# taz.de -- Erzählungen von Frank Jakubzik: Innere Arien im Großraumbüro | |
> „In der mittleren Ebene“ erzählt von Erschütterungen und Exitfantasien | |
> von Angestellten. Obwohl kühl geschrieben, geben die Geschichten Trost. | |
Bild: Eine Maschine, bei der man sich als Angestellter „wirklich anstrengen m… | |
McWorthy heißt die Firma. Sie ist ein international agierender Konzern, der | |
nicht einfach Software-Produkte, sondern gleich umfassende „Lösungen“ | |
anbietet und, wie es in einer der Erzählungen heißt, eine Maschine, bei der | |
man sich als Angestellter „wirklich anstrengen muss, um Rädchen zu bleiben | |
und sich mitzudrehn“. Wir sind hier also in der modernen verflüssigten und | |
globalisierten Arbeitswelt. Niemand weiß so genau, wofür man die Produkte | |
wirklich braucht, die man seinen Kunden verkauft. Aber dennoch jagen | |
wichtige Meetings einander. | |
Frank Jakubzik heißt der Autor, „In der mittleren Ebene. Erzählungen aus | |
den kapitalistischen Jahren“ lautet der Titel. Auf den ersten Blick wirken | |
diese Geschichten so, als seien sie von einem „Komitee zur Erhöhung der | |
gesellschaftlichen Relevanz in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“ | |
bestellt. Aber sie nur über ihr Thema zu beschreiben würde ihnen nicht | |
gerecht, vor allem sind sie literarisch interessant. | |
In einer der Erzählungen, „Epitaph für Hans-Günter Kremers“, stößt ein | |
Mitarbeiter auf eine Mail, die den Tod eines Freelancers bekanntgibt. Keine | |
enge Bekanntschaft, aber immerhin, man kannte sich aus den Mailinglisten. | |
Der Mitarbeiter „wandte sich um, um sein Erstaunen mit den Kollegen zu | |
teilen, die sich jedoch nicht um ihn kümmerten. Tief gebeugt saßen sie vor | |
ihren Laptopschirmen und starrten hinein. Einen oder zwei von ihnen kannte | |
er vom Sehen, aber die Namen wären ihm nicht eingefallen.“ | |
In der Beobachtung solcher kleinen Erschütterungen in den nach außen hin | |
wie geschmiert abrollenden Arbeitsabläufen ist Frank Jakubzik sehr gut. Man | |
bekommt bei ihm eine Ahnung davon, wie einsam man sich fühlen kann im | |
Großraumbüro. | |
## Alle lachen über einen | |
In einer anderen Geschichte muss ein Mitarbeiter eine Demütigung | |
verarbeiten. Bei einem Meeting wird, zum Spaß, versteht sich, ein | |
Zusammenschnitt seiner Verhaspler bei der Aufzeichnung einer seiner | |
Vorträge vorgeführt; er hatte Probleme, den Begriff „modulare | |
Systemarchitekturen“ vor der Kamera auszusprechen. Alles lacht. Der | |
Mitarbeiter lacht nach außen mit, flüchtet sich nach der Vorführung aber | |
doch erst einmal in den Waschraum, um in einem wütenden inneren Monolog | |
Dampf abzulassen: „Was habe ich getan, dass ich so vorgeführt werde? Herr, | |
warum hast du mich verlassen?“ | |
Er wäscht sich die Hände. Dann: „Er stellte das Wasser ab, trocknete sich | |
die Hände mit einem grauen Öko-Papierhandtuch. Gerade noch rechtzeitig fiel | |
ihm auf, dass er es zu sorgsam machte, sich an diesem papierenen | |
Handgemenge festhielt, zauderte. Pontius Pilatus. Sofort flog das Papier in | |
den Papierkorb, er wandte sich mit einem Ruck um und öffnete die Tür zur | |
Lobby.“ | |
Solche mittleren Verzweiflungslagen inszeniert dieser Autor, solche | |
Augenblicke, in denen man als Angestellter allein mit sich ist und sich | |
entscheiden muss, ob man eine Demütigung in sich hineinfrisst oder ob man | |
sie in einer dieser inneren Arien begräbt, zu denen man in der | |
Angestelltenwelt manchmal neigt, um wenigstens vor sich selbst sein Gesicht | |
zu wahren. | |
Anders als Rainald Goetz vor einigen Jahren in seinem Roman „Johann | |
Holtrop“ interessiert sich Frank Jakubzik weniger für die Chefs ganz oben, | |
für ihre Getriebenheit und die konzernerschütternden Dramen von Konzepten | |
und ihrem Scheitern. Diese Erzählungen handeln vielmehr von den mittleren | |
Angestellten, den Salesmen, und davon, wie sie sich anstrengen müssen, in | |
ihrem Job einfach weiterzumachen, und wie sie sich dafür in eine Mischung | |
aus Tagträumen, Ausstiegsfantasien und gegenseitigen Demütigungen flüchten | |
(einmal allerdings kommt es auch zu einer handfesten Vergewaltigung). | |
## Übersetzer moderner Theorie | |
Frank Jakubzik wurde 1965 geboren und hat bislang wenig Literarisches | |
veröffentlicht. Man kann dennoch bereits einiges von ihm gelesen haben. Er | |
hat nicht nur David Foster Wallace übersetzt (von dessen Hyperrealismus und | |
Kunst, sich in Perspektiven erzählerisch hineinzudrehen, sich in den | |
Erzählungen einige Spuren finden), sondern vor allem auch Theorie. Zygmunt | |
Baumann, Colin Crouch, Daniel Miller. | |
Wenn man das einmal weiß, sucht man in den Erzählungen automatisch nach | |
Anschließungen daran. Und tatsächlich haben gerade die britischen | |
Soziologen Colin Crouch und Daniel Miller die Ambivalenzen | |
herausgearbeitet, die in den individualisierteren Gesellschafts- und | |
Arbeitsstrukturen liegen: Der Einzelne hat mehr Möglichkeiten, sein Leben | |
zu gestalten, aber der Zwang zu Selbstmanagement und weiterhin | |
festgeschriebene Hierarchien, die hinter den kreativen Fassaden lauern, | |
gehören auch dazu. | |
Wenn, wie es an einer Stelle dieser Erzählungen heißt, „ein neuer Chief | |
Strategy Officer unerkannte Umsatzpotentiale in den Vorstandsfokus“ rückt, | |
kann das für betroffene Angestellte zur Lebenskatastrophe werden: Man sieht | |
sich in der globalisierten Arbeitswelt plötzlich nach Südamerika versetzt | |
und kann selbst sehen, wie man sein Beziehungsleben an die neuen | |
Rahmenbedingungen anpasst. | |
Erzählerisch neigt Frank Jakubzik zu einer gewissen Kühle. | |
Selbstverständlich funktioniert keine der Aussteigerfantasien. Alle machen | |
immer weiter. Noch nicht einmal mit seinen Ich-Erzählern kann man sich als | |
Leser identifizieren. Dass man sich sehr abstrampeln muss, um auf der | |
Stelle zu bleiben, ist übrigens ein alter Gedanke. Lewis Carroll | |
formulierte ihn bereits in seinen „Alice“-Büchern. Frank Jakubzik gewährt | |
einem den Trost, dass man sich diese Lage wenigstens literarisch bewusst | |
machen kann. | |
21 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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