# taz.de -- Ungleichheit in Deutschland: Erbe für alle | |
> Vermögen ist hierzulande sehr ungleich verteilt. Deshalb müssen sich die | |
> Linken mit Eigenheimen anfreunden und Konservative mit der | |
> Erbschaftsteuer. | |
Bild: Eigenheimbesitzer: Spießer oder Revolutionäre? | |
Im Clip zum neuen Song der Berliner Sängerin Christiane Rösinger zieht eine | |
Horde von jungen, hippen Erwachsenen durch eine Kreuzberger Mietwohnung. | |
Sie inspizieren den Kachelofen, prüfen Türen und Fenster und singen im | |
Chor: „Von den Eltern zur Belohnung / kriegen wir jetzt eine | |
Eigentumswohnung.“ Die armen Mieter werden ausziehen müssen, was die jungen | |
Erben nicht kümmert. „Wir wollen ja keinen vertreiben / aber wir müssen | |
auch irgendwo bleiben.“ | |
Wer mit einem linksalternativen Wertekanon groß wurde, ist | |
selbstverständlich auf der Seite der sprachlosen Mieter-WG, die aus dem | |
Kreuzberg Szeneparadies vertrieben wird. Mieten ist ja auch irgendwie | |
cooler als eine Eigentumswohnung, der der Ruch von Spießigkeit anhaftet. | |
Wer zur Miete wohnt, ist offen fürs Spontane. Mieter können sich kollektiv | |
gegen raffgierige Besitzer zu Wehr setzen. Wer besitzt, ist indes allein | |
und mit unsichtbaren Fäden an sein Eigentum gefesselt. | |
Einen noch schlimmeren Ruf hat das Eigenheim, das nicht nur als ästhetische | |
Katastrophe gilt. Die Vorbehalte der Linken gegen eigene Immobilien hat | |
kaum jemand schärfer zur Sprache gebracht als der Soziologe Pierre Bourdieu | |
1998 in der Studie „Der Eigene und sein Eigenheim“. Das Eigenheim erscheint | |
darin als Inbegriff „kleinbürgerlichen Elends“. Es wird von „Bedrückten | |
bewohnt“, die Opfer ihrer eigenen „irregeleiteten, entfremdeten Wünsche“ | |
wurden. Kurzum: Die Eigenheimbesitzer leben in der Illusion, dass sie ein | |
Haus besitzen, das sie schützt – dabei besitzt das Eigenheim die Besitzer | |
und kettet sie an das kapitalistische System. | |
Die Linke fremdelt seit je mit dem Privateigentum. Jean-Jacques Rousseau | |
identifizierte Ende des 18. Jahrhunderts den, „der ein Stück Land mit einem | |
Zaun umgab“ und seine einfältigen Zeitgenossen überzeugte, dass dies nun | |
sein Eigentum sei, als den „eigentlichen Begründer der bürgerlichen | |
Gesellschaft“. Für Rousseau, Stammvater linker Kulturkritik, erschafft erst | |
das Eigentum die Ungleichheit der bürgerlichen Gesellschaft. Wer besitzt, | |
wird Komplize. | |
Vielleicht ist es Zeit, dass die Linke ihre ästhetische und habituelle | |
Distanz zum Wohneigentum fallen lässt. Denn mehr Gleichheit lässt sich, | |
jedenfalls in Deutschland, nicht erreichen, ohne die Zahl der | |
Wohnungseigentümer entschlossen zu vergrößern. | |
## Der Graben ist tiefer als in Griechenland | |
Die Ungleichheit in Deutschland ist nicht so groß, weil die Einkommen | |
besonders drastisch auseinanderliegen. Die Kluft zwischen | |
Besserverdienenden und Niedriglohnjobbern ist zwar seit 1990 heftig | |
angewachsen, doch derzeit geringer als in Spanien und Griechenland. Ganz | |
anders sieht es indes bei der Verteilung der Vermögen aus. Dem reichsten | |
Zehntel der Deutschen gehören, laut einer Bundesbankstudie, 60 Prozent, die | |
untere Hälfte besitzt nur 2,5 Prozent des Nettovermögens. Das Vermögen ist | |
hierzulande noch ungleicher gestreut als in Mexiko und Kolumbien. Auch im | |
EU-Vergleich ist die Lage frappierend: Der Graben zwischen Habenichtsen und | |
Reichen ist in Sachen Eigentum in der Bundesrepublik viel tiefer als in | |
Italien und Griechenland. | |
Dies wurzelt nicht nur im Kapitalismus an und für sich, sondern in einer | |
deutschen Tradition: Man wohnt lieber zur Miete, offenbar auch ein Echo der | |
Zerstörungswucht des Zweiten Weltkriegs. So lebt zwischen Flensburg und | |
Dresden weit weniger als die Hälfte im eigenen Haus oder der eigenen | |
Wohnung. In Griechenland und Spanien besitzen hingegen mehr als zwei | |
Drittel Immobilien. Deshalb sind diese Gesellschaften, was die Verteilung | |
des Vermögens angeht, egalitärer als das scheinbar saturierte Deutschland. | |
Scheinbar – denn die untere Hälfte der Deutschen ist weitgehend mittellos. | |
Ziemlich widersinnig mutet an, dass der Staat die Bildung von Wohneigentum | |
derzeit nicht fördert, sondern behindert. Wer baut oder eine Wohnung kauft, | |
muss kräftig Grunderwerbsteuer zahlen. Seit im Jahr 2006 die | |
Eigenheimzulage, die jährlich mehr als 10 Milliarden kostete, abgeschafft | |
wurde, fördert der Staat Wohneigentum nicht mehr – er besteuert es mit | |
Milliarden Euro jährlich. | |
## Weniger Wohneigentum bedeutet mehr Ungleichheit | |
Die CDU hat begriffen, was zu tun ist. Sie wird 2017 mit dem Versprechen | |
antreten, Familien finanziell zu helfen, die in den eigenen vier Wänden | |
leben wollen. Das ist geschickt und sachlich angemessen. Denn Jüngere haben | |
noch weniger Wohneigentum als früher – weil die Preise in Großstädten | |
extrem gestiegen sind und die schöne neue Arbeitswelt nach mobilen | |
Angestellten verlangt, die mal rasch umziehen. Weniger Bürger mit | |
Wohneigentum bedeutet – mehr Ungleichheit . | |
Für die krasse Kluft zwischen Reichen und Habenichtsen gibt es noch einen | |
Faktor, der in Rösingers Song anklingt: „Wir müssen schließlich irgendwo | |
wohnen / und Erben muss sich wieder lohnen.“ Das skizziert ironisch knapp | |
eine gesellschaftliche Trennwand, über die selten geredet wird, gerade in | |
der Hipsterszene, in der man das Egalitäre schätzt: Wer erbt, besitzt. Wer | |
nichts erbt, muss halt nach Marzahn ziehen. Eine eigene Wohnung zu | |
besitzen, wäre kein bedrängendes ästhetisches oder ideologisches Problem. | |
Das Missliche ist, dass sich dies nur Wenige mit reichen Eltern (und mäßig | |
schlechtem Gewissen) leisten können. | |
Dagegen gibt es ein wirksames Mittel: Erbschaftsteuer. Die kann verhindern, | |
dass Häuser und Geld on the long run wenigen gehören. Doch von den 200 | |
Milliarden Euro, die in Deutschland jährlich vererbt werden, fließen 98 | |
Prozent steuerfrei. Die fleißige Rechtsanwältin, der begabte Chirurg oder | |
Christiane Rösinger, wenn sie mal einen Hit landet, müssen bis zu 45 | |
Prozent ihres Einkommens an den Staat abführen. Dass hingegen ein | |
25-Jähriger, der ohne eigenes Zutun Hunderttausende erbt, keinen Cent an | |
das Gemeinwesen zahlt, widerspricht nicht nur dem Gerechtigkeitsempfinden, | |
sondern auch dem alten (von Rösinger hübsch paraphrasierten) CDU-Slogan, | |
dass sich Leistung wieder lohnen soll. | |
Doch die Erbschaftsteuer ist unbeliebt. Die Mehrheit der Deutschen erbt | |
kaum etwas, hätte von brauchbaren Erbschaftsteuern nur Vorteile – und ist | |
laut Umfragen trotzdem gegen höhere Erbschaftsteuern. Es regiert das | |
Gefühl, dass der Staat bei so intimen Dingen wie dem Tod der Eltern nichts | |
zu suchen hat. | |
## Die Kluft wächst über Generationen | |
Zudem mag man es ungerecht finden, den Reichen, die für ihr Vermögen ja | |
schon irgendeine Form von Steuern bezahlt haben, noch mal Geld abzuknöpfen. | |
So argumentieren die Neoliberalen. Doch dagegen sprechen triftige Gründe: | |
politische, soziale, ökonomische. Denn das extreme Ungleichgewicht beim | |
Eigentum hat die bedenkliche Neigung zu- und nicht abzunehmen – jedenfalls | |
ohne Krieg oder Hyperinflation. Wer reich ist, Aktien besitzt und Häuser | |
vermietet, muss sich dumm anstellen, um sich zu ruinieren. Wer indes zur | |
besitzlosen unteren Hälfte der Deutschen gehört, muss Miete zahlen, kann | |
kaum Vermögen ansparen und wird seinen Kindern wenig vererben. So wächst | |
über die Generationen hinweg die Kluft zwischen Reichen und Besitzlosen. | |
Das zerreißt auf Dauer die soziale Textur. Zudem schadet zu viel | |
Ungleichheit, laut Weltbank, der Wirtschaft. | |
Einen bestechenden Vorschlag hat kürzlich der Brite Tony Atkinson, Nestor | |
der Ungleichheitsforschung, gemacht: Erbe für alle. In Deutschland könnte | |
man mit einer zwanzigprozentigen Erbschaftsteuer jedem und jeder | |
18-Jährigen 20.000 Euro in die Hand drücken – ein Startkapital, das die | |
gröbste Ungleichheit dämpft. Dieser demokratisierte Reichtum ist gerechter, | |
er nutzt vielen und könnte die affektive Hemmung der Deutschen bei dem | |
Thema Erben herunterdimmen. | |
Elegant wäre, das „Erbe für alle“ mit der Förderung von Wohneigentum zu | |
verknüpfen. So kann es sinnvoll sein, weitblickenden 18-Jährigen, die ihr | |
Erbe in (privates oder genossenschaftliches) Wohneigentum stecken, mehr zu | |
geben als jenen, die zum Surfen nach Honolulu jetten. | |
Mit einer zwanzigprozentigen Erbschaftsteuer ließe sich zusätzlich mit rund | |
10 Milliarden Euro jährlich Genossenschaften und sozialer Wohnungsbau | |
fördern. Und die erneuerte Eigenheimzulage finanzieren. Kurzum: Für mehr | |
Gleichheit muss die Linke ihre Aversion gegen Wohneigentum überwinden, die | |
Rechte sich beim Erbe auf den liberalen Grundsatz der Chancengerechtigkeit | |
besinnen. | |
Das ist keine Traumtänzerei. Vor zehn Jahren galt der Mindestlohn als nicht | |
durchsetzbar und wurde von den üblichen Lobbygruppen diffamiert. Eine | |
Erbschaftsteuer kann eine ähnliche Karriere machen – vom Unwahrscheinlichen | |
zum Selbstverständlichen. | |
Es wäre töricht, wenn die politische Linke sich beim Erbe mit dem Status | |
quo abfindet – und beim Wohnungseigentum der Union das Feld überlässt. | |
26 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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