# taz.de -- Jugendtheater für Erwachsene: Aus dem Gröbsten raus | |
> Mit Andreas Steinhöfels Jugendbuch „Anders“ verlässt sich das Bremer | |
> Schnürschuh Theater mit Erfolg auf seine Kernkompetenzen: Jugend und | |
> populäre Literatur | |
Bild: Auch zu ruhige Kinder können Eltern verzweifeln lassen. | |
Ist das Kind krank, dann leiden seine Eltern mindestens mit. Und solch ein | |
Mitgefühl ist ja auch erst mal eine wundervolle Sache, bis die Empathie | |
dann irgendwann in Selbstmitleid umschlägt. Oder schlimmer: in Wut. | |
Das Bremer Schürschuh Theater erzählt so eine Geschichte mit seiner | |
[1][neuen Produktion „Anders“]. Als Bühnenstück, das jugendliche und | |
erwachsene ZuschauerInnen gleichermaßen ansprechen soll. Der Versuch liegt | |
ja auch nahe, da doch eh die ganze Familie mit drin steckt in der Misere. | |
Bemerkenswert ist trotzdem, wie ausgesprochen gut das gelungen ist. | |
Expertise in Sachen generationenübergreifendes Theater liegt im Schnürschuh | |
Theater aber ja auch nahe: Seit 1976, genau vier Jahrzehnten also, arbeitet | |
das freie Theater mit Jugendlichen. Angefangen haben sie als | |
sozialpädagogisch-bürgerbewegtes Straßenschauspiel. Mitte der 90er-Jahre | |
ist man im eigenen Haus in der Bremer Neustadt sesshaft geworden. | |
Inhaltliches Standbein ist seit einigen Jahren die Adaption populärer | |
Gegenwartsromane. So auch die Geschichte „Anders“, die Jugendbuchstar | |
Andreas Steinhöfel erdacht hat. | |
## Kein Rückzug zur Romantik | |
Das Bühnengeschehen dreht sich um den elfjährigen Felix, der ohne jegliche | |
Erinnerung aus einem mehrmonatigen Koma erwacht. Dominique Marino | |
manövriert die Rolle des schlaksigen Knaben gekonnt zwischen verträumter | |
Untätigkeit und gelegentlichen Ausbrüchen. | |
Darin liegt die eigentliche Glanzleistung dieser Inszenierung begründet: | |
sich eben nicht auf romantische Bilder kindlicher Unschuld zurückzuziehen, | |
sondern auch schmerzhaft erfahrbar zu machen, dass der Junge, der | |
irgendwann „Anders“ heißen möchte, nicht nur ein liebenswürdiger Querden… | |
ist, sondern tatsächlich auch richtig anstrengend sein kann. | |
Um ihn herum wirbelt in diversen Rollen Vivienne Kaarow, deren Spiel als | |
säuselnd verliebte Ärztin so unwiderstehlich ist wie jenes als Felix’ | |
verbiesterte Mutter. Daneben leider etwas blasser vervollständigt Holger | |
Spengler die Besetzung, dem die Regie mit arg ähnlich gestrickten Rollen | |
keinen Gefallen getan hat. Gut macht er seine Sache trotzdem, wenn er die | |
nötige Heiterkeit in die bittere Familiengeschichte bringt. | |
## Das Ende der Kindheit | |
Während nun die Geschichte als Amnesie-Erzählung gar nicht anders kann, als | |
sich detektivisch an der vergessenen Vergangenheit abzuarbeiten, macht das | |
Stück fast beiläufig noch etwas weit Bedeutenderes erfahrbar: das Ende der | |
Kindheit nämlich. | |
Von den Rändern der Geschichte her droht in „Anders“ ein Gewaltakt: Unten | |
am Fluss soll eine Nixe leben, wissen Felix und seine Freunde, mit | |
messerscharfen Zähnen. Seit ihr Kind von Fischern totgeschlagen wurde, ist | |
sie rasend vor Wut und lebensgefährlich. Allerdings nur für Kinder, die | |
noch an sie glauben. Diese Zwickmühle aus Zerstörung und Träumerei ist, was | |
hängen bleibt, wenn die Geschichte auserzählt ist. | |
Hervorragend eingefangen hat das der Roman, schlüssig gebündelt die | |
Bühnenfassung von Regisseur Pascal Makowkas – und gespielt wird es | |
schließlich mit einer wohldosierten Mischung aus Witz und Eindringlichkeit. | |
## Keine Angst vor Widersprüchen | |
Und frei von Angst vor Widersprüchen: Wenn die Kinder zwischendurch etwa | |
plötzlich gestelzt reden wie Erwachsene, dann mag das im ersten Moment | |
holprig wirken, erweist sich dann aber als große Stärke der Inszenierung. | |
Denn das ist ja gerade, was Adoleszenz ausmacht: Mit Rationalität | |
klarzukommen, während einem noch die Bedeutungsschwere einer Welt auf den | |
Schultern lastet, die sich vor Kurzem nur um einen selbst drehte. | |
Man kann auch als Erwachsener nur ergriffen aus einem Stück gehen, dass | |
eine so beklemmende Wahrheit erfahrbar macht: Dass der unausweichliche | |
Zwang, sich ständig neu erfinden zu müssen, tatsächlich nicht auch – | |
sondern vor allem für Kinder gilt. | |
Nächste Aufführungen: 24., 25. und 26. Oktober, 10 Uhr, sowie am 26. | |
Oktober, 19 Uhr | |
30 Sep 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.schnuerschuh-theater.de/session/anders/ | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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