| # taz.de -- Anschlag auf Gemeindetreff in Jüterbog: Nach einem Jahr noch ohne … | |
| > Vor einem Jahr detonierte in Jüterbog ein Sprengsatz in einem | |
| > Gemeindezentrum, das auch Flüchtlinge nutzen. Die Täter sind noch immer | |
| > nicht gefasst. | |
| Bild: Unbekannte haben 2015 auf den evangelischen Jugendclub einen Anschlag ver… | |
| Jüterbog dpa | Der Aufenthaltsraum im Gemeindetreff „Turmstube“ in Jüterb… | |
| ist aufgeräumt. Hinter dem grauen Kuschelsofa lehnt eine Gitarre an der | |
| Wand. „Dort ist der Sprengsatz detoniert“, sagt Pfarrer Bernhard Gutsche | |
| und zeigt auf eine geriffelte Fliese, die sich vom übrigen Bodenbelag | |
| abhebt. Durch die Wucht der Detonation stürzte die Decke in dem Raum herab. | |
| Zum Glück war zu dem Zeitpunkt niemand im Haus. „Das war Terror“, stellt | |
| Gutsche nüchtern fest. „Aber eine solch starke Gemeinschaft wie die Kirche | |
| und die engagierten Bürger kann niemand damit einschüchtern.“ | |
| Nach einer NPD-Demonstration war am 20. November vergangenen Jahres ein | |
| Sprengsatz durch ein Fenster in den Raum geworfen worden. In dem | |
| Gemeindezentrum trafen sich auch Flüchtlinge mit ihren Helfern. | |
| Aus Sicht von Pfarrerin Ramona Rohnstock hat der Anschlag für viele | |
| Jugendliche in ihrer Gemeinde mobilisierend gewirkt. „Einige, die sich | |
| vorher nicht für das Thema Flüchtlinge interessierten, haben sich dann | |
| engagiert“, sagt Rohnstock. „Wir haben dann auch ein Theaterstück zum Thema | |
| Flucht auf die Bühne gebracht.“ | |
| Doch die Hintergründe des Anschlags sind weiter ungeklärt. Die | |
| Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelt seit einem Jahr in rechtsgerichteten | |
| Kreisen. Kurz nach dem Anschlag meldeten die Ermittler eine konkrete Spur, | |
| die aber wenig später im Sande verlief. „Derzeit laufen noch Vernehmungen | |
| von Zeugen und Beschuldigten“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, | |
| Christoph Lange. Nähere Einzelheiten nennt er aus ermittlungstaktischen | |
| Gründen nicht. | |
| ## Die kleine aktive rechtsextreme Szene | |
| Aus Sicht der Rechtsextremismus-Experten des Brandenburger demos-Instituts | |
| kam der Anschlag auf den Flüchtlingstreff nach dem NPD-Aufmarsch nicht | |
| völlig überraschend. „Das war mit rund 300 Teilnehmern schon eine große | |
| Demo und die Stimmung war äußerst aggressiv“, berichtet Beraterin Andrea | |
| Nienhuisen. Angemeldet wurde die Demonstration von dem NPD-Politiker Maik | |
| Schneider aus dem Havelland, der drei Monate zuvor gemeinsam mit | |
| Gesinnungsgenossen eine geplante Asylunterkunft in Nauen in Brand gesetzt | |
| haben soll. Dafür muss er sich vom kommenden Donnerstag an vor dem | |
| Landgericht Potsdam verantworten. | |
| „Es sind noch keine Täter für den Anschlag in Jüterbog ermittelt“, stellt | |
| Nienhuisen klar. „Aber es ist doch naheliegend, dass es eine Verbindung zu | |
| Schneider gibt.“ Unter den Teilnehmern seien etwa zwei Dutzend aus Jüterbog | |
| und Umgebung gewesen. „Es gibt eine kleine, aber recht aktive rechtsextreme | |
| Szene in und um Jüterbog, die gut vernetzt ist.“ Nienhuisen erinnert daran, | |
| dass es Anfang Oktober wieder einen Brandanschlag auf ein Heim für junge | |
| Flüchtlinge in Jüterbog gab, bei dem zum Glück niemand verletzt wurde. „F�… | |
| Angst und Unsicherheit bei den Bewohnern und Betreuern sorgt das aber | |
| schon.“ | |
| Der CDU-Landtagsabgeordnete Danny Eichelbaum, der seinen Wahlkreis im | |
| Landkreis Teltow-Fläming hat, sieht ein Erstarken der Zivilgesellschaft in | |
| Jüterbog. „Es war richtig, dass Bürger, Kirche und Politik unmittelbar nach | |
| dem Anschlag ein Zeichen gegen Gewalt und Extremismus gesetzt haben“, sagt | |
| der Justiz-Experte. „Ich hätte mir aber auch einen schnellen | |
| Ermittlungserfolg der Polizei und der Justiz gewünscht, um | |
| Legenden-Bildungen und Verharmlosungen im Keim zu ersticken.“ | |
| ## Der Bürgermeister warnt vor Flüchtlingen | |
| Solche Verharmlosungen machten in Jüterbog durchaus die Runde. Es seien | |
| Gerüchte umgegangen, wonach in dem Treff eine Heizung explodiert sei und | |
| die Kirchengemeinde den Vorfall für eine kostengünstige Sanierung genutzt | |
| habe, erzählt der SPD-Landtagsabgeordnete Erik Stohn. Er verweist auch auf | |
| den parteilosen Bürgermeister Arne Raue. Der sorgte im vergangenen Jahr | |
| gleich mehrfach für negative Schlagzeilen – etwa, als er wegen angeblicher | |
| Ansteckungsgefahr vor Kontakten mit Flüchtlingen warnte. „Der Bürgermeister | |
| muss ein Vorbild sein und dem wird er nicht gerecht“, urteilt Stohn. | |
| Raue wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Der Fraktionschef der | |
| Wählergemeinschaft „Für Jüterbog“, Hendrik Papenroth, teilt aber die | |
| Meinung seines Bürgermeisters, dass hinter dem Anschlag auf die „Turmstube“ | |
| nicht unbedingt rechtsextreme Täter stehen müssten. „Solche Anschläge sind | |
| zu verurteilen, aber dass dies Rechtsextreme waren, ist für mich nicht | |
| erwiesen“, sagt er. Stohn hält solche Äußerungen für fatal: „Es sind no… | |
| keine Täter ermittelt. Aber wenn die offenkundigen Zusammenhänge mit einer | |
| NPD-Demo am selben Tag offiziell geleugnet werden, hat das Auswirkungen auf | |
| die Stimmung in der Stadt.“ | |
| Diese Stimmung bekommt die 16-Jährige Charlotte hautnah mit. Sie engagiert | |
| sich für die Flüchtlinge und war mit einigen auch schon im Supermarkt | |
| einkaufen. „Die Blicke, die man da spürt sind alles andere als freundlich“, | |
| schildert sie. Dies mache vielen Flüchtlingen Angst und sie trauten sich | |
| kaum noch auf die Straße. Ihr selbst geht es inzwischen fast genauso. Vor | |
| kurzem sei sie auf offener Straße von sechs schwarz gekleideten Gestalten | |
| mit Kampfhund bedroht worden erzählt die Jugendliche. „Seitdem gehe ich im | |
| Dunkeln nicht mehr alleine 'raus.“ | |
| 19 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Peters | |
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