# taz.de -- Straßenrad-WM in Katar: Ganz vorn dank Heizlüfter | |
> Bei der Straßenrad-WM in Katar leiden die Profis unter den extremen | |
> Temperaturen. Das Event mutiert zu einer Art Kühltechnikmesse. | |
Bild: Oha in Doha: Radfahrer in der prallen Sonne | |
DOHA taz | Zuschauer sieht man in Doha kaum. Das ist kein Wunder. Draußen | |
ist es so heiß, dass nur übermütige Menschen die Komfortzonen mit | |
Klimaanlagen verlassen. „Ich komme hier ja schon beim Stehen ins | |
Schwitzen“, meinte BDR-Vizepräsident Udo Sprenger und zog sich im | |
Zielbereich des Einzelzeitfahrens schnell in den Schatten zurück, wo das | |
Thermometer immerhin auch noch auf 34 Grad stieg. | |
Wegen der glühenden Sonne haben sogar die Arbeitgeber auf vielen Baustellen | |
im Lande die für die Sommermonate inzwischen vorgeschriebene Hitzepause zur | |
Mittagszeit bis in den Herbst hinein verlängert. Die internationale Kritik | |
an den Arbeitsbedingungen für migrantische Arbeiter hat wenigstens das | |
bewirkt. | |
Für die Straßenrad-WM, die diese Woche in Katar ausgetragen wird, sind | |
derlei Pausen nicht vorgesehen. Das Teamzeitfahren der Frauen wurde am | |
Sonntag gar ausgerechnet zur Mittagshitze angesetzt. | |
Mit dem Ergebnis, dass die dreifache Olympiasiegerin Kristin Armstrong sich | |
vor Erschöpfung kurz vor der Ziellinie übergab, die niederländische | |
Fahrerin Anouska Koster so benommen war, dass sie in die Absperrgitter | |
fiel, und Mieke Kröger, im letzten Jahr immerhin deutsche Meisterin im | |
Einzelzeitfahren und zweifache Europameisterin in dieser Disziplin, weit | |
früher als geplant den Anschluss an ihr am Ende zweitplatziertes Team | |
Canyon SRAM verlor. „Das war sicher der Hitze geschuldet, Mieke leidet | |
aufgrund ihrer Physis mehr darunter als kleinere und leichtere | |
Fahrerinnen“, erklärte Sprenger. | |
## Erinnerung an Benidorm | |
Trösten konnte sich Kröger allenfalls damit, dass auch die Siegerinnen | |
extrem litten. „Sogar die Lungen haben wehgetan. Schon nach 20 Minuten | |
waren wir total überhitzt“, berichtete die neue Teamweltmeisterin Chantal | |
Blaak aus den Niederlanden. Ihre Landsfrau Roxane Knetemann unterstellte | |
dem Radsportweltverband (UCI) Fahrlässigkeit und kritisierte recht | |
deutlich: „Die haben das nicht richtig durchdacht. In so einer Hitze sollte | |
man gar nicht fahren, erst recht kein Zeitfahren.“ | |
Die anderen Sportlerinnen und Sportler hielten sich aber mit offener Kritik | |
zurück. Nicht aus Angst, eher aus gewohnter Härte zu sich selbst. | |
Temperaturen von über 40 Grad boten in der Vergangenheit auch schon | |
einzelne Etappen von Tour de France oder Vuelta a España. Ganz erfahrene | |
Leute kramten sogar Erinnerungen an die WM 1992 im spanischen Benidorm | |
heraus. Da musste der Asphalt mit kaltem Wasser am Schmelzen gehindert | |
werden. Ergebnis: mehrere gebrochene Schlüsselbeine als Folge der | |
zahlreichen Stürze. | |
Dagegen mutet diese WM eher wie ein fröhliches Sommerlager an. So ganz | |
hatte die UCI ihrer eigenen Austragungsidee aber auch nicht getraut. Vor | |
der WM verteilte sie eine 28-seitige Broschüre mit dem Titel „Beat the | |
Heat“. | |
## Hitzesimulation empfohlen | |
Darin warnte sie vor Hitzefolgen wie etwa höhere Herzfrequenzen: „In heißen | |
und/oder feuchten Umgebungen ist die Fähigkeit des Körpers zum Abkühlen | |
eingeschränkt. Um Wärme zu verlieren, pumpt der Kreislauf mehr Blut zur | |
Haut, was eine höhere Leistung des Herzens erfordert.“ Höhere | |
Herzfrequenzen bei weniger Leistung, lautet die Konsequenz. | |
Um den Athletenkörper darauf einzustellen, empfahl die UCI eine frühere | |
Anreise, am besten sieben bis zehn Tage vor dem ersten Wettkampf. Und sie | |
schlägt Hitzesimulation wie Saunagänge und Wärmebäder nach dem Training, ja | |
sogar Training in Hitzekammern selbst vor. | |
Der deutsche Profi Tony Martin, der am Sonntag mit seiner | |
Etixx-Quick-Step-Mannschaft im Teamzeitfahren Gold holte, wusste sich | |
anders zu behelfen und stellte zu Hause einen Heizlüfter vor die Rolle. | |
„Man versucht eben, überall ein paar Prozent gegenüber der Konkurrenz | |
herauszukitzeln“, meinte er lapidar. Nun rätselt möglicherweise die | |
Konkurrenz, inwiefern der Heizlüfter gewinnbringend war. | |
Im Kampf gegen die Hitze rät die UCI auch zu Vorkühlmethoden wie Eiswesten, | |
eiskalte Drinks, Ventilatoren und Eissocken, die sogar während des Rennens | |
auf dem Nacken platziert werden können. Die Rad-WM mutiert zur | |
Kühltechnik-Messe. Die Fußballprofis, die bei der WM 2022 in Katar antreten | |
müssen, werden dankbar für die in Doha gewonnenen Erkenntnisse sein. | |
11 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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