# taz.de -- Autor Steinhöfel über Jugendliteratur: "Auf Augenhöhe schreiben" | |
> Kinder sind unbestechlich, sagt der Autor Andreas Steinhöfel. Deswegen | |
> dürfen Kinderbücher nicht didaktisch sein. | |
Bild: "Ich brauche den Austausch mit den Kids. Ich will wissen, ob das Zeug ank… | |
taz: Herr Steinhöfel, seit 1991 haben Sie 19 Bücher geschrieben, viele | |
davon hoch gepriesen. Trotzdem war es nicht geplant, dass Sie Autor wurden. | |
Wie ist das passiert? | |
Andreas Steinhöfel: Durch einen Zufall. Ich hatte mich über ein Kinderbuch | |
aufgeregt, das mein Bruder illustrieren sollte. Also schrieb ich dem | |
Verlag: Das kann ich besser. Und Carlsen antwortete: Na, dann schreiben Sie | |
mal was. Das habe ich gemacht. Seitdem verdiene ich mein Geld damit, Bücher | |
für Kinder und Jugendliche zu schreiben. | |
Sie haben aber auch bei Erwachsenen Erfolg. Wie machen Sie das? | |
Die meisten Leute haben ganz falsche Vorstellungen davon, wie man | |
Kinderbücher schreibt. Die Deutschen besonders. Es gibt ja wirklich viele | |
Leute, die denken: Ich habe was erlebt, das für Kinder interessant sein | |
könnte - jetzt schreibe ich auch mal ein Kinderbuch. Das geht oft ziemlich | |
in die Hosen. | |
Wieso? | |
Die Leute meinen tatsächlich, ein Kinderbuch könne jeder schreiben. Und | |
Kinderbücher müssten lehrreich sein. | |
Ist das nicht so? | |
Nein, in England gelten Kinderbücher als wirkliche Literatur. Man muss sich | |
dort nicht ständig dafür rechtfertigen, dass man "nur" für Kinder und | |
Jugendliche schreibt. Die mangelnde Anerkennung findet sich in Deutschland | |
ganz deutlich in der ökonomischen Situation wieder. Sowohl die Honorare für | |
die Manuskripte als auch für Lesungen sind für Autoren von Jugendbüchern | |
viel geringer als für Belletristikautoren. Es gibt da ein Ungleichgewicht, | |
das mit dem mangelnden Ansehen des gesamten Genres zusammenhängt. | |
Muss Kinderliteratur didaktisch sein? | |
Einen Erwachsenen würde man nie fragen, was der aus einem Buch lernen kann! | |
Ich hatte mal ein Interview, das begann so: "Was können Kinder aus Ihren | |
Büchern lernen?" Da gab ich zurück: Was haben Sie denn für ein Bild von | |
Kindern? | |
Was haben Sie für ein Bild? Und was folgt daraus für Ihre Bücher? | |
Ich will Unterhaltung mit Anspruch paaren. Ich möchte eine gute Geschichte | |
erzählen, eine, die lesbar und spannend ist. Kinder sind ja unbestechlich | |
und ungeduldig, da muss immer was passieren. Aber auf einer zweiten Ebene | |
soll noch etwas anderes ablaufen. | |
Was? | |
Nehmen Sie "Rico, Oskar und der Tieferschatten". Rico ist ein Junge, der | |
Schwierigkeiten in der Schule hat. Ein Prekariatskind, wie man es heute | |
nennt. Das darf in der Geschichte aber nicht im Vordergrund stehen - sonst | |
hätte man nämlich ein typisches Problembuch über einen Kleinen, der es ganz | |
schwer hat. Und dessen Mami in einer Nachtbar arbeitet und nicht ganz | |
lupenrein ist. Mir geht es darum, eine Freundschaftsgeschichte zwischen | |
zwei sehr verschiedenen Jungen zu erzählen, die sich bewähren müssen. Die | |
aber am Schluss dicke, fette Freunde bleiben. Das möchte ich plausibel | |
machen. | |
Klingt aber doch so, als könne man daraus etwas lernen. | |
Wenn Sie so wollen, ja. Mein erster Berufswunsch war Lehrer. Ich wollte ein | |
Vorbild für Kinder sein - in menschlicher Hinsicht, nicht unbedingt in | |
fachlicher. Das versuche ich über meine Bücher zu vermitteln, ein | |
Menschlichkeitsideal, das dem meinen entspricht. Aber es muss auch immer | |
Lücken geben für andere, das zu brechen, die dann sagen können: Bis zu | |
diesem Punkt folge ich dir - und dann will ich einen Gegenentwurf. | |
Wie reagieren die Lehrer auf Ihre Bücher? | |
Mich hat mal eine Lehrerin kritisiert, "Paul Vier und die Schröders" sei | |
nicht zur Schullektüre geeignet. Ich habe das Buch auch gar nicht als | |
Schullektüre geschrieben. Erwachsene benutzen und instrumentalisieren | |
Kinderliteratur oft. Bei Lesungen abends, wenn nur Erwachsene da sind, | |
kommt immer die Frage: Warum schreiben Sie Kinder- und Jugendbücher? Die | |
erwartete Antwort ist: Damit aus unserer Welt ein besserer Ort wird. Wenn | |
ich aber sage, weil ich damit meine Kohle verdiene, wollen das die Leute | |
nicht hören. | |
Wollen Sie nicht, dass aus unserer Welt ein besserer Ort wird? | |
Mich nervt daran, dass wir alle immer heilig nach oben gucken sollen, wenn | |
es um Kinder geht. Wir sollen sagen: "Ach, die Kleinen sind ja ganz toll!" | |
Und alles, was man für die Kleinen macht, ist auch ganz toll. Das heißt, | |
selbst die Erfinder von Hüpfburgen sind ganz toll - auch wenn sie ihre | |
Burgen nicht aus purem Idealismus bauen und umsonst abgeben. Als | |
Kinderbuchautor wird man das gerne gefragt. | |
Müssen Sie Ihre Bücher verschenken? | |
Ich meine dieses entsetzte Aufkeuchen, wenn du am Telefon sagst, wir müssen | |
auch noch über das Honorar für die Lesung reden. Und dann kommt: "Wie? Das | |
kostet Geld?" Alles, was mit Kindern zu tun hat, soll möglichst billig und | |
aus reiner Menschenliebe angeboten werden. | |
Sie haben in diesem Jahr den Erich-Kästner-Preis bekommen. Was bedeutet | |
Ihnen das? | |
Das hat mich sehr gefreut, denn Erich Kästner war der erste Autor, der auf | |
Augenhöhe von Kindern geschrieben hat. Ohne Bevormundung. Zwar mit einem | |
moralischen Impetus, der heute etwas altbacken wirkt, aber den finde ich | |
gar nicht schlimm. Prinzipiell ist Moral ja in jedem Buch drin. Man bezieht | |
immer Stellung, mit dem was man tut. | |
Ja, auch Sie sind moralisch! | |
Als Kinderbuchautor ist man zur Moral verdammt. | |
Welche Stellung beziehen Sie in "Rico, Oskar und die Tieferschatten"? | |
Das Buch ist der aktuellen politischen Debatte gezollt, in der es um so | |
schwachsinnige Begriffe wie Prekariat oder Bildungsferne geht. Die | |
Boulevardpresse vermittelt uns, es gäbe einen ganzen Schwung von Leuten, | |
die den Arsch nicht hochkriegen! Das ärgert mich sehr. Denn es gibt viele | |
Leute mit wenig Bildung, die versuchen sich zu verbessern und aus ihrer | |
Lage herauszukommen. | |
Ist Rico ist so einer? | |
Er schreibt selber ein Lexikon. Kein richtiges Lexikon, aber es zeigt sein | |
Bemühen sich zu beweisen: "Hey, ich mach hier was!" Wenn ich eine Frage an | |
die Welt habe und keine Antwort darauf bekomme, dann lasse ich mir nicht | |
vor der Glotze etwas von einem dahergelaufenen Moderator erzählen, sondern | |
beantworte sie mir selbst. | |
Nun sollen Sie für "Rico" auch noch den den Katholischen Kinderbuchpreis | |
bekommen. Nehmen Sie ihn an? | |
Ich bin erst mal zusammengezuckt: Wie kommen die denn darauf? Aber unterm | |
Strich blieb übrig: Das ist schön! Da hat eine von katholisch Gläubigen | |
eingesetzte Jury befunden, dass in "Rico" viele Werte vermittelt werden. | |
Wir sind uns also, ohne es zu wissen, entgegengekommen. Außerdem gibts ein | |
hübsches Preisgeld. | |
Haben Sie als Homosexueller kein Problem damit, von der katholischen Kirche | |
einen Preis zu bekommen? | |
Klar kann man fragen: Muss man an einen Ort gehen, an dem ausdrücklich | |
keine Kondome verteilt werden? Das sind natürlich Standpunkte, die es | |
schwer machen. Aber ich finde, man muss sich immer wieder darüber | |
austauschen. Und das müssen die ja jetzt auch - wenn sie einem Schwulen | |
einen Preis umhängen. So ein Austausch ist mühselig und nennt sich | |
Beziehungsarbeit. Aber ich habe lieber eine anstrengende Beziehung als | |
einen diplomatischen Abbruch. | |
Wie wichtig ist Ihnen das Feedback von Kindern? | |
Ich brauche den Austausch mit den Kids. Ich will wissen, ob das Zeug | |
ankommt, das ich schreibe. | |
Und? Kommt Rico an? | |
Was mich wirklich sehr getroffen hat, ist, dass sich Kinder durch Rico | |
verstanden gefühlt haben, die selber auf Förderschulen gehen. Gerade hat | |
mich eine solche Klasse aus Baden-Württemberg gefragt, ob sie nach Berlin | |
kommen können, um mich zu treffen. Die sind richtig begeistert von dem | |
Buch, jetzt wollen sie auch den zweiten Band lesen. Aber selbst wenn sie es | |
nicht tun, habe ich sie auf jeden Fall so erwischt, dass sie sich | |
angesprochen und ernst genommen gefühlt haben. Die haben die Erfahrung | |
gemacht, dass ein Buch kein Buch mit sieben Siegeln für sie ist. Dass es | |
sie betrifft. | |
Seit der Pisa-Studie ist Leseförderung ein großes Thema. Spricht Sie das | |
an? | |
Ich finde, die Eltern sollten sich da angesprochen fühlen. Die Eltern | |
müssen sich abends mit ihren Kindern hinsetzen und vorlesen, statt sie vor | |
der Glotze zu parken. Kostet eben ein bisschen Zeit und Geld - nämlich ein | |
Buch zu kaufen. | |
Man könnte auch in eine Bibliothek gehen! | |
Klar, da gibt es tolle Angebote, die nichts kosten. Aber es kommt trotzdem | |
kaum einer. Da ist eine seltsame Schieflage. Was nichts kostet, gilt | |
nichts. Daher gehen viele dazu über, auch in den Schulen, Geld dafür zu | |
nehmen. Wenn es umsonst ist, bist du da vorne der Pausenclown. Wenn ein | |
Schüler 3 oder 5 Euro gezahlt hat, hält er auch mal die Klappe. Das ist | |
leider oft auch schon bei Kindern so, der Wert bestimmt sich über das Geld. | |
Konkret? | |
Bei jeder Lesung kommt die Frage: "Was verdienst du denn als Autor?" Wenn | |
man sagt, genug, um davon leben zu können. Dann kommt: Ja, aber ich wollte | |
den Betrag wissen. Sprich: Kinder sind heute so sehr materiell gepolt, dass | |
wir uns über platzende Finanzblasen nicht wundern müssen. Der Wert eines | |
Menschen wird inzwischen daran bemessen, was er verdient, viel mehr als | |
früher. | |
Was sagen Sie diesen Kids? | |
Ich bohre nach: "Wenn ich weniger als 10.000 Euro im Jahr verdienen würde, | |
wäre ich dann ein schlechterer Mensch für euch? Wäre ich mehr wert, wenn es | |
eine Million wäre? Was setzt ihr da für Maßstäbe an?" - Schweigen im Walde. | |
Die haben das heute so verinnerlicht, da sieht man, was unsere Gesellschaft | |
den Kindern so vermittelt. | |
24 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Sarah Wildeisen | |
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Freies Theater | |
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