# taz.de -- Journalist über Mafia-Berichterstattung: „Ich gewinne leider nie… | |
> Claudio Cordova ist Chef der Netzzeitung „Il dispaccio“ in Reggio. Im | |
> Interview spricht er über die Risiken für investigative Journalisten im | |
> „Kriegsgebiet“. | |
Bild: Die Festnahme des untergetauchten Ndrangheta-Bosses Antonio Pelle am 5. O… | |
taz: Herr Cordova, mit Ihrer [1][Webzeitung il dispaccio] sind Sie | |
selbständiger Journalist in Reggio Calabria, das Sie ein „Kriegsgebiet“ | |
nennen. Wie kamen Sie zu dieser spezifischen Art, Ihren Beruf auszuüben? | |
Claudio Cordova: Als Journalist arbeite ich, seit ich 18 Jahre alt bin. Bis | |
Dezember 2011 war ich für lokale Medien tätig, immer investigativ auf dem | |
Sektor, der sich in Reggio aufdrängt: organisierte Kriminalität, | |
Ndrangheta. Bei einem dieser Medien wurde ein Beitrag von mir von der | |
Website gelöscht. Es ging um einen Lokalpolitiker und seine Verbindungen | |
zur Ndrangheta. Daraufhin habe ich 2012 il dispaccio gegründet. Ich wollte | |
meinem eigenen moralischen Kompass folgen. Über den Inhalt des gelöschten | |
Artikels habe ich später ein Buch geschrieben – und wurde nicht verklagt: | |
Weil ich die Wahrheit gesagt habe und die Beweise hatte. | |
Wie funktioniert il dispaccio? | |
Kalabrien ist arm, viele Zeitungen mussten schließen, die Leute zahlen | |
nicht für Information. Es gab also keine Alternative zu Online, zur | |
Multimedialität, zur [2][Verbreitung über die sozialen Netzwerke]. Wir | |
finanzieren uns ausschließlich über Werbung, akzeptieren keine öffentlichen | |
Gelder. Denn genau da sind wir mitten im Problem: Es gibt in Kalabrien | |
keinen öffentlichen Bereich, für den man ausschließen kann, dass die | |
Ndrangheta mitmischt. Da wir aggressiv sein wollen, können wir das nicht | |
machen. | |
Aber ist der private Sektor, der dann Werbung schaltet, nicht ebenso | |
mafiaverseucht? | |
Klar ist , dass wir nicht mit Firmen zusammenarbeiten, gegen die ermittelt | |
wird. Aber unsere Anzeigenabteilung recherchiert auch intensiv, ob Kunden, | |
gegen die nichts vorliegt, zu uns passen oder nicht. Die mafiösen Firmen | |
suchen wir erst gar nicht, und sie suchen uns auch nicht unbedingt, weil | |
wir kein Umfeld bieten, in dem sie sich wohlfühlen. | |
Aber es wäre nicht das erste Mal in Kalabrien, dass die Ndrangheta eben ein | |
sauberes Umfeld unterwandert. | |
Es ist uns noch nicht passiert. Aber wir bleiben sehr vorsichtig. Die | |
Ndrangheta ist in erster Linie ein Beziehungsgeflecht. Die | |
Anzeigenabteilung muss deswegen bei jedem Kunden Rücksprache halten mit der | |
Redaktion, nicht was die Preise angeht, sondern die mögliche Verwicklung | |
mit der Organisierten Kriminalität. Und wir haben dann auch schon laufende | |
Verhandlungen abgebrochenen. Es lag nichts Konkretes vor, aber wir haben | |
lieber das Geld verloren als ein Risiko einzugehen. Was uns hilft, ist, | |
dass Kalabrien weniger als zwei Millionen Einwohner hat, und wir sehr gut | |
vernetzt sind. Man weiß also normalerweise, mit wem man es zu tun hat. | |
Wie viele Visits hat il dispaccio? | |
Wir haben durchschnittlich 25.0000 bis 30.000 Besuche am Tag, mit | |
erreichten Spitzenwerten bei 70.000. | |
Wie viele Leute leben von der Arbeit bei il dispaccio? | |
Wir sind ungefähr zehn Leute, die an den Redaktionssitzungen teilnehmen. | |
Die Hälfte davon etwa übernimmt auch redaktionelle Aufgaben, die anderen | |
sind Autoren. Träger von il dispaccio ist ein Kulturverein, der auch Bücher | |
herausgibt und Konferenzen organisiert. Derzeit konzentrieren wir uns aber | |
auf die Webzeitung. | |
Sind die Beschäftigten krankenversichert? | |
Nein, darum müssen sie sich selbst kümmern. | |
Was bedeutet „investigativ“ genau in Bezug auf die Ndrangheta? | |
Es geht schlicht darum, das aufzudecken, was andere im Verborgenen halten | |
wollen: Den grauen Sektor aufzuklären, wie wir hier sagen. Der militärische | |
Arm der Ndrangheta, also der, von dem man meistens in den Nachrichten hört, | |
ist in den letzten Jahren durch Justiz und Polizei unter Druck geraten. Das | |
muss weitergehen, aber wir zielen auf die Verbindung mit den | |
gesellschaftlichen [3][Eliten]. Denn ohne die wäre die Ndrangheta einfach | |
eine Bande von Mördern, Erpressern und Dealern geblieben. | |
Werden Sie bedroht? | |
Alle fragen das immer, nicht nur im Ausland. Und [4][die Antwort ist ja]. | |
Aber die „physische“ Bedrohung ist nicht entscheidend. Man versucht uns zu | |
isolieren und diffamieren. Seit ich il dispaccio mache, wurde ich auf über | |
eine Million Euro Schadenersatz verklagt – und nie verurteilt. Aber diese | |
Sachen kosten Kraft, Zeit und Geld, es ist wie beim Fußball: Mein bestes | |
Ergebnis ist ein Unentschieden, ich kann leider nie gewinnen. | |
Was in Reggio auffällt, ist, dass es zahlreiche Einzelne gibt die sich, in | |
Verbindung mit Justiz und Polizei, gegen die Herrschaft der Ndrangheta | |
stemmen. Aber es gibt keine breite Bewegung in der Bevölkerung, die das | |
trägt, richtig? | |
Es gibt keine Zivilgesellschaft hier. Die Leute haben das Vertrauen in den | |
Staat verloren und suchen nach Symbolen. Eines der schlimmsten Dinge in | |
Reggio ist, dass auch die guten Leute Angst haben, miteinander zu | |
verkehren, weil man nie sicher sein kann, ob der andere nicht doch zu den | |
Bösen gehört. | |
Wie soll es mit il dispaccio weitergehen? | |
Meine Idee ist es, aus il dispaccio eine große Online-Zeitung für | |
Süditalien zu machen. Das dauert aber noch mindestens fünf Jahre. Um zu | |
vermitteln, dass es eben die Mafien sind, die den Süden nicht vorankommen | |
lassen. Mafia ist Korruption – und [5][hat nichts mit Folklore zu tun]. | |
29 Nov 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.ildispaccio.it/ | |
[2] https://www.facebook.com/claudio.cordova.10 | |
[3] /!5319142/ | |
[4] http://www.giornalistitalia.it/minacce-virtuali-al-giornalista-claudio-cord… | |
[5] /!5079428/ | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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