# taz.de -- Mordserie in Delmenhorst: Ex-Kollegen des Todespflegers angeklagt | |
> Klinik-Mitarbeiter sollen trotz Verdachts nichts gegen die Morde des | |
> ehemaligen Pflegers Niels H. an PatientInnen unternommen haben. | |
Bild: Im ehemaligen Klinikum Delmenhorst soll Pfleger Niels H. Patienten getöt… | |
HANNOVER taz | Sechs MitarbeiterInnen des ehemaligen Klinikums Delmenhorst | |
sollen an der Mordserie des als „Todespfleger“ bekannt gewordenen Niels H. | |
mitschuldig sein. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat gegen zwei ehemalige | |
Oberärzte, den damaligen Stationsleiter der Intensivmedizin, seine beiden | |
Stellvertreterinnen und einen Intensivpfleger Anklage wegen Totschlags | |
durch Unterlassung erhoben. Sie sollen im Mai und Juni 2005 Morde und | |
Mordversuche des Pflegers nicht verhindert haben, „obwohl sie solche Taten | |
durch ihn für möglich hielten“, argumentieren die Ermittler. | |
H. hat gestanden, allein in Delmenhorst bei Bremen mindestens 27 | |
PatientInnen umgebracht zu haben. Dazu hat er ihnen offenbar nicht | |
notwendige Medikamente wie das Herzmittel Gilurytmal, Betablocker wie | |
Sotalex oder Kalium gespritzt. Auch bei seinem früheren Arbeitgeber, dem | |
Klinikum Oldenburg, soll H. Kranke getötet haben: Gegenüber Mithäftlingen | |
hat sich der heute 39-Jährige angeblich selbst als „den größten | |
Serienmörder der Nachkriegsgeschichte“ bezeichnet. | |
Grund für die Taten war vermutlich Geltungssucht: Die von H. verabreichten | |
Medikamente führen zu Herzrhythmusstörungen bis hin zum Stillstand. | |
Scheinbar wollte der psychisch labile Intensivpfleger danach mit guten | |
Kenntnissen im Bereich der Reanimation glänzen. „Er war ein begeisterter | |
Retter“, sagte ein früherer Oberarzt des Klinikums. | |
Allerspätestens am 22. Juni 2005 aber hätten die sechs jetzt Angeklagten | |
des ehemaligen Klinikums Delmenhorst, das mittlerweile unter dem Namen | |
Josef-Hospital firmiert, erkennen müssen, dass H. auch ein Mörder ist, | |
glauben die Ermittler: Der Pfleger war an diesem Mittwoch von einer | |
Kollegin auf frischer Tat ertappt worden, wie er dem Krebspatienten Dieter | |
M. Gilurytmal spritzte, das für dessen Behandlung nicht notwendig war. | |
„Eine andere Krankenpflegerin trat hinzu“, sagte der Sprecher der | |
Staatsanwaltschaft Oldenburg, Martin Rüppell, zur taz. „Sie fragte: Was | |
machst du da?“, so Rüppell. | |
Noch am gleichen Tag sei klinikintern eine Untersuchung des Blutes von | |
Dieter M. in Auftrag gegeben worden, „um die Verabreichung von Gilurytmal“ | |
durch H. belegen zu können, heißt es in der Anklage. Die Polizei hätten | |
dessen Vorgesetzte aber nicht eingeschaltet. Stattdessen habe der Pfleger | |
bis zum Antritt eines regulär beantragten Urlaubs noch zwei Mal zum Dienst | |
antreten dürfen. Seine letzte Schicht soll er dann dazu genutzt haben, die | |
67-jährige Renate R. mit dem Medikament Sotalex zu töten. | |
Ähnlich vorgegangen sein dürfte H. auch am Klinikum Oldenburg, wo er bis | |
2002 tätig war. Polizei und Staatsanwaltschaft verdächtigen ihn, dort | |
mindestens sechs Menschen umgebracht zu haben – vier davon mit Kalium. Nach | |
Exhumierungen wurde in den Leichen zweier weiterer ehemaliger Patienten der | |
Gilurytmal-Wirkstoff Ajmalin nachgewiesen. Insgesamt seien allein im | |
„Ermittlungskomplex Delmenhorst“ 99 Tote exhumiert und obduziert worden, | |
sagte Staatsanwalt Rüppell. Im „Ermittlungskomplex Oldenburg“ dauern die | |
Untersuchungen noch an. | |
Dennoch scheint klar, dass auch in Oldenburg tiefes Misstrauen gegen H. | |
herrschte: 2002 soll er dort zur Kündigung gedrängt worden sein, nachdem | |
immer öfter PatientInnen von ihm aus unerklärlichen Gründen in Lebensgefahr | |
gerieten. Trotzdem bescheinigte ihm die dortige Pflegedirektorin nach | |
Recherchen der Nordwest-Zeitung, „umsichtig, gewissenhaft und | |
selbstständig“ gearbeitet zu haben. Oldenburgs Polizeipräsident Johann | |
Kühme hatte deshalb bereits im Sommer kritisiert, der Ruf der Klinik sei | |
offenbar wichtiger gewesen als das Wohl der Patienten. | |
Immerhin: Niedersachsens Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (SPD) hat | |
mittlerweile einen Maßnahmenkatalog vorgestellt, der weitere Mordserien wie | |
die des Pflegers unmöglich machen soll. Stationsapotheker sollen | |
sicherstellen, dass sprunghaft steigender Medikamentenverbrauch etwa der | |
von Gilurytmal künftig auffällt und anonyme Meldesysteme sollen es | |
Whistleblowern leichter machen, verdächtige Kollegen zu melden. | |
29 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
## TAGS | |
Niels Högel | |
Medizin | |
Niels Högel | |
Landtagswahl in Niedersachsen | |
Niels Högel | |
Psychiatrie | |
Kriminalität | |
Niels Högel | |
Urteil | |
Delmenhorst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Prozess wegen hundertfachen Mordes: Kollektive Amnesie der Intensivstation | |
Im Prozess gegen den Krankenpfleger Niels Högel haben erstmals ehemalige | |
Kolleg*innen ausgesagt. Doch die wenigsten können sich erinnern. | |
Opfer der vorgezogenen Neuwahlen: CDU bremst Patientenschutz aus | |
Mit einer Novelle des Krankenhausgesetzes wollte Niedersachsen Lehren aus | |
den Klinik-Morden in Delmenhorst ziehen. Jetzt fällt es den Neuwahlen zum | |
Opfer | |
Sonderkommission zieht Bilanz: Serienmörder mit Spitzenzeugnis | |
Infolge mangelhafter Kontrollen konnte Pfleger Niels H. 90 Menschen | |
ermorden. Die gesetzliche Verbesserung des Patientenschutzes aber droht zu | |
scheitern. | |
Ermittlungen am Klinikum-Ost in Bremen: Suizid statt Heilung | |
Eine junge Frau bringt sich um, kurz nachdem sie aus dem Krankenhaus | |
entlassen wird. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wieder | |
Mordender Pfleger aus Niedersachsen: Dutzende mögliche Opfer entdeckt | |
Der frühere Krankenpfleger Niels H. wurde bereits wegen des Mordes an zwei | |
Patienten verurteilt. Nun ergab eine Exhumierung Hinweise auf 27 weitere | |
Opfer. | |
Delmenhorster „Todespfleger“: Weitere Mordopfer gefunden | |
Niels H.wurde wegen dreifachen Mordes verurteilt – dabei hat der | |
Krankenpfleger mindestens 21 Menschen getötet. Und die Ermittlungen laufen | |
weiter. | |
Urteil gegen Krankenpfleger: Lebenslang für Mordserie | |
Niels H. muss lebenslang in Haft. Weil sich der Krankenpfleger unterfordert | |
fühlte, hat er 90 Patienten eine Medikamenten-Überdosis gespritzt, 30 | |
starben. | |
Tötungen im Krankenhaus: Versagen von allen Seiten | |
Nicht nur in Delmenhorst, auch in Oldenburg soll Krankenpfleger Nils H. | |
Patienten getötet haben. Nun werden alle Arbeitsstellen des Pflegers | |
überprüft. |