# taz.de -- Die Wahrheit: Klassenfahrt für Erwachsene | |
> Wie bin ich in diesen Chor geraten? Und wie mit diesem Chor nach Spanien? | |
> Und wofür ist bei 30 Grad dieser Fünfliterkanister Süßwein? | |
Ich weiß selbst nicht mehr genau, wie ich vor einem Jahr in den | |
Hermanns-Chor Spatzenhagen geriet. Die Chorleiterin hatte mich zum | |
Abendessen eingeladen. Ich kam wegen der Lasagne und ging als Mitglied des | |
Tenors. Dazwischen liegt ein Blackout von der Länge der Matthäus-Passion. | |
Die Susannenpassion begann dann eher harmlos. Nur ganz kurze Lieder | |
auswendig lernen, lockte die Chefin. Wer’s kann, darf mit auf Konzertreise | |
nach Spanien. Ich wollte nach Spanien, doch mein Hirn offenbar nicht. | |
„Sing, geh und bet auf Gottes Wegen“ oder „Bet, geh und sing auf deinen | |
Wegen“? Oder auf allen Straßen? In vollen Zügen? Und ist das nicht | |
eigentlich egal? | |
Kurz vor dem Abflug wollte ich dann kneifen. Ein gutes Dutzend Stücke mit | |
vielen Strophen stand auf dem Programm, und „Irgendwas mit Jesus“ war | |
alles, woran ich mich erinnern konnte. Und wo war noch mal diese fiese | |
Stelle mit dem Cis-C-Wechsel? Das würde niemals gutgehen. | |
Ein Teil der Heidespatzen stimmte schon im Flugzeug mehrstimmige | |
Kicherarien an und war bester Laune, andere versuchten sich im | |
Kotztüten-Origami. Nur wenige Streber wie ich nahmen die Noten noch einmal | |
heraus, die wir heimlich doch ins Gepäck geschmuggelt hatten. Ich hätte | |
gern gewusst, ob die Chorleiterin wieder ihre Peitsche eingepackt hatte, | |
zumal sie gefährlich dicht bei mir saß, aber vorerst lächelte sie nur | |
charmant und schwang ab und zu ihr Glöckchen, um uns zur Ordnung zu rufen. | |
Kurz vor dem ersten Konzert wurde uns klar, dass wir nicht nur die Stücke, | |
sondern auch die geplante Reihenfolge besser hätten auswendig lernen | |
sollen, weil es fast keine Ansagen gab. Das heitere Stückeraten nach dem | |
Anstimmton trieb uns den Angstschweiß auf die Stirn. Wir hatten ja schon | |
vorher Mühe genug, rechtzeitig zu erscheinen, da – wie auf jeder guten | |
Klassenreise – bei allen wichtigen Durchsagen erstaunlicherweise immer die | |
Hälfte der Gruppe gerade auf dem Klo war, obwohl es nur eins gab. | |
So suchten die Sänger statt der Plaza de la Constitución nach einer Runde | |
„Stille Post verschärft mit spanischen Adressen“ lieber nach der „Plaza … | |
la Confusión“. Das passte ohnehin besser. Auch das sinnlose Mitschleppen | |
eines Fünfliter-kanisters Süßwein auf eine seriöse Stadtführung bei 30 Grad | |
Celsius lässt sich nur mit Kommunikationsproblemen erklären. Immerhin hat | |
der Kanister alles Wichtige über Malaga gelernt, was nur wenige Kanister | |
von sich behaupten können. | |
Wir hatten übrigens extra noch ein spanisches Volkslied einstudiert, was | |
das verwöhnte Konzertpublikum stoisch zur Kenntnis nahm – kein | |
Schleimerbonus für den deutschen Chor. Oder verstanden die gar kein | |
Heidjer-Spanisch? Erst am letzten Abend in der Tapasbar fand sich ein | |
Einheimischer, der mit der Hand auf dem Herzen und feurigem Blick mitsang. | |
So hatte ich mir das vorgestellt! Der spanische Kellner allerdings blieb | |
kühl – er hatte ein paar Jahre in Niedersachsen verbracht. | |
12 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Susanne Fischer | |
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