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# taz.de -- Nachruf auf Andrzej Wajda: Der mit den Bildern zauberte
> Er suchte nach immer neuen, besseren Visualisierungen für das, was war.
> Der polnische Regisseur Andrzej Wajda starb im Alter von 90 Jahren.
Bild: Adieu Andrzej
„Afterimage“ heißt der letzte Film von Andrzej Wajda, der vor einem Monat
auf dem Toronto International Film Festival Premiere feierte und vom Leben
des Avantgarde-Künstlers Władysław Strzemiński handelt. „Afterimage“ �…
prophetischer Titel: Wajda ist am Sonntag im Alter von 90 Jahren
verstorben.
Man kann den Film als eine Art Resümee eines Filmemachers lesen, der das
polnische Kino geprägt hat wie kein zweiter und sich ganz der Aufgabe
verschrieben hat, neue, andere, bessere Bilder zu finden für das, was
gewesen ist.
In einem seiner schönsten Filme heißt das: Bilder, die sich nach einer
euphorisch durchwachten, erotisch aufgeladenen Nacht im Gedächtnis
eingebrannt haben und die jetzt der unbarmherzigen Helligkeit des
Tageslichts standhalten müssen. 1960 entstand „Die unschuldigen Zauberer“,
es geht um einen jungen, dandyhaften Arzt, der auf seinem Streifzug durchs
abendliche Warschau eher zufällig eine Frau kennenlernt. Die beiden wandern
ziellos durch die in fast außerweltlichem Schwarz-Weiß fotografierten
Straßen Warschaus, und auch, als sie sich gemeinsam in seine Wohnung
aufmachen, ist längst nicht klar, ob sich der Flirt in einer Verführung, in
einer Liebesgeschichte fortsetzen wird.
„Die unschuldigen Zauberer“, ein Film im Rhythmus des Jazz, ist ein
zentrales Werk der Polnischen Neuen Welle, einer Filmbewegung, die Wajda
entscheidend mitgeprägt hat. Nicht zuletzt, weil er sie stets als Teil
eines historischen Kampfs begriffen hat: Die Freiheit, die sich im
promisken Driften der jungen Leute ebenso ausdrückt wie in ihren
offenherzigen Gesprächen über Gott und die Welt, hat viel zu tun mit dem
Tod Stalins und der nachfolgenden sozialen Modernisierung in der UdSSR und
vielen Warschauer-Pakt-Staaten.
## In die Geschichte verbissen
Wajdas Werk hat sich wie kein zweites auf die polnische Geschichte des 20.
Jahrhunderts eingelassen. Mehr noch: Seine Filme haben sich regelrecht in
die Geschichte verbissen. Die frühen Arbeiten „Der Kanal“ (1957) und „As…
und Diamant“ (1958) zählen nach wie vor zu den zentralen Filmen über den
Zweiten Weltkrieg.
Ein weniger bekannter, aber mindestens ebenso eindringlicher
Komplementärfilm ist „Samson“ von 1961: Da bleiben die Schrecken des
Krieges weitgehend im Off des Bildes, im Zentrum steht der Leidensweg eines
jugendlichen Juden, der die Zeit der deutschen Besatzung isoliert im
Versteck zu überleben versucht.
Spätere Arbeiten näherten sich der Geschichte seines Heimatlandes manchmal
auf indirekteren Wegen, gerne mit Hilfe von Literaturadaptionen. Aber auch
ein Film wie „Danton“ (1983), eine mit Starbesetzung produzierte
paneuropäische Großproduktion über den Umschlag der französischen
Revolution in Staatsterrorismus, ist in erster Linie eine Parabel auf den
Stalinismus.
Und vielleicht noch mehr auf die zeitgenössischen Repressionen im Zuge der
Solidarność-Bewegung, die Wajda von Anfang an aktiv unterstützt hatte und
deren vielleicht wichtigste filmische (Selbst-)Darstellung er natürlich
ebenfalls selbst inszeniert hat: In „Der Mann aus Eisen“ (1981) lies er
Lech Wałęsa höchstpersönlich vor der Kamera agieren.
Das Nachleben des Stalinismus einerseits, des Zweiten Weltkriegs und der
nationalsozialistischen Herrschaft in Polen andererseits: Das ist die
historische Matrix, die sein Kino wieder und wieder bearbeitet hat,
obsessiv, vielgestaltig und immer streitbar. Das dürfte auch biografische
Gründe gehabt haben: Der Vater des Regisseurs kam 1940 im Massaker von
Katyn zu Tode, einer Massenerschießung polnischer Gefangener durch die Rote
Armee 1940. Auch über dieses Kriegsverbrechen hat Wajda einen Film gedreht,
2007, als bereits über Achtzigjähriger.
Noch einmal zwei Jahre später erhielt er für „Tatarak“ auf der Berlinale
den Alfred-Bauer Preis – gewidmet Werken, die „neue Perspektiven der
Filmkunst eröffnen“. Und zwar völlig zu Recht. Denn wo andere Kinoerneuerer
sich – in Polen wie anderswo – nach ein paar wilden Jahren zumeist
ästhetisch zur Ruhe setzen, verschrieb sich Wajda der permanenten
Revolution. Es ging ihm nie um modische Gesten, sondern immer zuerst um
Interventionen in Geschichts- und Erinnerungspolitik. Vielleicht ist er
deshalb über alle politischen Umbrüche hinweg relevant und quicklebendig
geblieben.
10 Oct 2016
## AUTOREN
Lukas Foerster
## TAGS
Solidarnosc
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