Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Vorwurf Sozialbetrug: Prüfen kann man immer noch
> Bremerhaven streicht EU-Bürgern aus Südosteuropa die Leistungen –
> manchmal auch prophylaktisch und ohne Bescheid.
Bild: Bremerhaven streicht Sozialleistungen auch mal ohne Bescheid.
BREMEN taz | Wer bei einer deutschen Behörde etwas beantragt, erhält nach
einer Weile einen Bescheid. Bei Bewilligung ebenso wie bei Ablehnung, und
auch, wenn zuvor gewährte Leistungen künftig gestrichen werden. Eigentlich
gilt dieses Grundprinzip der deutschen Verwaltung auch in Bremerhaven.
Dort werden gerade ziemlich viele Leistungen nicht mehr gewährt, denn nach
dem massenhaften Sozialbetrug mit Scheinarbeitsverträgen für MigrantInnen,
der im Frühjahr bekannt geworden war, stehen jetzt die Ansprüche der
EU-Bürger mit jenen zweifelhaften Arbeitsverträgen auf dem Prüfstand. In
vielen Fällen haben die Behörden die Leistungen schon gestrichen und ihre
Entscheidung den Betroffenen in einem Bescheid mitgeteilt – in mindestens
einem Fall jedoch strich das Amt für Familie Leistungen aus dem
Unterhaltsvorschussgesetz kommentarlos.
Nicht nur das Vorgehen erscheint mehr als befremdlich, auch die Begründung
für die Streichung liest sich abenteuerlich: In einem Aktenvermerk, der der
taz in Kopie vorliegt, heißt es: „Aus gegebenem Anlass werden die
Leistungen nach dem UVG vorsorglich zeitweise eingestellt und die
Anspruchsvoraussetzungen überprüft.“ Der gegebene Anlass steht auch in dem
Schreiben: „Im Frühjahr dieses Jahres wurde der Missbrauch von
Sozialleistungen durch EU-Neubürger in der Stadt Bremerhaven öffentlich.
Ermittlungen hierzu laufen.“
Im Klartext heißt das: Aufgrund des Sozialbetrugs werden Leistungen
eingestellt, und zwar nicht nach der Überprüfung des Einzelfalls, sondern
„vorsorglich“.
Zeitgleich wurden der Betroffenen, die ihren Namen nicht in der Zeitung
lesen will, die Leistungen des Jobcenters gestrichen und die Hortgebühren
hochgesetzt. Denn wer keine Sozialleistungen bezieht, hat auch keinen
Anspruch auf einen vergünstigten Hortplatz für das Kind.
Inzwischen hat die Betroffene eine Klage gegen das Jobcenter gewonnen –
eine weitere gegen die Entscheidung, die Unterhaltsleistungen zu streichen,
läuft noch. Rechtsanwalt Jan Sürig spricht von einem unzulässigen
„Rasenmäherprinzip“, nach dem in Bremerhaven verfahren werde.
Und das Amt für Familie? „Es wurden keine Zahlungen ausgesetzt“, heißt es
dort, „sondern die geltenden rechtlichen Regelungen werden angewendet.“
Eine Nachfrage der taz, was dann der Aktenvermerk zu bedeuten habe, in dem
die „vorsorgliche“ Aussetzung der Zahlung begründet wird, bleibt im Kern
unbeantwortet. Selbstverständlich ergehe nach erfolgter Einzelfallprüfung
auch ein Bescheid – eine weitere Präzisierung sei aus
datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich, heißt es nur.
Inzwischen haben viele der etwa 1.300 in Verdacht des Sozialbetrugs
geratenen EU-Bürger Bremerhaven wieder verlassen. Damit spart die Stadt
Sozialleistungen, was durchaus beabsichtigt ist – dafür nehmen die Behörden
auch in Kauf, dass Betroffene nicht mehr als Zeugen vernommen werden
können. Und der Umstand, dass damit EU-Bürger aus Südosteuropa unter
Generalverdacht gestellt werden, kümmert die Behörden schon gar nicht.
4 Nov 2016
## AUTOREN
Karolina Meyer-Schilf
## TAGS
Sozialleistungen
Zuwanderer
Jobcenter
Migranten
Migration
Bremerhaven
Bremerhaven
Jobcenter
Bremen
Bremerhaven
Jobcenter
Bremerhaven
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sozialbetrug in Bremerhaven: Der Zoll war Schuld
Vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Sozialbetrug in
Bremerhaven wies der Jobcenter-Chef Vorwürfe gegen ihn zurück.
Ausschuss soll Sozialbetrug aufklären: Ahnungslos in Bremerhaven
Im Untersuchungsausschuss zum Sozialbetrug offenbart der Dezernent das
Ausmaß seiner Unkenntnis. Die Abgeordneten sind entsetzt.
Arbeitsagentur behindert Aufklärung: „Das geht überhaupt nicht!“
Nelson Janßen, Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zum Sozialbetrug
in Bremerhaven, erhebt schwere Vorwürfe
Ungenutzte Jobcenter-Gelder in Bremen: Seid verschenkt, Millionen!
Auch 2016 fließt viel Fördergeld an den Bund zurück. Die Jobcenter sagen,
ihnen seien die Hände gebunden. Das könne nicht sein, sagt die
Arbeitnehmerkammer Bremen.
Ermittlungen gegen Bremer Politiker: SPD-Politiker: Betrugsverdacht
Der Bremer SPD-Abgeordnete Patrick Öztürk hatte stets beteuert, von den
Geschäften seines Vaters nichts gewusst zu haben. Doch jetzt wird gegen ihn
ermittelt.
Jobcenter Bremen schickt Geld zurück: Wenn das Geld im Topf bleibt
Förderung in zweistelliger Millionenhöhe lassen die Jobcenter der
Arbeitslosigkeitshochburgen Bremen und Bremerhaven 2016 laut Prognose
liegen.
Sozialbetrug in Bremerhaven: Humanitäre Katastrophe
Die Mehrheit der Bremischen Bürgerschaft erkennt die nach Bremerhaven
gelotsten Menschen „auch als Opfer“ an – die dringend Hilfe brauchen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.