# taz.de -- Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: Kulturelle Aneignung | |
> Unsere türkischen Nachbarn lieben Gans mit Rotkohl und Plastiktannen. Sie | |
> dürfen das: Sie gehören ja nicht zur weißen Mehrheitsgesellschaft. | |
Bild: Den Niklaus haben wir geklaut | |
Bei Ozmanns gibt es Gans mit Rotkohl zu Weihnachten. Unsere türkische | |
Nachbarin ist rotkohlvernarrt. Sie hat sich unser Weihnachtsmenü kulturell | |
angeeignet. Die Frage, wie bleiben wir uns selbst treu, ohne uns dem | |
anderen zu verschließen, hat sie ganz pragmatisch beantwortet: Ihr Rotkohl | |
ist durch die Zutat von Knoblauch und Kurkuma äußerst schmackhaft. | |
„Hinter kultureller Aneignung steckt die kolonialrassistische Praxis, in | |
der sich die Mehrheitsgesellschaft die Kultur von Subalternen (…), vor | |
allem Kolonialisierten, abschaut, aus dem Kontext reißt und aneignet“, so | |
ein Credo der Critical Whiteness. Sprich: ihnen etwas wegnimmt. Die Ozmanns | |
nehmen uns nichts weg. Sie gehören nicht zur Mehrheitsgesellschaft. Im | |
Gegenteil, man würde sie auf dem besten Weg zur Integration bezeichnen. | |
Vermischung, Austausch, Aneignung, kulturelles Patchwork, das eigentlich | |
Selbstverständliche in der Begegnung, das Spannende in der Kunst, auch beim | |
Reisen, ist unter Generalverdacht geraten, weil man die Privilegien | |
dahinter erfragt. Wer nimmt wem was? In der Logik der Critical Whiteness | |
immer die privilegierten Weißen den diskriminierten Minderheiten. Statt | |
sich mit realen Machtverhältnissen und konkreter Diskriminierung von | |
Weißen, Nichtweißen und Minderheiten zu befassen, geht es um kulturelle | |
Zuschreibung, um vererbte Privilegien, um Schwarz und Weiß, um | |
Benachteilung, letztendlich um Kränkungen. | |
Eine Afrikanerin im Dirndl auf dem Oktoberfest kränkt niemanden, allenfalls | |
ist sie angepasst. Die nach Indien reisende Deutsche im Sari hingegen ist | |
nicht einfach peinlich, sondern glich übergriffig. Anmaßend aufgrund ihrer | |
historisch gewachsenen Privilegien. So schematisch wird die Critical | |
Whiteness zur engstirnigen Ideologie, zu einem Wettbewerb der | |
Meistdiskriminierten. | |
Eigentlich hatten wir überlegt, dieses Jahr auf den Weihnachtsbaum zu | |
verzichten aus Rücksicht auf die kulturellen Gefühle unserer muslimischen | |
Nachbarn. Aber nachdem diese uns ihre Plastiktanne gezeigt haben, kommt uns | |
diese antirassistische Geste überflüssig vor. | |
21 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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