# taz.de -- Tötungen im Krankenhaus: Versagen von allen Seiten | |
> Nicht nur in Delmenhorst, auch in Oldenburg soll Krankenpfleger Nils H. | |
> Patienten getötet haben. Nun werden alle Arbeitsstellen des Pflegers | |
> überprüft. | |
Bild: Wegen vielfachen Mordes angeklagt: Krankenpfleger Nils H. vor dem Landger… | |
BREMEN taz | Neben 174 Todesfällen in Delmenhorst, die dem Krankenpfleger | |
Niels H. zur Last gelegt werden, wird der 37-Jährige nun auch der Tötung | |
von zwölf PatientInnen im Klinikum Oldenburg verdächtigt. Die | |
Polizei-Sonderkomission „Kardio“ überprüft jetzt sämtliche ehemalige | |
Arbeitsstellen des Pflegers. Gleichzeitig wird gegen zwei ehemalige | |
Dezernenten der Staatsanwaltschaft Oldenburg ermittelt. | |
H. war 2008 zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt worden, weil er 2005 | |
einem Patienten auf der Intensivstation des Klinikums Delmenhorst eine | |
Überdosis des Medikaments Gilurytmal gespritzt hatte, das zu | |
lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen führen kann. Aktuell werden ihm | |
außerdem drei Morde und zwei Mordversuche zur Last gelegt, ebenfalls | |
begangen in Delmenhorst. Dass sich die Todesfälle dort während seiner drei | |
Dienstjahre mehr als verdoppelt haben, wurde freilich jahrelang nicht | |
weiter hinterfragt – auch nicht von der Staatsanwaltschaft Oldenburg. | |
„Dabei lag bereits 2006 alles Wesentliche gegen ihn vor: die hohe Zahl der | |
Todesfälle und der sieben Mal so hohe Verbrauch von Gilurytmal“, sagt | |
Anwältin Gaby Lübben, Vertreterin der Nebenklage. 2012 hätten außerdem die | |
Vernehmungsprotokolle von H.s Mithäftlingen vorgelegen, nach denen der | |
Pfleger sich selbst als „den größten Serienmörder der Nachkriegsgeschichte… | |
bezeichnet und behauptet habe, er habe „bei 50 Toten aufgehört zu zählen.“ | |
Erst in diesem Jahr nahm die Staatsanwaltschaft weitergehende Ermittlungen | |
auf. Im Zuge dessen beschloss auch das Klinikum Oldenburg, wo H. vor seiner | |
Zeit in Delmenhorst arbeitete, die Todesfälle zu überprüfen, die während | |
seiner dortigen Dienste eingetreten sind. Nun liegen die Ergebnisse vor: In | |
zwölf von 56 untersuchten Fällen gibt es laut Gutachter „mindestens | |
Hinweise auf Fremdeinwirkung“. | |
Grund genug für die Staatsanwaltschaft, nun auch gegen sich selbst zu | |
ermitteln: Aufgrund „eines Anfangsverdachts wegen Strafvereitlung im Amt“ | |
gegen die zwei ehemaligen Oldenburger Staatsanwälte, die trotz aller | |
Indizien den Fall nicht weiter verfolgt hatten, wurde am gestrigen Mittwoch | |
die Staatsanwaltschaft Osnabrück mit der Bearbeitung des Verfahrens | |
beauftragt. | |
Dass die Oldenburger Todesfälle nicht früher aufgefallen sind, liegt laut | |
Klinikleitung daran, dass deren Zahl insgesamt nicht auffällig angestiegen | |
sei und dass die PatientInnen dort mit Kalium umgebracht wurden, einem frei | |
zugänglichen Mittel, das per Infusion in der Intensivmedizin regelmäßig | |
verabreicht wird. Überdies ermittelt eine Leichenschau auf der | |
Intensivstation, in Eile vom diensthabenden Arzt durchgeführt, meist einen | |
„natürlichen Tod“ – nicht nur in Oldenburg: „Man könnte dafür einen | |
Gerichtsmediziner bestellen, aber dafür fehlt den Kliniken das Geld“, sagt | |
Lübben. | |
## Auffälliges Benehmen | |
Aber auch wenn es keine Hinweise auf Tötungen gab: H. benahm sich in | |
Oldenburg auffällig, spielte sich nach erfolgreichen Reanimationen als Held | |
auf – und wurde wegen dieses unangemessenen Verhaltens nach drei Jahren | |
gekündigt. Das Klinikum schrieb ihm trotzdem ein makelloses Zeugnis, mit | |
dem er problemlos seine neue Stelle in Delmenhorst bekam. | |
Und dort wurde trotz der rapide steigenden Todesfälle niemand stutzig – | |
auch nicht, als der Arzneimittellieferant mitteilte, dass die | |
Gilurytmal-Bestellungen von 60 auf 380 Anwendungen im Jahr angestiegen | |
seien: Das Medikament wurde fortan nicht mehr per Sonderanforderung | |
bestellt, sondern zu einem „Standard-Medikament“ umgelistet, was das | |
Nachbestellverfahren vereinfachte. | |
Warum lebensgefährliche Medikamente überhaupt ohne Freigabe durch einen | |
Arzt bestellt werden konnten, ist indes noch unklar: Die Aussage von Kurt | |
Schwender, ehemals Oberarzt des Klinikums Delmenhorst, dass die | |
Bestellungen bereits damals per Computer durchgeführt worden seien, ist | |
jedenfalls falsch: Noch bis 2005 hätte die Bestellung die Unterschrift | |
eines verantwortlichen Arztes tragen müssen. Gegenüber der taz wollte | |
Schwender sich dazu nicht äußern: „Ich bin nicht bereit, weitere Aussagen | |
zu machen“ sagte er. | |
26 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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