# taz.de -- Kommentar Martin Schulz: Raus aus der Loser-Logik | |
> Gerade die SPD, die kaum noch etwas zu verlieren hat, braucht | |
> Selbstvertrauen. Schulz jetzt als Kandidaten auszurufen, wäre falsch. | |
Bild: Wer stimmt für Martin Schulz? | |
Der SPD bietet sich eine Chance, die sie besser nicht vergurken sollte. | |
Martin Schulz geht von Straßburg nach Berlin, der Präsident des | |
Europaparlaments will 2017 in den Bundestag einziehen. Ihn aber nun so | |
schnell wie möglich zum Kanzlerkandidaten auszurufen, wäre das Dümmste, was | |
die Partei aus diesem Umstand machen könnte. | |
Falscher Heldenglaube hat dazu geführt, dass Steinmeier und Steinbrück in | |
kleiner Runde gecastet wurden, für die Wahlen 2009 und 2013. Doch am Ende | |
rockten die Stones nicht, sie ruckelten nicht mal an Angela Merkels Stuhl. | |
Die Chance besteht darin, diesen Kandidaten nicht auszukungeln, sondern ihn | |
in einer Urwahl zu finden. Alle potenziellen Kandidaten der SPD haben | |
Stärken und Schwächen. Warum soll nicht die Basis in einem | |
innerparteilichen Wettbewerb herausfinden, welcher für das Wahljahr der | |
richtige ist? | |
Da ist einmal Parteichef Sigmar Gabriel. Sein Minus: Er oszilliert seit | |
2013 zwischen den Rollen und macht sich dadurch unglaublich unbeliebt. Mal | |
war er Gewerkschaftsfreund und mal Industriekumpel, bald | |
Rüstungsexport-Gegner und Rüstungsexport-Genehmiger, er war | |
Regierungsmanager und Parteitribun. Sein Plus: Er ist ein erfahrener | |
Wahlkämpfer und ein ausgebuffter Profi, der mit der seltsamen Seele dieser | |
Partei umzugehen weiß. | |
Dann Martin Schulz. Sein Minus: Null Erfahrung mit Sozial- oder | |
Innenpolitik; in der ihm nicht vertrauten Berliner Macht- und | |
Medienmaschine könnte er leicht geschreddert werden. Sein Plus: Er kann | |
begeistern und hat quasi im Alleingang das Europäische Parlament gegenüber | |
den Regierungen und Eurokraten ermächtigt. | |
Schließlich Olaf Scholz. Sein Minus: Hamburgs Erster Bürgermeister kann | |
Reden halten, die sich anhören wie die Telefonschleife eines Katasteramtes. | |
Sein Plus: Gerade weil der Jurist ein erfahrener Regierungstechnokrat ist, | |
wird er viele beruhigen, denen die Perspektive eines rot-rot-grünen | |
Bündnisses Angst einflößt. | |
Und natürlich würde es so einer Partei auch gut tun, mal einen ganz anderen | |
– oder noch besser: eine ganz andere – in Erwägung zu ziehen. | |
Ein Zweier-, Dreier- oder Viererwettbewerb wäre interessant. Er brächte der | |
SPD Aufmerksamkeit und würde ihre verschreckten Mitglieder mobilisieren. | |
Die Verlierer und ihre Fans müssten nicht das Gefühl haben, hinter | |
verschlossenen Türen ausgebootet worden zu sein. Sie wären in einer fairen, | |
offenen Konkurrenz unterlegen. Wer gewinnt, sollte dann auch | |
Parteivorsitzender werden. | |
Aber warum sollte Sigmar Gabriel überhaupt in eine Urwahl gehen, wo er doch | |
als Vorsitzender den Zugriff auf die Kandidatur hat? Wo doch Martin Schulz | |
sein Freund ist und ihm vermutlich nicht mit Gewalt eine Kandidatur | |
streitig machen würde? Wo er doch riskieren würde, gleich noch den | |
Parteivorsitz zu verlieren? | |
## Selbstvertrauen | |
Nun, der Vorsitz ist auch nach einer Vollklatsche bei der Bundestagswahl | |
weg. Gewinnt er eine Urwahl, täte ihm das gut. Ein gewählter | |
Kanzlerkandidat stünde besser da als ein Vorsitzender, der sich trotz | |
Grummeln und Hadern selbst ausruft. | |
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die SPD-Spitze inzwischen einer anderen | |
Denke folgt. Dass es den Beteiligten darum geht, schon jetzt eine | |
Niederlage zu verteilen. Dass sie schon jetzt überlegen, wer nach einer | |
neuerlichen Schlappe am wenigsten schlecht dasteht und danach Vorsitzender | |
einer Kleinpartei sein darf. Eine Logik der Loser – man kennt sie schon aus | |
den chronisch erfolglosen SPD-Verbänden etwa in Bayern oder | |
Baden-Württemberg. | |
Aber in diesem Wahljahr, in dem der Wettbewerb zwischen den anständigen | |
Parteien wichtiger ist als je zuvor, darf es nicht darum gehen, schon | |
vorher von einem schlechten Ergebnis auszugehen. | |
Gerade die SPD, die im Grunde kaum noch etwas zu verlieren hat, braucht | |
Selbstvertrauen. Schon 2013 hat Gabriel die Mitglieder zur Großen Koalition | |
befragt. Die Abstimmung der Basis stärkte die Partei. Wenn die SPD Mut zu | |
einem wirklichen Wettbewerb findet, dann findet sie auch einen | |
Kanzlerkandidaten, der den Namen verdient. | |
24 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Georg Löwisch | |
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