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# taz.de -- Französischer Film „Théo & Hugo“: Oper des schwulen Begehrens
> Der Spielfilm „Théo & Hugo“ von Olivier Ducastel und Jacques Martineau
> erzählt realistisch und nuancenreich von Homosexualität im 21.
> Jahrhundert.
Bild: Théo und Hugo kommen sich sehr schnell sehr nah
In der ersten Einstellung von „Théo & Hugo“, dem neuen Film des
französischen Regieduos Olivier Ducastel und Jacques Martineau,
verschwindet ein Handy in der Socke eines älteren Mannes, der außer Schuhen
nichts mehr am Körper trägt. Eine beinahe zufällige filmische Geste, die
aber treffend darauf verweist, was in den nächsten 18 Minuten des Films
passieren soll.
Es folgt eine in ihrer Inszenierung betörende und visuell berauschende
Orgienszene im Keller der Pariser Cruising-Bar L’Impact, in der vieles aus
der Alltagsrealität nicht mehr vorkommt. Frauen, Kleidung, Handys und
Sprache spielen für einen langen, magisch gefilmten Moment keine Rolle
mehr.
Obwohl der Film die Zufallsbegegnung zweier Männer, Théo und Hugo, in den
folgenden knapp 100 Minuten in Echtzeit und an realen Pariser Schauplätzen
erzählt, scheint das Raum-Zeit-Kontinuum hier noch aus den Angeln gehoben
zu sein: Ein Clublied geht ins nächste über, während die in rotes und
blaues Licht getauchten Männerkörper eine von den Regisseuren minutiös
choreografierte Oper des Begehrens aufführen, wie man sie im Kino wohl so
nicht gesehen hat: Der Sex scheint real, immer wieder sehen wir erigierte
Penisse und wandeln mit verschiedenen Beobachtern und Teilnehmern des
Treibens durch die Katakomben des Clubs, der immer mehr zur Theaterbühne
der beiden Hauptfiguren wird.
Théo und Hugo verlieben sich ausgerechnet in dem Moment ineinander, als
beide mit anderen schlafen; während ihre Körper rhythmisch die Männer unter
ihnen penetrieren, kommt es zum ersten Kuss. Eine provozierender,
wunderschöner Moment. Dann beide Männer im gleißend weißen Licht, als
Helden aus dem Ensemble herausgeschält, bevor wir mit Théo und Hugo die
Treppen emporsteigen und in den menschenleeren Straßen im nächtlichen Paris
landen. Der erste Handgriff zurück in der Wirklichkeit gilt dem Handy.
## Unsicherheiten im Kennenlernen
Wie kann es nach so einem klimaktischen Beginn nun aber überhaupt
weitergehen? Ähnlich kompromisslos wie wir von Ducastel und Martineau in
diese sexuelle Utopie hineingezogen werden, endet der Flirt mit der
überraschenden Wendung, dass Hugo HIV-positiv ist und Théo beim Sex kein
Kondom benutzt hat, womit auf mehreren Ebenen ein neuer Film beginnt.
Wie in Andrew Haighs „Weekend“ und inspiriert von Filmen der Nouvelle
Vague, erzählt „Théo & Hugo“ einen Kosmos, der für die filmische Zeit nur
aus zwei Personen zu bestehen scheint und gerade dadurch eine besondere
Intensität entwickelt. Der schnellen Entzauberung der Nacht und der
Konzentration auf den jeweils anderen folgen dann teilweise improvisierte
Begegnungen mit Dritten im Krankenhaus, in der ersten Métro oder beim
Imbiss. In diesen Szenen mutet der Film mitunter didaktisch an, wenn es im
beinah dokumentarischen Duktus sehr detailliert um Präexpositionsprophylaxe
nach ungeschütztem Sex oder um Frankreich als Migrationsgesellschaft oder
das Rentensystem gehen soll.
Von den Auftritten fremder Figuren einmal abgesehen verdichtet sich „Théo &
Hugo“ aber in seinen kleinen Beobachtungen und Nuancen zu einem äußerst
realistischen Porträt schwulen Begehrens im 21. Jahrhundert. Es geht um
Verletzlichkeiten und Unsicherheiten im Kennenlernen, um das Private, das
im öffentlichen Raum immer auch politisch ist, und letztlich um die Frage,
wie es in der Realität nach einer magischen Nacht im Darkroom weitergehen
kann.
26 Oct 2016
## AUTOREN
Toby Ashraf
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Homosexualität
Paris
Schwerpunkt HIV und Aids
Liebe
Literatur
Comic
Musik
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