Untersuchungszeitraum zu | |
erweitern. Schließlich gibt es keinen Grund, willkürlich ein bestimmtes | |
Jahr aus dem steten Fluss der Zeit zu reißen und es, noch triefend, | |
skeptisch unter die Lupe zu nehmen. Niemand würde sagen: „Das war ein | |
fürchterlicher Frühling!“ oder: „Na, diese Kalenderwoche hatte es aber in | |
sich!“ | |
Oder doch? Verdammt. Je ernsthafter man versucht, dieses verschissene 2016 | |
schönzuschreiben, umso tiefer verirrt man sich in den Wald, umso schneller | |
gehen einem die Melodien aus, die man darin pfeifen könnte. Danke, 2016. Da | |
heißt es nun: Tapfer bleiben. Durchbeißen. Zu einem versöhnlichen Ende | |
kommen. Musik hilft. | |
Gut, [4][David Bowie] und [5][Leonard Cohen] werden weiter vermisst werden. | |
Aber erstens schenkten sie uns im Angesicht ihrer Vergänglichkeit noch die | |
größte Kunst, derer sie fähig waren. Zweitens sollten wir, anstatt auf | |
Gräber zu starren, lieber den Lebendigen zuwenden. Paul Simon und Van | |
Morrison haben 2016 jeweils neue Alben veröffentlicht. Sogar die Rolling | |
Stones sind noch da, die wussten, was man mit einer schwarzen Tür machen | |
muss. Rot anstreichen. | |
28 Dec 2016 | |
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## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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