| # taz.de -- Die Wahrheit: Übliche Grüße aus Schnurchelland | |
| > Neben kitschigen Grußkarten gehören verheerende Büroweihnachtsfeiern zu | |
| > den gesellschaftlichen Ritualen der Vorweihnachtszeit. | |
| Der perfekt tolerante Amerikaner wünscht nicht mehr „Fröhliche | |
| Weihnachten“, sondern beschränkt sich auf einen Wunsch, den man mit „Ich | |
| entbiete saisonübliche Grüße“ übersetzen kann. Wenn man pfundweise | |
| kitschige Weihnachtskarten in die Welt wirft, kann man schon mal | |
| versehentlich einen Juden oder Muslim treffen, der noch nichts von der | |
| Geburt seines Erlösers wusste, und den will man schließlich nicht | |
| beleidigen. | |
| Die saisonalen Grüße meines Körpers bestehen in der Regel aus Husten und | |
| Niesen, das kurz vor Heiligabend in Schnurcheln und Schlorpfen übergeht. So | |
| will es der Lauf der Welt: Taschentücherzielwurf unterm Weihnachtsbaum und | |
| Hustensaft flambieren an Silvester. Man braucht Rituale für ein glückliches | |
| Leben. | |
| Außerdem kann man eine Opferliste führen, wen man alles hat anstecken | |
| können. Denn ein anderes offenbar wichtiges Ritual sind Saisonpartys. Ich | |
| erinnere mich noch, wie ich als zwanzigjährige Praktikantin bei einer | |
| großen bürgerlichen Zeitung zum ersten Mal in jenen Abgrund aus zu viel | |
| Alkohol und fehlgesteuerter sexueller Energie geriet, der | |
| „Büroweihnachtsfeier“ genannt wird. Ich wusste bis dahin nichts von der | |
| dunklen Seite der Macht. | |
| Es gab weder Tee noch Kekse, selbst der Chef war betrunken, und später am | |
| Abend meinte ein übergewichtiger Redakteur mit Halbglatze, mir mit einer | |
| detaillierten Beschreibung meiner Anatomie weiterhelfen zu können. So | |
| endete meine Karriere im etablierten Journalismus, noch ehe sie begonnen | |
| hatte. | |
| Dafür blieb mir ein Weihnachtsfeiertrauma. Ich weiß nicht, warum alle so | |
| verrückt danach sind, von der Gymnastikriege bis zum Tennisverein, von der | |
| Parteiuntergruppe bis zum Berufsdachverband: Reguläre Treffen werden im | |
| Dezember habituell verweigert mit dem Hinweis, es sei so kurz vor | |
| Weihnachten völlig unmöglich, für Arbeit Zeit zu haben. Stattdessen feiern | |
| sie Tag und Nacht mit Hinz und Kunz und sind schon 24-fach erlöst, ehe sie | |
| Heiligabend beseelt in die Krippe kotzen können. | |
| Ich hatte für mich den Keks-und-Kerzenlicht-Marathon in diesem Jahr auf das | |
| notwendige Minimum beschränkt, nämlich Büroadventskaffee, | |
| Flüchtlingstreffsaisonfeier und Chorweihnachtskonzert, und alles an drei | |
| aufeinanderfolgenden Tagen, eine logistische Meisterleistung. Ich wusste | |
| sogar schon, wen ich anstecken wollte, doch die Erkältung ließ auf sich | |
| warten. Stattdessen bekam ich Darmgrippe, vom Geschenkeumtausch leider | |
| ausgeschlossen. | |
| Weihnachtsfeiern besuchte ich nur im Fiebertraum, während ich mich mit | |
| Bauchschmerzen auf dem Sofa herumwälzte und versuchte, beim Zappen nicht | |
| immer wieder bei „Helene Fischer singt saisonale Lieder“ zu landen, einer | |
| Sendung ohne jeden medizinischen Wert. Heuchlerische Kollegen schickten mit | |
| Genesungswünschen durchfallfarbene Elektrolytlösungen, während sie sich | |
| über fette Torten hermachten. Der Chor trank sein Weihnachtsbier ohne mich. | |
| Dann fiel auch noch die Heizung aus. Ich entbiete saisonübliches | |
| Selbstmitleid. | |
| 14 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Fischer | |
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